Internetvideo der Woche:Täglich grüßt der Tittibär

Nächtlicher Wahnsinn hat einen Namen: Homeshopping-TV. Wer glaubt, er könne ohne satanistische Kuscheldecke leben und ohne "Tiddybär" Auto fahren, sollte jetzt genau hinschauen.

Christian Kortmann

Nach wie vor und vor allem in der Nacht wird das Fernsehen von Homeshopping-Präsentatoren heimgesucht. Man muss sich die Porzellanpuppen und Gemüsegemetzel-Sets, die sie aufgekratzt präsentieren, zwar nicht andrehen lassen, doch von ihrem irren, kleinkinskihaften Auftreten unbeeindruckt bleiben, das kann man nicht. Während das Homeshopping-Genre in Deutschland von diesen hyperaktiven Verkäuferderwischen geprägt wird, hält die US-amerikanische Heimat des Homeshoppings die wahren Preziosen bereit: kleine filmische Infomercial-Juwelen, in denen die Vorzüge eines für die Realität irrelevanten Produkts in einer surrealen, diesem Produkt in allen sinnlosen Details angepassten Szenerie angepriesen werden.

Beim Snuggie etwa handelt es sich um eine Decke mit Ärmeln, dank der die Zeiten des unbefriedigenden Abhängens auf der Couch passé sind: Nie mehr wird man sich mit entblößten Armen ungemütlich verkühlen oder sich beim Griff zum Telefon gefährlich in der Decke verheddern. Das Wohnzimmer ist aus Snuggie-Perspektive ein Terrain des alltäglichen Nahkampfs: Lesen, Stricken, Essen, Telefonieren, Fernsehen, die einfachsten Dinge werden durch den Snuggie neu erfahrbar. Zudem ist der heizkostenminimierende Snuggie das Accessoire für sparsame Zeiten.

Die Snuggie-Runde, die ihre Opfergaben am sechseckigen Feuertisch grillt, könnte als satanistisches Motiv nicht schöner für ein Led-Zeppelin-Plattencover arrangiert worden sein. Wunderbar auch die Snuggie-Familie auf der Sportplatztribüne: Ja, da freuen sich die Eltern ob der optischen wie mentalen Harmonie, doch für die arme Tochter wird in diesem Moment ein Stigma bis ans Ende ihrer Schultage geschaffen. Denn ab sofort ist sie bei ihren Mitschülern unter dem Necknamen "Snuggie-Schlange" oder "Kartoffelsack-Katie" bekannt.

Derart ganzheitlich und variantenreich ist der Snuggie-Nutzen in der Welt des Snuggie-Clips, dass man sich fragt, wie man vorher nur ohne dieses lilafarbene Vlies in Übergröße leben konnte und wie absurd der Versuch war, es überhaupt zu versuchen. "One size fits all": Wie der Snuggie allen passt, so gemeindet das maschinenwaschbare Heilsversprechen zum Discounttarif auch alle Anwender in den Kult der Nützlichkeit ein.

Wenn zwei Snuggie-User sich in der Öffentlichkeit begegnen, grüßen sie sich bestimmt mit einer sanften Verbeugung und finden sofort eine gemeinsame Gesprächsebene, "ultra-soft" und "ultra-warm". Könnte man diese glücklichen Menschen noch glücklicher machen? Ja, mit dem "Chia Obama", das glauben zumindest die Macher des folgenden Infomercials.

"Chias" sind Figuren aus Ton, die gewässert und dann mit Chia-Samen bestückt werden. Gießt man sie, so wuchert das Grün wie eine Behaarung aus der Tonfigur. Die Barack-Obama-Sonderedition sorgte nun in den USA für Wirbel, eine Gartenmarktkette nahm den "Chia Obama" aus dem Sortiment. Zum einen, so war kritisiert worden, sei die Figur rassistisch, zum anderen stieß man sich daran, dass eine messianische Person der Zeitgeschichte für Devotional-Trash missbraucht würde.

Dabei ist dieses Produkt derart gaga, dass es Barack Obama, wollte es ihn beleidigen, überhaupt gar nicht berührt. Und für alle anderen stolzen Amerikaner, die es nur in ganz einfacher Darstellung verstehen, ist es schön, dass sie den Change täglich mit eigenen Augen auf Obamas Kopf verfolgen können, wo ein Green-Pride-Afro wuchert. Sein demokratischer Vorgänger im Weißen Haus hatte schließlich nichts mit Gras am Hut, er hat es noch nicht mal inhaliert.

Auch Barack Obama wird die wirklichen Probleme des Alltags nicht in den Griff bekommen, wie etwa das unbequeme Drücken des Sicherheitsgurts im Auto. Der Gurt hat bei Ihnen noch nie gedrückt? Nun, das denken Sie!

Sorgt man für einen Vergleich und schafft den Tiddy Bear an, wird im Nu auch das Autofahren zum ganz neuen Erlebnis: Der "Tittibär" ist für die Fahrgastzelle das, was der Snuggie fürs Wohnzimmer ist, ein Komfortgarant für ein besseres, weicheres Leben. Plötzlich reist die Nutzerin wieder gerne in die Welt hinaus. Vom großen Freiheitsversprechen müssen am Ende nur so viele Verkäufe übrig bleiben, dass sich die Werbung rentiert.

Es ist übrigens von entscheidender Bedeutung, dass der Tiddy Bear nicht einfach nur ein Kissen ist. Denn dann könnte man mit seiner Tatze nicht so schön in die Kamera winken. Auch als Ansprechpartner für die Monologe auf der Fahrt ins Büro, das weiß ich aus eigener Erfahrung, ist Tiddy ein Supertyp.

PS: Sollten Sie sich noch nicht vom Snuggie erholt haben, keine Sorge, das geht auch anderen so. Hier die entsprechende Parodie, für die der Text nur geringfügig verändert wurde, um den satanistischen Kern des Snuggie-Kultes freizuschälen.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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