Internetvideo der Woche:Schweißtreibende Dreharbeiten

Bei Kate Moss kann es schon mal lauter werden: Ist Stangentanz niveauloses Stripklub-Vergnügen, ernsthafter Sport oder Kunst? Pole Dancing in der Clip-Kritik.

Christian Kortmann

Ein Tanz kann sich seine Tänzer nicht aussuchen: Demi Moore in "Striptease", Elizabeth Berkley in "Showgirls" und Legionen von Stripklub-Reportagen im Privatfernsehen haben das Image des Stangentanzes ruiniert. Das, was dem Tango positiv angerechnet wird, dass er nämlich vertikaler Ausdruck einer horizontalen Leidenschaft sei, gilt beim Pole Dancing als Makel, weil die Stangentanz-Bewegungsmuster im üblichen Umfeld zu eindeutig erotisch sind. Emanzipieren kann sich Pole Dancing nur in einem Kontext, in dem Sex nicht zwangsläufig als Ursache und Wirkung des Tanzes erscheint. Solch eine neutrale Plattform bietet das Medium Internetvideo, wo der Stangentanz vom Ruch der Stripklubs und ihrem johlenden Publikum befreit ist.

In "pole dancing clips" steht die Stange in einer Garage. Der Raum wurde erkennbar für ein Hobby umfunktioniert, hat aber dennoch eine professionelle Aura, weil er an ein Feuerwehrgerätehaus erinnert: Jeden Moment könnten Feuerwehrleute die Stange hinunterrutschen, um in die Löschfahrzeuge zu hetzen und, tatütata!, in die brennende Stadt zu fahren.

Aber bis es soweit ist, demonstriert die Tänzerin namens TaraKarina die Schönheit der Leichtigkeit: Wie eine Trapez- oder Ringturnerin fixiert sie ihre Figuren an der Stange, drückt sich in die Horizontale, und man staunt über die Kraft des nicht nach Kraft aussehenden Körpers. Wenn sie langsam an der Stange nach unten rutscht, scheint sie die Schwerkraft zu kontrollieren. Der starren Kameraperspektive steht diese Beherrschung der Längsachse durch TaraKarina entgegen: Tanzen in der Ebene können wir ja alle irgendwie, doch sie entschwebt sogar nach oben aus dem Bild.

Das Video passt in seiner formalen Strenge zu Fergies unterlegtem Song "Fergalicious", in dem es um den Sex-Appeal einer selbstbewussten Frau und die Projektionen der Männerwelt geht: "But I ain't promiscuous / And if you was suspicious / All that shit is fictitious." Ja, es könnte sogar der offizielle Clip sein, denn die Bildmotive passen zu denen des Textes: "I'm Fergalicious (so delicious) / My body stay vicious / I be up in the gym just working on my fitness."

Hinter der Leichtigkeit von TaraKarinas Bewegungen steckt nicht nur Talent, sondern auch harte Arbeit: Nach eigenen Angaben hat sie drei Monate lang sechs bis acht Stunden täglich trainiert. Zunehmend werden die sportlichen Aspekte des Stangentanzes populär. Bei denen, die immer zuerst um neue Moden wissen, ist der neue Sport schon angekommen: Kate Moss tanzte bereits im "I Just Don't Know What to do With Myself"-Musikvideo der White Stripes an der Stange. Zusammen mit ihrer Freundin Sadie Frost betreibt sie nun auch privat nächtliches Pole Dancing, und zwar so laut, dass die Nachbarn schon mal die Polizei rufen: Ganz ernst kann man diese Interpretation als Sport also auch wieder nicht nehmen.

Angeblich erst in den frühen 1980ern in Kanadas Stripklubs erfunden, reichen die Wurzeln des Tanzens an Stangen über Maibaum-Traditionen wie indische Yoga-Übungen bis ins 12. Jahrhundert zurück. Die Erotik, die der Tanz ausstrahlt, ließ ihn seit jeher zwischen gesellschaftlicher Anerkennung und Verbannung in Rotlichtmilieus pendeln.

Diesen Doppelcharakter führt der Clip "Kelly Kayne Champion Pole Dancer" bestens vor: Schön, wie die Welt der erotischen Nachtunterhaltung - Lendentattoo, hohe Stiefel, enges Top - mit der nüchternen Sportlichkeit der Stimme aus dem Off zusammentrifft. Die Tänzerin Kelly Kayne demonstriert diverse Stangentanz-Figuren und ihre bildhaften Namen: Candy Cane Corkscrew, Body Wave, Flagpole, Vertikalspagat oder Monkey Drop.

Hier zeigt sich, wie beim Pole Dancing mit großem Know-how Schönheit erzeugt, beziehungsweise in Szene gesetzt wird. Die Zeitlupe verdeutlicht die Athletik, die der Show zugrunde liegt, doch bei aller Höchstleistung wird immer entspannt in die Kamera gelächelt: Stangentanz ist Show-Geschäft, und das ist eben immer auch ein Lehrberuf - die YouTube-Videos von stangentanzenden Amateuren, denen der Monkey Drop misslingt und die deshalb auf dem Gesicht landen, belegen dies.

Hat man diese Bilderbüchse einmal geöffnet und begonnen, im Netz nach Pole Dancing zu suchen, stößt man auf erstaunlichen Stoff. Der Clip "African Pole Dancer" zeigt, dass die nordamerikanische Stangentanz-Variante vielleicht nur ein Zitat einer größeren Kunst ist, nämlich der, an einer frei stehenden Stange ohne Standfuß zu tanzen: Dank Internetvideo erhält das Thema wieder einmal eine ethnologische Vergleichsebene.

Der Stangentänzer in Uganda, der nach YouTube-Kenntnisstand seine Nummer in touristischen Zentren vorführt, ist ein Profi wie Kelly Kayne. Er musiziert zudem selbst mit der Pfeife, ein Mitarbeiter reicht ihm die Stangen an: Hier wird der Tanz von Kraft um eine Mitte zum verblüffenden Kleinunternehmen. So wie manche Tänzer einen Tanz ruinieren können, schenken andere ihm eine Bedeutung, die er zuvor nicht hatte.

Das "Leben der Anderen" kommt nach Hannover: Am Dienstag, dem 25. März 2008, um 20 Uhr stellt Christian Kortmann im Literarischen Salon der Universität Hannover die besten Internetvideos vor und diskutiert mit Mathias Mertens über aktuelle Netzphänomene.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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