Interview: Blondie:"Das Kostüm, knapp wie ein Badeanzug. Der weiße Schwanz kam extra."

Debbie Harry gilt als die Marilyn Monroe der frühen 80er Jahre. Im Interview spricht die Blondie-Sängerin über ihre Zeit im Playboy-Bunny-Club, erinnert sich an das Aufreißen von Jungs in Drive Inns und erklärt Kollegin Madonna zur humorfreien Zone.

(SZ v. 23/24.08.2003)

Interview: Blondie: "Was für eine Idee, sich ernsthaft vorzunehmen, über Spaß zu reden!"

"Was für eine Idee, sich ernsthaft vorzunehmen, über Spaß zu reden!"

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SZ: Guten Tag, Miss Harry. Würden Sie gerne mit mir über Spaß reden?

Debbie Harry: Versuchen wir' s mal.

SZ: Nehmen Sie den Humor ernst?

Debbie Harry: Sehr sehr ernst. Ach du lieber Himmel: Was meinen Sie eigentlich damit?

SZ: Nun, eigentlich...

Debbie Harry:...sehen Sie: schon sind wir verkrampft. Was für eine Idee, sich ernsthaft vorzunehmen, über Spaß zu reden!

SZ: Vielleicht wollte ich nur etwas besser gewappnet sein als die anderen. Ich las, dass Sie für Ihre ironischen Scherze mit Journalisten berühmt sind.

Debbie Harry: Oh?

SZ: So stand es im Internet.

Debbie Harry: Ach, Sie haben im großen Abfalleimer gewühlt! Was haben Sie da noch alles gefunden?

SZ: Ich las zum Beispiel, dass Sie in einem Interview versucht haben, in Ihren Antworten so häufig wie möglich das Wort "Masturbation" unterzubringen.

Debbie Harry: Heh, heh. Neineinein, das ist ganz unmöglich. Weiter?

SZ: Einen anderen Journalisten hätten Sie aus keinem ersichtlichen Grund herausgefordert, auf der Stelle einen Boxkampf mit Ihnen auszutragen.

Debbie Harry: Au!

SZ: Bei dem Gespräch handelte es sich aber um ein Telefoninterview.

Debbie Harry: Ich habe mit Sicherheit keinen Faustkampf am Telefon vorgeschlagen, das wäre nicht logisch. Möglicherweise sagte ich "Wrestling", denn das ist ja ein Fake-Kampf, bei dem man den anderen nicht wirklich verletzt.

SZ: Wahrscheinlich wollten Sie sich bei dem 77. Interview auch ein bisschen selber amüsieren?

Debbie Harry: Womöglich. Leider hat man nach dem 77. Interview nicht mehr den Überblick, was man alles erzählt hat.

SZ: Sie und Ihre Band Blondie waren Anfang der 80er Jahre eine Art Paradoxon: Liebling der Massen, aber auch der New Yorker Kunstszene. Sie mischten Rock mit Rap mit Reggae. Und während Sie die Männer verrückt machten, schienen Sie den Frauen zuzuzwinkern, es war, als wollten Sie sagen: Hey, Baby, was soll die Aufregung ...

Debbie Harry: Die Fans mochten unsere Musik; aber sie liebten unsere Attitüde.

SZ: "Wenn ich mir je ein Facelift machen würde", so notierte Andy Warhol später in sein Tagebuch, "würde ich hinterher gerne so aussehen wie Debbie ."

Debbie Harry: Warhol war auch einer der Gründe, warum ich als junges Mädchen nach New York gezogen war. Ich wollte leben wie er und die Leute um ihn herum, die Künstler, Maler, Schauspieler oder Sänger. Ich wollte etwas Großes werden. Gleichzeitig subversiv sein. Und cool.

SZ: Zunächst einmal aber wurden Sie Kellnerin. Und heroinsüchtig.

Debbie Harry: Ich kam nicht voran, meine Gegenwart und Zukunft schienen verschwommen, meine Vorstellungen waren widersprüchlich. Also machte ich es wie viele Leute, die ein bisschen Abstand, woanders hin wollten: Ich nahm Drogen. Bis ich nach ein paar Jahren merkte, das man damit nicht weit kam. Für die Reise braucht man mehr als Drogen.

SZ: Haben Sie da die Ironie entdeckt, die ja auch eine Form von Eskapismus ist?

Debbie Harry: Gut möglich. Aber halt - wieso werden wir denn wieder so ernst?!

SZ: Pardon. Im September erscheint Ihre neue Single "Good Boys", im Oktober dann Ihr neues Album "The Curse of Blondie". Sie sind heute fast 58 Jahre. Wie viel von der Motivation, wieder ein Album zu machen, ist Spaß?

Debbie Harry: Beim Plattenmachen bahnt sich der Spaß natürlich auch seinen Weg; aber darauf kommt es nicht an. Es ist unsere Profession, wir versuchen, einen guten Job zu machen, erstmal geht es also ums Anstrengen, noch mal versuchen, noch mehr üben. . . Aber wissen Sie was? Wir müssen den Gebrauch des Wortes Fun klären.

SZ: Bitte.

Debbie Harry: In Amerika heißt es: Oh - that was fun! Oder: You guys - is everybody having fun? Und was soll das, was bedeutet das? Die meiste Zeit - nichts! Ich zum Beispiel fahre gerne Wasserski. Dabei habe ich jede Menge Fun. Auf die anderen Situationen in meinem Leben - wie die Arbeit - passen andere Begriffe besser: Einer Berufung folgen. Den Lebensunterhalt verdienen. Oder - wie wäre es damit: Dafür sorgen, dass Steaks und Kartoffeln auf dem Tisch stehen.

SZ: Vor Ihrer Musikkarriere haben Sie Ihren Lebensunterhalt als Häschen verdient.

Debbie Harry: Jetzt spielen Sie auf mein kleines, glänzendes Bunny-Kostüm an.

SZ: Sie trugen es in Ihrer Zeit als Kellnerin im Playboy-Bunny-Club, Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre.

Debbie Harry: Ich erinnere mich wie heute: Das Kostüm war aus himmelblauem Satin, knapp wie ein Badeanzug, mit hohem, spitzenbesetzten Beinausschnitt. Der weiße Schwanz kam extra. Er war hochgekämmt und flauschig. So gepflegt!

SZ: Wie war es, ihn anzulegen?

Debbie Harry: Tut mir leid: Eine sehr ernste Sache, wir hatten strenge Instruktionen. Er gehörte genau ans Ende der Wirbelsäule, da sollte er sitzen. Und hoch stehen. Er hielt an einem Häkchen, doch woraus bestand er - war es Watte? Es war auf jeden Fall eine synthetische Faser, die aussah wie gekämmte Wolle.

SZ: Irgendetwas Besonderes, was die Ohren konnten?

Debbie Harry: Sie waren auch aus Satin, innen drinnen war Draht. Man konnte sie auf verschiedene Art und Weise tragen, bog und drehte sie so, wie es einem gerade passte.

SZ: Wollte man damit, mit der Stellung der Ohren, etwas signalisieren?

Debbie Harry: Man konnte sich schon ein bisschen gelöster geben, wenn man sie hoch aufrichtete. Und wer traurig war und ein großes Trinkgeld zur Aufmunterung gebrauchen konnte, ließ sie natürlich hängen... Zu schade, dass wir die schönen Sachen nicht behalten durften. Obwohl sie für jedes Mädchen maßgeschneidert wurden. Sie wollten nicht, dass wir die Kostüme auf irgendwelchen Provinz-Partys auftrugen.

SZ: Galt es damals nicht als anrüchig, in einem dieser Clubs zu arbeiten?

Debbie Harry: Mir erschienen sie immer als eine sehr vornehme, glamouröse Einrichtung. Die ersten machten Anfang der 60-er Jahre auf, als ich noch zu Hause wohnte. Der Mann einer Freundin meiner Mutter war ein Mitglied der Playboy-Clubs. Er reiste viel, sah toll aus, flirtete mit mir. Ich war damals noch ein Teenager und dachte: Uh! Ah! Wenn solche Männer dort hingehen, muss das ein toller Laden sein!

SZ: Wie aber wurden Sie Bunny?

Debbie Harry: Als ich schon in New York lebte und dringend Geld brauchte, rief ich in dem Club an und vereinbarte ein Vorsprechen. Als ich ankam, standen schon haufenweise andere Mädchen vor der Tür; es war eine angespannte Atmosphäre, alle wollten ganz dringend diesen Job. Als ich ihn dann hatte, kam es mir wirklich zunächst so vor, als sei das die beste Stelle der Welt.

SZ: Insgesamt fünf Jahre arbeiteten Sie dort. Sie hatten die Stadt mit anderen Hoffnungen betreten; erschien Ihnen dieser Job nach einiger Zeit nicht wie ein Beweis für den Irrsinn, den Hohn der Unterhaltungsindustrie?

Debbie Harry: Puh, ich glaube, ich sah es unkomplizierter: Es war ein Abenteuer! Und wenn man eine Zeit lang blieb, sich geschickt anstellte und und dreimal die Woche arbeitete, konnte man sehr viel Trinkgeld mit nach Hause nehmen.

SZ: Kurz darauf gründeten Sie mit Ihrem Freund Chris Stein die Band "Blondie".

Debbie Harry: Als wir berühmt wurden, glaubten alle, Blondie sei ich, sogar Andy Warhol. Früher störte uns das. Heute bin ich sogar sehr stolz darauf.

SZ: Sie wurden in Miami geboren, wuchsen aber als Adoptivkind in einem Mittelklasse-Vorort in New Jersey auf. War das eine traurige Kindheit?

Debbie Harry: Ich habe es irgendwie hin gekriegt, es mir ein bisschen lustig zu machen. Am Besten waren die Drive Inns. Gibt es die hier?

SZ: Es gibt ein paar.

Debbie Harry: Drive Inns sind ein Riesenspaß, wenn man 15 Jahre als ist, an seiner konservativen Umgebung verzweifelt und einen netten Jungen mit Auto kennt. Sobald ich selbst einen Führerschein hatte, fuhr ich immer in eine schmierige kleine Stadt namens Paterson in New Jersey, und dort ging es dann ganz wundervoll.

SZ: Was?

Debbie Harry: Das Aufreißen.

SZ: Stimmt es, dass Sie damals auch als Prostituierte gearbeitet haben?

Debbie Harry: Nutte? War ich nie. Ich wollte Jungs kennen lernen, das war alles. Aber viele Leute sehen darin bis heute keinen Unterschied. Ich war jung und neugierig und ging auf und ab und spähte nach Typen, die mir gefielen. Es war eine Straße, auf der sich viele Jugendliche tummelten, tanzten, herumschoben... Wir nannten sie Cunt Mile.

SZ: Eine nahezu perfekte Vorlage für ein Gerücht.

Debbie Harry: Klingt mächtig sexy, was? Cunt Mile! Ich wollte den Namen die ganzen Jahre über benutzen, für einen Plattentitel, oder ein Lied, irgendetwas. Vielleicht bringe ich ihn irgendwann noch mal in einem Rapsong unter.

SZ: Was viele nicht wissen: Sie waren die erste Weiße, überhaupt auch die erste Frau, die einen Rapsong , "Rapture", in den amerikanischen Top Ten platzierte.

Debbie Harry: Auch nicht ganz unironisch, wenn man bedenkt, dass Rap eine chauvinistische schwarze Musikrichtung ist. Sehe ich da ein Bikinioberteil?

SZ: Oh. Ja.

Debbie Harry: Sie gehen heute noch baden?

SZ: Ich dachte daran.

Debbie Harry: Komisch. Ich trug auf der Bühne oft Badeanzüge, als wir noch kein Geld für andere Sachen hatten. Darüber vergisst man, dass man sie ja tatsächlich auch zum Baden benutzt.

SZ: Das Augenzwinkern an Ihrem Look, an Ihrem Image hat bis heute viele andere Künstlerinnen inspiriert, nicht zuletzt und erklärtermaßen Madonna. Glauben Sie, dass Madonna Humor hat?

Debbie Harry: Wer?

SZ: Madonna.

Debbie Harry: Sie sehen, ich muss mir das Lachen verbeißen. Allein die Frage ist schon ein prima Witz.

SZ: Sie meinen: nicht?

Debbie Harry: Wenn sie einen hat, hat sie ihn gut versteckt. Oder ist sie vielleicht damit berühmt geworden?

SZ: Sie waren die erste New Yorker Sängerin, die sich in den 80er Jahren nach dem Beispiel Marylin Monroes schminkte und frisierte, die ihren Sex-Appeal ausspielte, aber nie aus der Hand gab. Viele behaupten, Madonna habe Ihnen dieses Image gestohlen. Und sei damit so erfolgreich geworden. Versetzt Ihnen dieser Gedanke heute einen Stich?

Debbie Harry: Oh, Madonna wäre auch ohne mein Image so berühmt geworden, keine Frage, sie wollte nichts dringender. Und auch sie verehrt Marylin Monroe, ihre Wirkung - aber wer tut das nicht?

SZ: Tatsächlich haben Sie mal behauptet, Marylin sei Ihre leibliche Mutter.

Debbie Harry: Da habe ich mich wohl wieder einmal etwas missverständlich ausgedrückt. Ich träumte davon, dass sie es wäre. Sie war so unglaublich zerbrechlich. Und muss gleichzeitig doch ein wirklich zäher Brocken gewesen sein. Bewundernswert.

SZ: Sind Sie nicht auch einer?

Debbie Harry: Ich wollte jedenfalls immer mutiger rüberkommen als die Mädchen, die darüber singen, dass die Männer, die Welt ihnen das Herz gebrochen haben. Wahrscheinlich versuche ich es immer noch.

SZ: Es gelingt Ihnen.

Debbie Harry: Gut - es ist nämlich gar nicht leicht!

SZ: Dann zum Abschluss eine Kinderfrage: Wo kommt der Spaß eigentlich her?

Debbie Harry: Die wirklich guten Späße entstehen aus dem schrecklichen Schmerz. Witzemachen ist eigentlich nichts anderes als eine gute Überlebenstechnik.

Interview: Rebecca Casati

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