Süddeutsche Zeitung

Internetvideo der Woche:Tief in ihm steckt ein Tier

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Mr. Bean findet ein unsichtbares Schlagzeug, und ein ganz haariger Bursche treibt eine Sängerin in den Wahnsinn: die besten und witzigsten Schlagzeug-Solos in der Clip-Kritik.

Christian Kortmann

Von allen solistischen Vorführungen einer Rockband ist das Schlagzeugsolo das am übelsten beleumundete. Besonders auf Live-Alben ist es gefürchtet. Wenn das Live-Publikum von Gruppen wie Led Zeppelin oder Rush in den 1970er Jahren mit zehn Minuten langen Schlagzeugsolos beglückt wurde, ist es schön, dass sich damit bandinterne Egozentriken ausleben ließen. Hört man die Aufnahmen jedoch heute, überspringt man die epischen Trommeleien lieber. Das hat nichts damit zu tun, dass diese schlechter gealtert wären als der Rest der Musik. Nein, da gab es nichts zu altern, auf Tonträgern haben Schlagzeugsolos immer schon genervt. Schlagzeugern muss man bei ihrer Arbeit zusehen!

Der Mann an den Drums hat den körperlichsten Musiker-Job, freier Oberkörper auf der Bühne ist für ihn angeraten. Im Rock will das Publikum tätowierte Muskeln bei Schwerstarbeit erleben. Die Bass-Druckwellen aus den Lautsprechertürmen sollen sich so anfühlen, als würden sie uns vom Masseur am Schlagzeug in die Magengrube geknetet. Wenn er dieses Schauspiel beobachtet, oder sich in der Computersimulation Guitar Hero ans Schlagzeug setzt, merkt auch der Laie, wie schwierig es ist, die rhythmischen Bewegungen von Armen und Beinen zu koordinieren.

Wie lässig dies hingegen bei einem Könner aussieht, demonstriert der Clip "Bernard 'Pretty' Purdie: 16th Note Shuffle". Der 69-jährige Schlagzeuger Bernard Purdie gelangte zu Netz-Popularität, weil er vom israelischen Remix-Künstler Kutiman in dessen Projekt " Thru-You", einer Mash-up-Zusammenstellung von musikalischen Fundstücken, eine prominente Rolle bekam.

Nie würde Herr Purdie sich wie ein Metal-Drummer obenrum entblößen, der schief sitzende Hut ist das einzige körperliche Zeichen des Aus-dem-Häuschen-Seins. Seine Glieder arbeiten zielgerichtet vor sich hin wie Tentakel eines indischen Rhythmusgottes. Purdie kommentiert sein eigenes Tun, als würde sein Körper vegetativ agieren und bräuchte seine Aufmerksamkeit gar nicht mehr: "Hi-Hat, ohhh yes!", unterhält er sich mit seinem Instrument, mit dem er eine Einheit bildet. Er ist der Motor der Maschine, oder andersrum: Das Schlagzeug ist sein Klangorgan.

Es lebt und kann ihn immer noch überraschen. Purdie spielt nach, wie er einst zufällig seinen Sechzehntel-Shuffle, den Purdie-Shuffle, erfand, wie er also sein "Hi-Hat, Pssh-Pssh, Yeah!" kennenlernte. So kompakt und zurückgenommen zelebriert das der Showman, dass am Ende der kurze Ritt über alle Trommeln und Becken zugleich wie ein ekstatischer Ausbruch und ein Vorgeschmack auf noch wildere Perkussionen wirkt. Doch es sind vor allem die Pausen, wenn Purdie nicht spielt und trotzdem das Intrument beherrscht, die seine Souveränität demonstrieren.

Es gibt viele Videos im Netz, in denen zähe tätowierte Männer mit aller Gewalt im Höchsttempo ihre im 360-Grad-Winkel um sie errichtete Schlagzeug-Burg bearbeiten. Schlagzeuger, das ist die Botschaft, sind wie wir, tief in ihnen steckt ein Tier. Und zwar eines wie Animal, das einst in der "Muppet Show" die Sängerin Rita Moreno in den Wahnsinn trieb:

Am deutlichsten werden die körperlichen Anforderungen des Instruments jedoch in einem Clip, in dem überhaupt kein Schlagzeug zu sehen ist: In "Invisible Drum Kit" findet der in der Rolle des Mr. Bean bekannt gewordene Komiker Rowan Atkinson als Hausmeister ein unsichtbares Schlagzeug.

Erst hört man das rhythmische Geräusch des Fegens, dann stößt der Hausmeister gegen die Trommeln. Atkinson kommt in "Invisible Drum Kit" zwar ohne Instrument aus, dennoch sind für seine Nummer die gleichen Fähigkeiten gefragt, Timing, Koordination und Rhythmusgefühl, als säße er an einer echten "Schießbude", wie das Schlagzeug im Fachjargon gerne genannt wird.

Schnell wird der Umgang mit dem unsichtbaren Material sicherer. Wie Bernard Purdie gibt Rowan Atkinson auch in Pausen, als etwa die Stöcke zu Boden fallen, die Kontrolle über das Instrument nicht auf. Das wird von der Rhythmusmaschine erwartet: Sie muss ununterbrochen laufen.

Sogar als am Ende die Katze das Schlagzeug feindlich übernimmt, behält Atkinson mit Augen und Mimik die Kontrolle. In "Invisible Drum Kit" wird das Schlagzeugspiel zur bildlichen Verkörperung von Rhythmusgefühl. Die Phantasie ist eben immer noch die ultimative Simulation.

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