Süddeutsche Zeitung

Internetvideo der Woche:Sprung aus der Schüssel

Vergessen Sie den Kopfsprung vom Zehner, das weltweite Halbstarkentum springt jetzt aus Swimmingpools heraus. Die Kraft- und Mutprobe dieses Sommers in der Clip-Kritik.

Christian Kortmann

Originalität besteht manchmal darin, einfach das Gegenteil zu tun: So prestigeträchtig es ist, sich unter Bauchfletschergefahr kopfüber vom Zehnmeterturm ins Schwimmbecken zu stürzen, die weitaus schwierigere Aufgabe besteht darin, aus einem möglichst tiefen Becken heraus an Land zu springen. Aber daran wagte man bislang nicht zu denken, wenn man sich nach ein paar 50-Meter-Bahnen Hundekraul mit Mühe aus dem Pool wand, die Arme gummiweich, und das Wasser, das aus der nassen Hose tropft, schwer an den Beinen ziehend wie flüssiges Blei.

Und dann erst der Respekt vor der Beckenkante! Im Zusammenspiel mit den rutschigen Schwimmbadkacheln ist sie die erbarmungslose Gegnerin von Schienbein und Zehen. Doch weil das Publikum am Beckenrand unterhalten werden will, das weltweite Halbstarkentum mal wieder zu viel Freizeit hatte, und sich die währenddessen konzipierten Flausen dank YouTube rasch verbreiten, gibt es in diesem Sommer eine neue Kraft- und Mutprobe. Eingeführt hat sie der Football-Spieler Jarron Gilbert mit seinem Clip "Jarron Gilbert jumps out of pool".

Der Gründungsmythos des Pool-Rausspringens findet sich sogar auf der offiziellen Website der US-amerikanischen National Football League (NFL): "Das war keine große Sache für mich", erklärt Gilbert dort, "ich hab's einfach gemacht und bin aus dem Pool gesprungen. Dann habe ich es filmen lassen, damit es mir auch jeder glaubt."

Man entnimmt seinen Worten, wie wichtig die Außenwirkung bei dieser Aquagymnastik ist. Der geglückte Aus-dem-Pool-Sprung ist ein Statussymbol der Fitness, eine Kombination aus Technik, Mut, Schnelligkeit und Kraft. Wie schwierig das ist, sieht man am besten in den Clips, in denen es nicht gelingt.

Als Pionier gebührt Gilbert das Privileg, den Ablauf des Rituals vorzugeben: Er kauert konzentriert an der Poolkante, so tief in den Knien, dass ihm das Wasser bis zum Kopf reicht, was das Becken tiefer und den Trick noch eindrucksvoller aussehen lässt. Im Hintergrund dümpelt als Staffage ein anderer Mensch im Wasser. Weder er noch Gilbert reagieren auf den geglückten Sprung mit großem Jubel, das Besondere soll selbstverständlich sein.

Auch der Kampfsportler BJ Penn gehört zu den Jungs, die zum Abkühlen mehr als ein erfrischendes Bad brauchen und mindestens so stark wie Gilbert sein wollen.

Im Clip "BJ Jumps out of the Pool" baut er mit der langen Konzentrationsphase Spannung auf. Dann schnellt er aus dem Wasser und gesellt sich zu seinen Freunden, die schon im Whirlpool auf ihn warten und seine Leistung lobpreisen: Aus drei Fuß Wassertiefe, gut 91 Zentimetern, sagt einer, hätten nur drei Menschen auf der Welt diesen Sprung geschafft. Für Nachahmer kann es keinen größeren Ansporn geben. Der wie immer dubiose YouTube-Weltrekord liegt momentan bei vier Fuß, 1,22 Meter.

Pool-Rausspringen wäre keine ernstzunehmende Sportart, wenn sich nicht auch ihre technische Schwierigkeit steigern ließe. So setzt der Football-Spieler Keith Eloi neue Maßstäbe, wenn er im Clip "Keith Eloi jumps out of the Pool BACKWARDS!!!!" rückwärts aus einem drei Fuß tiefen Becken springt.

Zu ungewöhnlich ist dieses Bewegungsmuster, als dass es die User im Netz widerspruchslos hinnehmen könnten. In den Kommentaren unter dem Video herrscht der übliche Glaubenskrieg, ob es sich um eine verblüffende sportliche Leistung oder um eine digitale Manipulation handele.

Wer will, möge sich die Einzelbildschaltung vornehmen und rätseln, ob und wie hier getrickst wurde. Doch der beste Glaubwürdigkeitsbeleg ist der Wettbewerb unter den Football-Spielern und Kraftsportlern, die stolz auf ihre Muskeln und Fähigkeiten sind und für die Fitness eine Ehrensache ist. Gut zu diesem Männlichkeitskult passt auch der Kampfhund, der am "3 FT."-Schild vorbeiläuft.

Keiner der Pool-Rausspringer kann es sich leisten, zu manipulieren, denn das kommt am Ende immer raus, spätestens wenn sich die Mythbusters eines erfolgreichen Videos annehmen. Gar nicht aus einem Pool springen zu können und stattdessen als Poser und Lügner enttarnt zu werden, das wäre noch viel peinlicher als ein Bauchfletscher vom Zehner im ausverkauften Freibad. Rote Köpfe und Bäuche hier wie da, nur Mitleid zeigen Kampfhunde und Whirlpool-Kumpel keines.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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