Asylpolitik:"Das Bamf ist ein großes Versuchslabor"

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(Foto: dpa; Bearbeitung SZ)

Sabine Zimmer hat einen Dokumentarfilm über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gedreht. Als nun das Ausmaß der Überforderung ans Licht kam, war sie nicht überrascht.

Interview von Kathleen Hildebrand

Sabine Zimmer hat 2016 mit Co-Regisseurin Sandra Budesheim den Dokumentarfilm "Auf dünnem Eis - Die Asylentscheider" gedreht, der drei Entscheider bei der Arbeit beobachtet. Ihr Zugang ging so weit, dass sie während Teilen von Anhörungen filmen konnten. Der Film wurde im vergangenen Sommer auf Arte und im ZDF gezeigt und die Kurzfassung ist jetzt auf der Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung zu sehen.

SZ: Frau Zimmer, Sie haben 2016 für Ihren Film drei Asylentscheider über Monate hinweg bei der Arbeit begleitet. Waren Sie überrascht, als die Überforderung der Bamf-Mitarbeiter zutage kam?

Nein, waren wir nicht. Wir haben schon vor dem großen Flüchtlingsaufkommen erste Gespräche mit Entscheidern in Berlin geführt und schon da war eine Überforderung zu spüren. Ich war damals wahnsinnig überrascht zu hören, dass es nur 370 Asylentscheider in ganz Deutschland gibt. Dann wurde innerhalb von einem Jahr schnell reagiert. Von Ende 2014 bis Mitte 2016 hat das Bamf auf gut 1700 Entscheider aufgestockt. Aber uns war ziemlich klar, dass viel falsch laufen muss, wenn man so eine Entwicklung in einem Jahr vorantreibt.

Sie hatten einen außergewöhnlichen Zugang zum Bamf, wie haben Sie das Amt erlebt?

Wir haben zum Beispiel drei verschiedene Pressesprecher miterlebt, es gab eine hohe Fluktuation in der Verwaltung. Der Vergrößerungsprozess des Amts hat sich auch in den Abläufen bemerkbar gemacht. Die Entscheider haben hinter vorgehaltener Hand gestöhnt: Ständig kommen neue Verwaltungsbestimmungen, mal soll es so gemacht werden, mal so. Erst wurden Außenstellen zusammengelegt, dann neue aufgemacht. Dann mussten die alten Entscheider die neuen mitschulen. Wir hatten den Eindruck: Das ist ein großes Versuchslabor. Es wurde natürlich so gut wie möglich versucht, der Situation Herr zu werden, aber es war ein bisschen chaotisch.

Die Entscheider in Ihrem Film wirken extrem gewissenhaft. Sind sie repräsentativ für die Bamf-Mitarbeiter?

Die Entscheiderin, die wir in Hamburg begleitet haben, machte das seit 20 Jahren, die war wirklich ein alter Hase. Die hat das sehr routiniert gemacht, aber immer noch sehr motiviert. Die anderen beiden waren knapp zwei Jahre dabei, also auch versierte Entscheider im Vergleich zu den Neuzugängen, die schnell in den Fünf-Wochen-Lehrgängen geschult wurden. Man muss ehrlicherweise sagen: Wir hatten wirklich die Vorzeige-Entscheider. Das waren Leute, die den Job mögen, ihn gewissenhaft machen und auch qualifiziert dafür sind.

Haben Sie auch andere Mitarbeiter getroffen?

Wir haben natürlich auch Entscheider gesehen, die überfordert waren, krank, ausgebrannt vom Job. Eine Person, die nicht im Film vorkommen wollte, hat wahnsinnig gestöhnt unter den neuen Belastungen, den ganzen neuen Richtlinien, den ganzen Veränderungen. Die war eigentlich für den Job nicht mehr geeignet. Und trotzdem musste die Person täglich sehr viele Fälle bearbeiten.

In Ihrem Film scheinen die Entscheider eher zur Skepsis gegenüber den Flüchtlingen zu tendieren und überhaupt nicht zu vorschnellen Positiventscheidungen. Haben Sie das so erlebt?

Vielleicht war es eher die Skepsis, die überwogen hat, ja. Die Einstellung der Entscheider war: Wir müssen die Fälle gründlich prüfen, damit uns keine Lügenmärchen erzählt werden - und eher mal den Fehler in der Geschichte suchen als sie gutgläubig zu akzeptieren. Eine schnelle Positiventscheidung haben wir nur einmal erlebt, bei einem Entscheider, der eine junge Jesidin angehört hat. Wir saßen mit im Raum und deren Geschichte hat uns alle so mitgenommen - da wurden dann kaum noch Fragen gestellt. Da war relativ klar: Das ist eine Geschichte, bei der es sofort Asyl gibt. Aber sonst gab es öfter Zweifel, wurden die Identität und das medizinische Gutachten noch mal überprüft und die Sprachprobe noch mal gemacht.

Glauben Sie, dass es letztlich mehr falsche negative Asylbescheide gibt als - laut momentanem Verdacht in Bremen - falsche Zusagen?

Ja, absolut. In der Langfassung unseres Films kommt noch der Fall eines Somaliers vor. Das ist sehr subjektiv, aber wir fanden, das da falsch entschieden wurde. Wir haben ihm geglaubt, dass er einen Mordanschlag auf seinen Onkel miterlebt hat und selbst auch bedroht ist. Ich glaube, dass es eine ganze Menge Negativ-Entscheidungen gibt, die falsch getroffen wurden und die Menschen betreffen, die eigentlich schutzbedürftig sind.

Sie haben auch den Fall eines jungen Afghanen begleitet, der schon gut Deutsch sprach, gebildet war. Sein Asylgesuch wurde abgewiesen. Hatten Sie für diese Entscheidung Verständnis?

Für uns als Laien war das überhaupt nicht nachvollziehbar. Das war einer, der sich integrieren will, der gut Deutsch spricht, der schon über zwei Jahre da ist und einen Beruf hat, der für Deutschland attraktiv ist: Er ist Bauingenieur. Die Entscheiderin hat uns den negativen Asylbescheid so erklärt, dass das Bamf eben nicht darüber entscheidet, wer integrationswillig ist. Das Bamf entscheidet nur über die Erfüllung von Schutznormen. Wenn meine persönliche Meinung gefragt ist: Das ist die Krux an der Sache. Für Leute wie diesen Afghanen müsste es eigentlich ein Einwanderungsgesetz geben. Das würde abwägen: Kann hier eine Schutznorm greifen oder ist er ein Gewinn für die Gesellschaft? Aber weil die Asylbehörden darüber nicht urteilen, fallen Leute wie er durchs Raster. Nach der Ablehnung eines Asylgesuchs muss er zurück, egal, wie gut er sich hier integrieren könnte.

Was würden Sie dem neuen Leiter des Bamf empfehlen?

Ich würde sagen: Längere Schulungen wären gut. Früher sind die Neuen mit versierten Entscheidern mitgegangen und haben denen über die Schulter geguckt. Das war jetzt nicht möglich wegen der enormen Aufstockung. Es wäre wesentlich mehr Personal in den Außenstellen nötig, damit die Fälle nicht monatelang liegen bleiben. Und ich finde, man muss die Gesetze ändern. Das Asylgesetz müsste wirklich für politisch oder aus anderen Gründen Verfolgte da sein. Daneben müsste es ein reguläres Einwanderungsgesetz geben für die, die jetzt zu Unrecht Asyl beantragen. Die hätten dann eine Chance - wenn sie die Sprache lernen und einen Beruf erlernen wollen, der in Deutschland gesucht wird.

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