Süddeutsche Zeitung

Interview mit Hugh Masekela:Als wir Könige waren

Hugh Masekela, der das legendäre Festival "Zaire 74" organisiert hat, hat Jahrzehnte später den Mitschnitt herausgebracht. Im Gespräch erklärt er, warum.

Interview von Jonathan Fischer

Hugh Masekela, 78, ist einer der bekanntesten Musiker Afrikas. Seit den Sechzigerjahren hat er Jazz, Funk und Soul mit afrikanischer Musik fusioniert. Er spielte mit Dizzy Gillespie, Herb Alpert, Fela Kuti, den Byrds, Paul Simon und seiner damaligen Ehefrau Miriam Makeba. Welthits wie "Grazing In The Grass" stammen von ihm. Jetzt bringt Masekela einen historischen Konzertmitschnitt heraus: "Zaire 74 - The African Artists" (Wrasse Records). Das dreitägige Musikfest rund um den "Rumble In The Jungle", den Schwergewichtsboxkampf von Muhammad Ali und George Foreman, fand 1974 in Kinshasa statt. Masekela hatte es zusammen mit seinem Partner und Produzenten Stewart Levine organisiert. Es wurde zu einem wegweisenden Moment der afrikanischen Popgeschichte. Die Dokumentation bringt nun erstmals die daran beteiligten afrikanischen Musiker zu Gehör.

SZ: Es gibt bereits zwei großartige Dokumentarfilme über den Boxkampf und das Musikfestival 1974 in Zaire: das Grammy-nominierte "When We Were Kings" aus dem Jahr 1997 und elf Jahre später "Soul Power". Warum waren Sie nie damit zufrieden?

Hugh Masekela: Beide Filme vermarkteten das Ereignis aus westlicher Perspektive für ein westliches Publikum. "When We Were Kings" zeigt nur kurze Ausschnitte der Konzerte, während sich "Soul Power" vor allem auf die gastierenden Musiker aus Nordamerika konzentriert: also die Spinners, Bill Withers, die Crusaders, Celia Cruz - und natürlich James Brown.

Dessen Musik wurde damals auch in Afrika gefeiert.

Die Afrikaner waren nicht weltfremd. Sie kannten die amerikanischen Künstler aus dem Radio. In Wahrheit aber stellten diese nur die Hälfte der Show. Sie teilten die Bühne mit einigen der größten Musiker Afrikas: Miriam Makeba, Tabu Ley Rochereau und dem Orchestre TPOK Jazz und Franco, um nur einige zu nennen. Für die vielen Kongolesen vor Ort waren das die eigentlichen Stars. Und ihre Live-Darbietungen gehören zu dem Besten, was afrikanischer Pop der letzten Jahrzehnte zu bieten hat.

Afrikanische Musik war damals für den Westen bis auf ein paar Ausnahmen - Sie, Miriam Makeba und Olatunji - eine unbekannte Größe. Wollten Sie das mit dem Festival ändern?

Als Stewart vom "Rumble In The Jungle" hörte, witterten wir beide eine Chance: Mit einem Festival rund um den Boxkampf könnten wir die größten Stars Afrikas im Westen bekannt machen! Wir holten Franco und James Brown als Zugpferde. Ich gewann ein paar liberianische Banker für die Finanzierung des Ganzen. Und dann planten wir die Aufnahmen generalstabsmäßig: Amerikanische Toningenieure bauten ein eigenes Studio unter die Bühne in Kinshasa. Leon Gast, der schon Woodstock gefilmt hatte, bekam die Aufnahmeleitung. Und mit ihm arbeitete ein Dutzend Filmteams. Am Ende erlebte ich in Kinshasa eines der besten Festivals aller Zeiten.

Es hätte wohl die Wahrnehmung Afrikas im Westen ändern können - wenn die Aufnahmen auch veröffentlicht worden wären. Woran liegt die vierzigjährige Verspätung?

Don King, der Promoter des "Rumble In The Jungle" hat die Veröffentlichung der Mitschnitte jahrzehntelang blockiert. Sein Vertrag mit uns sicherte ihm zehn Prozent der Einnahmen an der Verwertung des Musikfestivals zu. Als er mitbekam, wie groß die Sache wurde, rief er mich an und wollte seinen Anteil verdoppeln. Ich sagte ihm: "Geh zur Hölle." Wir hatten noch Glück, dass Leon Gast es schaffte, die Aufnahmen aus dem Kongo herauszubringen.

Auf der Doppel-CD "Zaire 74" beeindrucken vor allem die großen kongolesischen Orchester mit einer Disziplin und Spielfreude, die sich mit den besten Auftritten James Browns messen lassen kann. Wie weit ging denn der Austausch zwischen Afrikanern und Afroamerikanern?

Die Afrikaner hatten sich monatelang auf das Festival vorbereitet, um gegen die besten Rhythm'n' Blues-Acts aus Amerika bestehen zu können. Dabei merkte man, wie sehr die schwarzen musikalischen Welten zusammenhängen: Celia Cruz etwa brachte afrokubanische Rhythmen auf die Bühne, die die Kongolesen längst in ihren eigenen Pop eingebaut hatten. Und auch James Brown entwickelte letztlich afrikanische Musikideen weiter - die Afrikaner jedenfalls sahen ihn als einen der Ihren an.

Im Kongo traf damals schwarze Popmusik mit Alis Black-Power-Botschaft und der von Mobutu gepredigten Rückbesinnung auf die afrikanische "Authenticité" zusammen. Wie viel davon diente nur der Propaganda des kongolesischen Diktators Mobutu?

Der Optimismus der Afrikaner damals war echt. Gerade hatte Guinea als eines der letzten Länder Afrikas seine Unabhängigkeit gewonnen, Mobutu hatte Reformen versprochen und die Wirtschaft im Kongo blühte. Ich erinnere mich an eine elektrisierende Karnevalsatmosphäre: Schon eine Woche vor unserem Musikfestival spielten Bands auf jeder Straßenkreuzung Kinshasas, die Menschen tanzten die ganze Nacht. Sie glaubten an eine große Zukunft.

Angesichts des politischen und wirtschaftlichen Chaos, das heute im Kongo und vielen der damals ihre Unabhängigkeit feiernden afrikanischen Ländern herrscht, wirkt dieser Optimismus etwas naiv.

Musik kann die Politik nicht ändern. Aber sie kann die Köpfe der Menschen öffnen. Und genau das leistete das Festival in Zaire für das Denken vieler Afrikaner: Zusammen mit dem Ali-Kampf etablierte es einen Schulterschluss zwischen den Afroamerikanern und den Afrikanern. Die Afrikaner fühlten, dass die Schwarzen in Amerika ihre Brüder und Schwestern waren. Sie betrachteten den Westen nicht durch die Brille von Frank Sinatra oder Marilyn Monroe. Ihre Bezugspunkte hießen James Brown und Harry Belafonte Und sie umarmten deren Kultur aus ganzem Herzen. Das hält bis heute an: Hören sie nur mal die nigerianischen Popstars wie Davido, Wizkid oder P-Square, die erobern mit ihrem afrikanischen Hip-Hop-Sound gerade die ganze Welt ...

Dennoch dauerte es nach dem Zaire 74-Festival noch ein ganzes Jahrzehnt, bis afrikanische Popmusik als sogenannte "World Music" auch im Westen große Erfolge feierte.

An den Afrikanern lag das nicht. Ich habe so viele Songs aus Afrika gehört, die das Zeug zu einem Welthit hätten. Aber der Westen brauchte lange, um diese Musik aus der Exoten-Ecke herauszuholen und etwa Youssou N'dour, Manu Dibango oder Salif Keita entsprechend zu vermarkten.

Sie haben die Hugh-Masekela-Stiftung gegründet, um Afrikaner über ihre Kunst, ihr Design, ihre Musik und Geschichte aufzuklären. Ist das nötig?

Wir haben über 500 Jahre in der kolonialen Gedankenfabrik verbracht, und wir sind immer noch nicht aufgewacht. Man hat uns verstreut und als Jamaikaner, Kubaner, Afroamerikaner und Afrikaner voneinander getrennt. Viele von uns glauben bis heute, dass wir von primitiven und barbarischen Kulturen abstammen. Viele von Afrikas heutigen Probleme resultieren daraus. Miles Davis riet mir einst dazu, meine eigene afrikanische Musik zu spielen. Denselben Ratschlag gebe ich an die Generation meiner Enkel weiter: Sie sollen sich erinnern, woher sie kommen. Im Westen wird jede noch so obskure Studio-Session heute wiederveröffentlicht. Viele der großartigsten afrikanischen Musiker aller Zeiten aber drohen in Vergessenheit zu geraten. Es ist Zeit, das zu ändern: Die Musik auf "Zaire 74" klingt heute noch frischer als viele der zeitgenössischen Hits.

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Quelle:
SZ vom 08.06.2017
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