Süddeutsche Zeitung

Interview: Colin Firth:Mit gehemmter Zunge

In diesem Jahr, das ist Konsens, wird Colin Firth wahrscheinlich den Oscar bekommen. Ein Gespräch mit dem Schauspieler über sein Verhältnis zur englischen Sprache - und über sein Verlierergesicht.

Rebecca Casati

Colin Firth wurde am 10. September 1960 als Sohn zweier Lehrer in England geboren. Seine erste bedeutende Rolle spielte er in Milos Formans "Valmont" (1989), Sein Mr. Darcy in der sechsteiligen BBC-Serie "Sense and Sensibility" (1995) sichert ihm bis heute eine nibelungentreue weibliche Anhängerschaft in England. Den internationalen Durchbruch - und Herzensbrecherstatus - sicherte er sich dann mit Auftritten in "Bridget Jones", "Tatsächlich...Liebe" oder auch "Mamma Mia!". Im vergangenen Jahr war er für seine Rolle in Tom Fords Debütfilm "A Single Man" für den Oscar nominiert. Dieses Mal, so der Konsens, wird er ihn bekommen. Firth lebt skandalfrei mit seiner italienischen Frau, einer Filmproduzentin, und den zwei gemeinsamen Söhnen in London und Italien. "The King's Speech" läuft seit Donnerstag in den deutschen Kinos.

Lesen Sie einen Interviewauszug aus der SZ am Wochenende vom 19.02.2011.

SZ: Guten Tag, Mister Firth.

Colin Firth: Wie geht es Ihnen?

SZ: Das wollte ich Sie fragen. Es muss anstrengend sein, den ganzen Tag über einen Film über Sprache zu sprechen.

Firth: Nun.

SZ: The King's Speech ist der meistdebattierte Film der Berlinale, wenn nicht überhaupt: dieser Filmsaison.

Firth: Tja. Wir halten uns ganz gut im Gespräch, was?

SZ: Sie sind für nicht weniger als zwölf Oscars nominiert. Dabei ist man erst mal erstaunt, wenn man hört, wovon der Film handelt: von dem stotternden George VI.

Firth: Er ist ziemlich unbekannt. Und wird, wenn es um britische Geschichte geht, immer nur als Fußnote zu seinem Bruder Edward VIII. genannt, dem eigentlichen Thronfolger.

SZ: Der nach einem knappen Jahr abdankte, um die geschiedene bürgerliche Amerikanerin Wallis Simpson zu heiraten.

Firth: Genau. Die Geschichte kennt bei uns jeder. Die Frau von George VI., die Queen Mother, ist in England hingegen vielleicht das größte royale Nationalheiligtum. Er selber starb ja schon 1952, da war ich zum Beispiel noch gar nicht geboren. Alles, was man in meiner Generation über ihn lernte, war, dass er der Mann von Queen Mum war. Dass er eigentlich nicht König werden wollte. Und, natürlich, dass er stotterte.

SZ: Ist es nicht schön, dass diese Rolle an Sie ging? Bei stotterndem englischen Gentleman fällt einem doch zunächst mal Hugh Grant ein.

Firth: Ja - weil er in Vier Hochzeiten und ein Todesfall so authentisch gestammelt hat. Aber das ist eben etwas anderes als Stottern. Hugh setzt das bewusst und komödiantisch ein, und er macht es auch nicht in jeder Rolle. Wie ich mittlerweile weiß, gibt es für all diese verschiedenen Nuancen der Sprachstörung phantastische wissenschaftliche Fachausdrücke, die mit dem Sprachfluss zu tun haben oder damit, wie man die Syntax kontrolliert. Als ich abends nach einem Drehtag nach Hause ging, klang ich selber wie ein Stotterer. Aber die Spezialisten haben mir erklärt: Keine Angst, Ihre Zunge ist nur durch die Beanspruchung gehemmt.

SZ: Der Film thematisiert die besondere Malaise dieses Königs: Ausgerechnet in der Zeit, als das Volk vom Zweiten Weltkrieg bedroht war, war er nicht in der Lage, Ansprachen halten.

Firth: Ja. Er hat es mit Hilfe seines Therapeuten Lionel Logue ganz gut in den Griff gekriegt. Aber er hat sich nicht so sehr ins historische Gedächtnis eingebrannt wie andere Protagonisten aus dieser Ära. Meine Güte, wen sehen wir denn, wenn wir Geschichtssendungen einschalten? Immer wieder Churchill, Hitler, Roosevelt. Ist das nicht so?

SZ: Doch. In Deutschland vielleicht in einer etwas anderen Reihenfolge.

Firth: Aber immer geht es um diese Personen, nicht? Es ist wie Fetischisierung von Geschichte. Und das liegt auch daran, dass all diese Protagonisten unglaublich mitreißende Erzähler waren. Der Personenkult, den wir heute um Popstars veranstalten, galt im 20. Jahrhundert diesen Politikern. Die großen Reden von Roosevelt, die Theatralik von Mussolini und Hitler, Churchill und seine außerordentliche Rhetorik, die Massen, die Stalin angezogen hat - sie alle wurden durch ihre Wortgewalt überlebensgroß. George VI. war denkbar ungeeignet für diese Art Personenkult. Ich glaube, dass wir ihn deshalb in den Geschichtsbüchern nicht mehr berücksichtigen.

SZ: Haben viele Engländer nicht sogar ein obsessives Verhältnis zu Sprache? Sie halten ihr Klassensystem damit aufrecht , mit dem sogenannten Posh- oder Middle-Class-Accent.

Firth: Ja. Das ist wahr. Und das war auch eine der großen Recherchen, die wir für diesen Film gemacht haben. Es ging uns nicht um das Stottern, sondern darum, wie man damals, 1937, in dieser bestimmten Klasse Englands gesprochen hat; nämlich viel gestutzter, abgehackter als heute. Auch wurde beispielsweise das ,R' gerollt. Meist lässt man solche Details weg bei Filmen, die in der Vergangenheit angesiedelt sind, weil sie von der Handlung ablenken könnten. Wir haben sie berücksichtigt, nicht nur aus Authentizitätsgründen, sondern wegen dem, was diese Art des Sprechens repräsentiert. Der Sound dieser Klasse vermittelt Disziplin, Autorität, Hemmung. Und all dies trägt zu der Anspannung meines Charakters bei.

SZ: Anspannung war aber nicht der Grund für das Stottern bei George VI., oder? Angeblich gab seine Nanny ihm nicht genug zu essen, er war Linkshänder, wurde aber auf Rechtshänder gedrillt. Er musste als Kind Eisenschienen gegen seine X-Beinigkeit tragen. Und sein Vater, George V., war sehr dominant.

Firth: Alles richtig. Und über die genaue Ursache von Stottern wird bis heute debattiert. Stottern hat immer eine profunde neurologische Komponente. Aber es ist bestimmt auch nicht hilfreich, wenn Lebensumstände und Privilegien einen Menschen isolieren, der ohnehin Probleme mit Kommunikation hat.

SZ: Warum bestehen die Engländer heute immer noch auf diese sprachliche Unterteilung in ihrer Gesellschaft?

Firth: Oh, nicht alle bestehen darauf. Viele würden sie sicher gerne einreißen, diese Klassenschranken. Sie beschädigen unsere Gesellschaft wirklich sehr.

SZ: Aber Sie selber sprechen mit Posh Accent. Und man hat Sie deswegen in Ihrer Schule geärgert, oder?

Firth: Ja, aber das war weniger schlimm. Ich war kein bedauernswertes Opfer, und ich habe bestimmt andere für andere Dinge gehänselt. Aber ich habe dennoch versucht, mich anzupassen. Wie die meisten Kinder unter 15 wollte ich nicht wirklich hervorstechen aus der Masse.

SZ: Zur Vorbereitung auf Ihre Rolle haben Sie sich Filmaufnahmen von George VI. angeguckt. Was ist Ihnen aufgefallen?

Firth: Zunächst - wie wenig wir uns ähneln.

SZ: Er war ein blonder und blauäugiger, sehr sensibel wirkender Mann.

Firth: Und ich habe erst gar nicht versucht, ihm äußerlich zu gleichen. Was sah ich in ihm? Große Verletzlichkeit. Bescheidenheit. Definitiv Würde, und zwar die Sorte, die man sich hart erkämpfen muss. Nicht nur er war ständig der Öffentlichkeit ausgesetzt, seine Schwierigkeiten beim Sprechen waren es auch. Mit dieser Angst musste er umgehen, mit dem ständigen Konflikt zwischen Pflichterfüllung, Würde, Verletzbarkeit, Angst. Ich sah auch eine fast kindliche Unschuld, die sich aus all dem ergab.

SZ: Empfindet man als Brite einen kleinen Moment von Andacht, wenn man einen König spielt, auch wenn es ein fast vergessener ist?

Firth: Hm, eigentlich nicht. Sonderbarerweise ist es der erste König, den ich spiele. Dabei wimmelt es in unserer Branche nur so von ihnen.

SZ: Könige haben heute keine Macht mehr. Warum sind die Menschen immer noch fixiert auf Monarchien?

Firth: Das sind sie bei näherer Betrachtung vielleicht gar nicht. Royals sind erzählerische Vehikel, ein dramaturgischer Kniff; wer ein häusliches Drama auf der royalen Bühne ansiedelt, erhöht den Einsatz beim Zuschauer, das emotionale Investment. Wenn Antonius und Kleopatra einfach zwei Leute aus der Vorstadt wären, die eine Kompromiss-Affäre eingehen, wäre das vielleicht immer noch spannend, aber nicht von globalem Interesse. Wenn man das Ganze aber im royalen Milieu ansiedelt, bezieht man plötzlich die ganze Welt mit ein. Unsere Geschichte handelt auch nicht wirklich von Monarchie; sie handelt von zwei Männern; einem, der sich aufgegeben hat. Und einem anderen, der die Phantasie, die Wärme und die Fähigkeit hat, ihn zu retten.

SZ: Welchen Stellenwert hat heute die britische Monarchie im Volk?

Firth: Ich weiß es nicht. Ich verfolge sie nicht, diese, diese. . . Dinge. Mein Gefühl sagt mir, dass sie ziemlich populär sind im Moment. Was besagt schon mein Gefühl? Nichts! Aber wenn Sie eine Umfrage starten, wäre ich sehr interessiert an den Ergebnissen.

SZ: Wenn Sie nicht gerade drehen, engagieren Sie sich gesellschaftspolitisch, nicht?

Firth: Ja.

SZ: Was liegt Ihnen besonders am Herzen?

Firth: Die herzzerreißendsten Tragödien, die ich kenne, handeln von politischen Flüchtlingen. Menschen, die nichts mehr haben und sich im Wasser an irgendetwas, das schwimmt, klammern. Die unglaublichen Unterschiede in unserer Gesellschaft, die dazu geführt haben, dass wir hier sind und sie dort draußen.

SZ: Denken Sie an die Tunesier, die gerade zu Tausenden auf der italienischen Insel Lampedusa ankommen?

Firth: Ich weiß noch nicht viel darüber, ich habe nur kurz in den Nachrichten gesehen, dass sie dort landen. Aber ich kann mir schon denken, dass der Rest von Europa auf Italien zeigen und sagen wird: nicht unser Problem, ihr seid die Hintertür. Wir können präzise messen, wie zivilisiert eine Gesellschaft ist, wenn wir uns anschauen, wie sie mit den Schwachen umgeht. Den Alten, den Kranken, den Flüchtlingen, die keine Wahl mehr haben und keine Stimme. Sie werden zu politischer Manövriermasse, denn Menschen fürchten sich nun einmal vor Außenseitern.

SZ: Wir sind fast am Schluss. Und müssen noch mal auf den Oscar kommen. Sie waren schon letztes Jahr nominiert. Dieses Jahr aber gelten Sie als Top-Favorit. Für den unwahrscheinlichen Fall der Fälle: Haben Sie auch ein Verlierergesicht?

Firth: Sie meinen . . .

SZ: . . . das, was wir in dem Moment von Ihnen sehen, wenn Ihr Name nicht aufgerufen wird?

Firth: Wissen Sie - ja. So oft, wie ich nominiert war und nichts bekam, hatte ich wirklich Gelegenheit, dieses Gesicht einzustudieren. Ich kann es für alle Zeiten.

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Quelle:
SZ vom 19.02.2011/frey
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