Süddeutsche Zeitung

Politik in Fernsehserien:"Es gibt einen Rückkopplungseffekt zwischen Popkultur und Politik"

Serien wie "House of Cards" oder "Borgen" können ein durchaus positives Bild von Politik vermitteln, sagt Politikwissenschaftler Niko Switek. Oder sie werden missbraucht - wie in China.

Interview von Benjamin Reibert

Politische TV-Serien sind präsenter denn je - nur Deutschland hängt hinterher, sagt der Politikwissenschaftler Niko Switek. Sein Buch "Politik in Fernsehserien" zeigt, dass die Formate neben dem Drama viele reale Aspekte des politischen Alltags abbilden. Gerade deshalb warnt Switek vor der Gefahr, dass sie von Autokraten und Diktatoren missbraucht werden können.

SZ: Herr Switek, die polnische Filmregisseurin Agnieszka Holland hat "House of Cards" mal als eine "gefährliche Schöpfung" bezeichnet. Die Menschen würden denken, dass Washington und die Politiker zynischer Abschaum seien und dass sie ihnen weder vertrauen noch sie respektieren müssen. Teilen Sie diese Einschätzung?

Niko Switek: Nur zum Teil. "House of Cards" enthält ja durchaus unterschiedliche Aspekte: Natürlich gibt's den reinen Machtzynismus. Aber es werden auch wichtige Mechanismen des politischen Betriebs detailliert und realistisch abgebildet. Man bekommt zum Beispiel einen guten Eindruck, wie die Mehrheitsfindung im Kongress funktioniert. Die Serie ist in solchen Bereichen durchaus ein Abbild der realen Politik. Man muss nur die Kompetenz haben, zwei wichtige Dinge auseinanderzuhalten: Wo ist es dramatisierte Erzählung? Und wo steckt doch ein wahrer Kern drin?

Wie realistisch können Serien wie "House of Cards" oder "The West Wing" überhaupt sein?

Diese Serien sind zunächst mal immer fiktiv - genau darin sind sie aber eben auch oft ein Spiegel ihrer Zeit, Gesellschaft oder Kultur. In "24" sieht man etwa ein aufgewühltes, hysterisches Amerika im permanenten Ausnahmezustand nach dem 11. September. Es geht um Terror, Folter und Angriffe von außen. "The Wire" zeigt die Drogenproblematik in Baltimore - und mit welchen Mitteln sie bekämpft wird. Diese Serien können und wollen nicht die vermeintliche Objektivität einer Doku haben. Aber sie verraten uns, wenn sie gut sind, viel über den politischen Zeitgeist. Man kann etwas darüber herausfinden, wie eine Gesellschaft Politik versteht.

Serien bieten also mehr als nur Unterhaltung?

Ja, das ist das Kernargument unseres Buches. Erst mal sind sie unterhaltend gedacht, aber wenn man sie durch die Brille von Theorien etwa aus Politikwissenschaft, Soziologie oder Kulturwissenschaft sieht, kann man durchaus wissenschaftlich relevante Erkenntnisse herausziehen.

Wie nimmt man Politik wahr, wenn man das alles sieht? Welches Bild von Politik vermitteln heutige Serien?

Falls Sie darauf hinauswollen: kein durchweg schlechtes. Seit die Sender bereit sind, auch komplexere Zusammenhänge abzubilden, kann man sehen, dass Politik auch immer inszeniert ist, welchen Einfluss einzelne Akteure haben - aber eben auch, wo systemische Zwänge sie beschränken. Vor allem die neueren Serien zeigen sehr gut, dass selbst mächtige Akteure innerhalb einer Partei oder eines Parlaments an Grenzen stoßen, selbst wenn sie weit oben in der Hierarchie stehen. Man sieht also, dass Politik viel mit Kompromissen, Tauschgeschäften, Allianzen, loyalen Unterstützern und Redenschreibern zu tun hat.

Serien arbeiten Wutbürgertum oder Elitenskepsis also vielleicht sogar etwas entgegen?

Ja, das denke ich schon. Natürlich zeigen Serien wie "House of Cards" auch, wie viel sich ohne Einfluss und Einblick der Bürger abspielt. Aber diese Serien respektieren dabei in aller Regel immer noch den demokratische Hintergrund, vor dem sie spielen: Underwood muss in seinen Wahlkreis, um zu verhindern, dass ein anderer Kandidat sein Mandat gewinnt. Man sieht, dass auch diese Politiker die Macht nur vom Volk delegiert bekommen und damit immer wieder darauf angewiesen sind, Mehrheiten zu organisieren - in ihrer Partei, in der Bevölkerung, über die Medien. Die Protagonisten mögen dabei sehr ruchlos sein, der Subtext dieser Serien ist letztlich aber doch oft ein demokratischer.

Beeinflussen sich Serien und Realität?

Absolut. Es gibt einen Rückkopplungseffekt zwischen Popkultur und Politik. Reden, die Präsidenten halten, oder die Inszenierung von Parteitagen nehmen Anleihen an Mustern, die man aus Serien oder Filmen kennt. Das kann so weit gehen, dass die Inszenierung in einer Serie im Sinne einer autokratischen oder diktatorischen Herrschaft genutzt wird. Die chinesische Serie "Im Namen des Volkes" zum Beispiel enthält sehr deutliche Spuren von Staatspropaganda.

Sind Serien für Sie auch deshalb wissenschaftlich interessant: Weil man kulturelle Unterschiede erkennen kann?

Exakt. Man kann Serien aus unterschiedlichen Ländern und Gesellschaften sehr schön nebeneinanderlegen und vergleichende Analysen vornehmen. Wie ist das Frauenbild in Politserien? Wie werden politische Verhandlungen dargestellt? Welche Strategien werden geschildert? So lernt man wiederum etwas über die Gesellschaften, aus denen die Serien kommen.

Brauchen wir mehr Serien, die sich mit dem deutschen Politikalltag auseinandersetzen?

In jedem Fall. Es ist sehr schade, dass Deutschland so hinterherhinkt. Die BBC ist da in Europa weiterhin das große Vorbild.

Das ZDF hatte es mit "Kanzleramt" versucht.

Ja, aber das war zu stark an "West Wing" angelehnt und als Kopie gedacht. Man hat den spezifischen deutschen Kontext zu wenig beachtet. Deswegen ist es auch gefloppt.

Eine Serie, die funktioniert, muss also an der Lebenswirklichkeit der Zuschauer anknüpfen.

Irgendeine Art von Bezug muss gegeben sein, sonst wird eine Serie als belanglos empfunden. Auch in der deutschen Politik gibt es genug Motive, an die man anknüpfen könnte, die jeder aus der tatsächlichen Politik kennt - die langen Nächte der Sondierungen der Koalition zum Beispiel. Oder jüngst der Streit über die Zuwanderungspolitik. Da braucht man ja schon fast keine fiktive Ergänzung mehr. Solche Sachen zeigen, wie aufregend und spannungsgeladen Politik sein kann.

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