Süddeutsche Zeitung

Internetvideo der Woche:Hätten sie doch Luftgitarre gespielt

Niemand hatte die Haare schöner als die Rockband Europe. Ihr Welthit "The Final Countdown" dient als Vorlage zur besten schlechten Coverversion aller Zeiten.

Christian Kortmann

Aus Nachahmung kann große Kunst entstehen, so weit der Gemeinplatz. Doch der Haken an der Sache ist, dass das Resultat der Nachahmungsbemühungen mindestens ebenso oft in dilettantischem Scheitern endet: Im Clip "The Final Countdown... LIVE!" entern fünf junge Männer eine Bühne im hellsten Tageslicht, um den bekanntesten Song der schwedischen Glam-Metal-Band Europe nachzuspielen.

Ob es die Probe für einen späteren Auftritt oder bereits dieser selbst ist, weiß man nicht - es handelt sich jedenfalls um eine Beschäftigung aus der Sparte "Quatsch am Nachmittag". Gut vorstellbar, dass die Jungs am Rande eines Dorffestes spielen, die Festbesucher aus unerfindlichen Gründen aber mehr Bier- und Würstchenstand zugeneigt sind.

Die fünf haben sich einen einheitlichen Look in Schwarz zugelegt und sehnen sich nach dem Rockstar-Gefühl, das man besten auf der Bühne bei einem Open-Air-Konzert erleben kann. Denn sie covern nicht nur den Song "The Final Countdown", sondern auch das Musikvideo aus dem Jahre 1986, in dem eine Live-Show mit ekstatischen Massen zu sehen ist. Die fünf Europe-Musiker um Sänger Joey Tempest trugen damals topmodische schwarze Lederblousons, deren Ärmel unbedingt bis zu den Ellenbogen hochgeschoben werden mussten, und dazu blonde Vokuhila-Dauerwellen.

Doch die Wiese vor der Open-Air-Bühne, wo eigentlich unter dem Ansturm der Fans jeder Grashalm plattgetreten sein und sich das Geläuft mit anschwellender Publikums-Trance in eine bier- und schweißgetränkte Schlammlandschaft verwandeln müsste, ist leer. Man ahnt, dass sie sich bei dieser Art Darbietung so schnell nicht füllen wird. Immerhin wahrt der Zuschauer in der Videoperspektive die Blickdistanz des Stadionkonzerts: Die Gesichter der Band sind nicht erkennbar, stecken verborgen unter den Kappen.

Erste Reaktionen sind bereits im Clip zu beobachten: Ein Roadie kommt auf die Bühne und legt das Ohr an den Lautsprecher. Es ist aber kein technisches Problem, das für den Sound verantwortlich ist. Ein Passant läuft durchs Bild und grinst belustigt in die Kamera, als fragte er sich: "Wer filmt denn so was?"

Doch wer nun denkt, hätten sie mal lieber Luftgitarre gespielt, irrt. Trotz ihrer musikalisch-technischen Unzulänglichkeiten wollen die fünf den Pathosrockern von Europe nacheifern, und dieser Wille zur Haltung zählt. Wenn sich der Zuschauer anfangs noch wundert, warum sich die Musiker nicht dazwischenwerfen und ihrem Sänger erklären, dass Singen wohl nicht sein größtes Talent ist, versteht er spätestens beim Solo der eineiigen Gitarristen, dass die Band kollektiv entschlossen ist, diesen Weg zu gehen. Dabei gelingt ihnen eine gewagte, aber durchaus gültige Interpretation von "The Final Countdown".

Denn die Kunst einer Coverversion entfaltet sich zwischen originalgetreuer Wiederholung und Neudeutung. Auch wenn sie, wie die besten Coverversionen von Johnny Cash, "Rusty Cage" (im Original von Soundgarden) oder "I Won't Back Down" (Tom Petty), das Original in eine völlig andere musikalische Lage übertragen, wird der Kern des Kunstwerks umso deutlicher. Bei YouTube gibt es neben professionellen Bearbeitungen erstaunliche Coverversionen von Amateuren zu entdecken, die früher allenfalls den Weg in den erweiterten Bekanntenkreis fanden: So stößt man etwa auf die Dudelsack-Variante der "Star Wars"-Titelmusik, selbstverständlich mit Darth-Vader-Maske vorgetragen.

Maskiert, mit Guinness-T-Shirt und Dudelsack, bewegt sich der "Star Wars"-Fan auf dem sicheren Terrain der Ironie, weil er das Werk in einen anderen kulturellen Rahmen einbettet. Die jungen Europe-Epigonen haben es bei ihrem Nachahmungsversuch ungleich schwerer: Sie dekonstruieren zwar erkennbar "The Final Countdown", aber die Einzelteile, Sound, Look und Attitüde, liegen anschließend allesamt irgendwie verbogen im Vorbühnengras. So glaubt etwa der Sänger, wenn er das Wort "Venus" wiederholt, als sei es sein eigenes Echo, und mit dem Arm ins Weltall deutet, nicht daran, dass seine Gesten wirklich gesehen werden.

Auch die Hamburger Band Tocotronic hat sich im Song "Let There Be Rock" mit dem von vielen Musikern gecoverten "The Final Countdown" beschäftigt und das charakteristische Keyboard-Riff als quakendes Sample übernommen. Der Text scheint die Szenerie des "The Final Countdown... LIVE!"-Clips um die auf Industriepaletten errichtetete Open-Air-Bühne zu beschreiben: "Wir haben gehalten, in der langweiligsten Landschaft der Welt ... Ich höre dich sagen, mehr leise als laut, das haben sich die Jugendlichen selbst aufgebaut."

Der Geist des Songs wird also von beiden Reminiszenzen auf jeweils eigene Art eingefangen. Deshalb, weil sie eine verzerrte Karikatur des Originals abgibt, ist "The Final Countdown... LIVE!" eine gute schlechte Coverversion: Hier klingen Europes Frisuren endlich so, wie sie immer schon aussahen.

Sie meinen, man kann einen Song noch besser schlecht covern? Dann schicken Sie bitte einen Link oder Hinweis an: christian.kortmann.extern@sueddeutsche.de

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