Internetvideo der Woche:Hund um die Uhr

Was machen unsere Haustiere, wenn sie sich unbeobachtet fühlen? Mit Hilfe von Überwachungskameras wird eine der großen Fragen der Menschheit beantwortet.

Christian Kortmann

Ordnung, Folgsamkeit und Disziplin, selbst antiautoritäre Reformpädagogen kommen nicht umhin, diese Eigenschaften bei einer bestimmten Gruppe von Zöglingen einzufordern: und zwar beim eigenen Haustier. Denn ein Minimum an Hackordnung muss gewahrt bleiben, wenn sich das Home vom Castle nicht in ein Boot-Camp unter der Herrschaft eines tyrannischen Chihuahuas verwandeln soll. Schließlich will man selbst entscheiden, ob man seinen Teller leer essen oder im eigenen Bett schlafen darf. Denn sonst muss man den Haustierpsychologen rufen und landet als bedauerliches Fallbeispiel im Privatfernsehen.

Katzen und Hunde akzeptieren ihre Degradierung ins zweite Glied, etwa die Vertreibung aus dem Bett, erstaunlich gelassen. Nun, sie können sich diese Gelassenheit auch leisten und hübsch plakativ wieder auf dem Boden schlafen, weil sie schließlich genug Zeit unbeobachtet in der Wohnung verbringen, in der sie sich austoben können. Doch der Mensch, auch nicht unclever und mit reichlich Zeit für Luxusprobleme gesegnet, ahnt, dass etwas hinter seinem Rücken läuft, und geht dem Doppelleben mit Überwachungskameras auf den Grund: Haustiere plus Kameras plus zu viel Freizeit, das ist die Formel, die einen beträchtlichen Teil des YouTube-Inhalts hervorgebracht hat.

In zahlreichen Videos wird versucht, die haustierische Aktivität festzuhalten. Das Ergebnis ist nicht immer überraschend und bestätigt den auf alle Lebewesen zutreffenden Generalverdacht der Verschlafen- und Verfressenheit: Da werden Tage dösend auf Sofas verbracht oder es werden mit möglichst vielen Pfoten auf dem Küchentisch die Vorräte inspiziert.

Doch nur selten gelingt es, ein umfassendes Bild oder zumindest einen ganzheitlichen Ausschnitt des Haustierlebens einzufangen, da man zu diesem Zweck Kameras in allen Räumen stationieren oder High-Tech-Roboter einsetzen müsste. Noch ist die Idee, das geheime Leben der Haustiere zu ergründen, größer als das künstlerische Ergebnis. Denn wer möchte trotz aller Neugier schon, dass sein geliebtes Haustier im Überwachungsstaat aufwächst?

Eine gelungene Haustierobservation zeigt der Clip "Cat Annoys Sleeper All Night Long", in dem das nächtliche Treiben einer Hauskatze verfolgt wird, während ihr Besitzer schlafend im Bett liegt. Vielleicht wachte er öfter mal mit juckenden Katzenhaaren in der Ohrmuschel auf, jetzt weiß er, wie sie dort hinkommen. Im Zeitraffer werden die Geschehnisse von ein Uhr in der Nacht bis acht Uhr morgens zusammengefasst: Der Mann schläft schwer und tief durch, die nachtaktive Katze findet keine Ruhe.

Nach drei Stunden wälzenden Abliegens am Matratzenrand beginnt sie, sich zu putzen, um dann im frühesten Morgengrauen die Weckphase für ihren Besitzer einzuleiten. Sie klettert auf seinen Rücken und guckt mal genau nach, wo die Schnarchgeräusche herkommen. Nach einer Wohnungsexpedition kehrt sie auf den Rückenberg zurück, wo sich aber immer noch nichts getan hat. Als es hell wird, versteht sie keinen Spaß mehr und intensiviert die Weckbemühungen, weil es alleine furchtbar langweilig ist. Doch sie muss einsehen, dass ihr Besitzer es ernsthaft auf acht Stunden Schlaf anlegt. Katzen würden Wecker kaufen.

Die Idee eines Haustier-Privatlebens jenseits der menschlichen Kommandoebene illustrieren nicht die unspektakulären authentischen Videos am besten, sondern jene, die zeigen, wie dieses animalische Privatleben aussehen könnte. So kursiert der Clip "Dog loves the pool slide!" im Netz mit Kommentaren, die behaupten, dass es sich um ein Überwachungskameravideo handele.

Doch die Kamera wackelt, Menschen haben die Szene im tropischen Hinterhofparadies beobachtet, zugelassen, vielleicht gar provoziert. Ob er nun davon wusste oder sich unbeobachtet glaubte, der Dobermann ist nicht mehr bei uns, sondern auf seine Wasserrutschenwolke entschwoben. Leidenschaftlich gibt er sich dem zyklischen Triathlon aus Treppenlauf, Rutschen und Schwimmen hin.

Man kann als Mensch durchaus neidisch werden auf diesen Hund, der etwas gefunden hat, das besonders viel Spaß macht und niemals endet. Wir hingegen schlagen uns seit Jahrtausenden melancholisch mit den schönen Augenblicken herum, die einfach nicht verweilen wollen. Für den Dobermann geht's so lange rund auf Fortunas Rad, rauf auf die Rutsche und wieder rein ins Wasser, bis er irgendwann vor Erschöpfung zusammenbricht.

Der Dobermann hat sich emanzipiert. Er beherrscht den Mechanismus, der den Wasserstrom auslöst, das ist die Grundlage seines Glücks. Bei anderen Spielen, etwa dem Stöckchenwerfen, ist er auf menschlichen guten Willen angewiesen. Der kleine weiße Hund, der im Video aus dem Bild läuft, bewundert seinen großen Freund für seine Selbständigkeit. "Er kann sich gut mit sich selbst beschäftigen": Auch für Hunde ist das ein Kompliment.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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