Süddeutsche Zeitung

Internetvideo der Woche:Er hat sich stets bemäht

Dann eben mit Düsenantrieb: Rasenmähen ist eine der großen Plagen der Zivilisation. Alle hassen es, denken aber, sie müssten es tun. Die Mäh-Manie in der Clip-Kritik.

Christian Kortmann

In Teenagerzeiten verdiente ich mein Taschengeld mit dem Rasenmähen für eine ältere Dame. Ihr Garten war an manchen Stellen steil, dafür an anderen völlig versumpft. Schwitzend schob und zog ich den benzinbetriebenen Mäher durch die Rabatten wie ein Ochse die Pflugschar. In diesen schweren Stunden begriff ich, warum das Imperativ des Verbs "mähen" wie das sture, widerwillige Blöken der Schafe klingt.

Denn das Mähen ist wie das Rasieren eine dieser Aufgaben, mit denen die Zivilisation gestraft ist, ein Frondienst, der jenseits von Deichen und Fußballplätzen nicht verrichtet werden müsste. Obwohl es niemand gerne tut, sind alle davon überzeugt, dass es getan werden muss. Zum Glück wusste auch meine Auftraggeberin, dass das, was sie verlangte, eine im Grunde unentlohnbare Zumutung war. Sie forderte mich zu zahlreichen Pausen auf, in denen sie mich großzügig mit Kuchen versorgte.

Wer A sagt, muss auch Mäh sagen

Sie hatte keine andere Wahl: Wenn man innerhalb der gesellschaftlichen Konventionen nicht als hoffnungslos verlottert und verwildert dastehen will, muss man mähen oder mähen lassen. Wer keine Hilfskraft einstellt, lässt sich etwas anderes einfallen, um das Leben leichter zu machen. Bei YouTube kann man diverse Versuche bestaunen: Der eine hängt den Mäher hinter den Motorroller, der andere kuppelt gleich mehrere Mäher hintereinander, um die Effizienz zu steigern, und Robotiker erfinden einen Mäher, der sich wie ein Computerspiel kontrollieren lässt.

Auch auf Höchstgeschwindikeit getunte Treckermotoren bringen einen nicht weiter. Eine Wiese will wie ein stoppeliges Gesicht akkurat rasiert werden, man kann das nicht beschleunigen, es dauert so lange, wie es eben dauert. Es ist eine Tätigkeit, die zu einer kontrollierten Langsamkeit zwingt, aus der man jederzeit ausbrechen möchte. Nur äußerst entspannte Naturen widmen sich dem Mähen wie einer kontemplativen Tätigkeit ähnlich dem Harken eines japanischen Zen-Gartens.

Im Clip "Hover Bover", versucht ein Mann, den Rasen mit einem altmodischen, allein mit Muskelkraft betriebenen Mäher zu stutzen.

Doch es stockt, hakt und will einfach nicht funktionieren. Das führt zu Lawn-Rage, einem Wutanfall auf das Mähwerkzeug und die Prozedur, der auch in anderen Clips dokumentiert ist (eine Frau prügelt gar ausgiebig auf ihren armen Rasenmäher ein). Auch in "Hover Bover" landet Mäher für Mäher in der Ecke, selbst die kleine Gartenparzelle des Reihenhauses widersetzt sich den Mähbemühungen wie verfilzte Dreadlocks der Drahtbürste.

Hier ist die Mäh-Verzweiflung jedoch Ausgangspunkt für Ingenieursehrgeiz: Es kann doch nicht sein, dass der Mensch dieser Aufgabe nicht gewachsen ist ... Ein Mäher mit Düsenantrieb, das ist die Lösung! Doch es nützt alles nichts, der Haken des Rasenmähens liegt tiefer: Es ist nämlich niemals zu Ende.

So verweist das auf den ersten Blick absurde Ende des Clips auf den Sisyphos-Charakter des Mähens. Eigentlich könnte der Schnitt eines überschaubaren Gartenfleckens eine erfüllende Arbeit sein, doch das Gras wird ja deshalb geschnitten, weil es einfach nicht zu wachsen aufhören will. Ist die Wiese groß genug, ist das Gras an dem einen Ende schon wieder im mähfähigen Alter, wenn man am anderen Ende fertig ist. So sind Erfüllung und Belastung im Akt des Mähens untrennbar miteinander verwoben. Wer einmal damit anfängt, für den gibt es immer irgendwelche Halme zu stutzen: Wer A sagt, muss auch Mäh sagen.

Wie bei Rasierapparaten, die angeblich Jahr für Jahr gründlicher rasieren, bringt der Fortschritt auch bei automatisierten Rasenmähern in Wahrheit keine große Arbeitserleichterung. Die patente Methode, die im Clip "How To Mow Your Grass While Sitting On Your Ass" empfohlen wird, ist an Effizienz von keiner Technologie zu überteffen: Einen Pflock in die Mitte des Gartens rammen, die Schnur zum Mäher spannen, auf einem Gartenstuhl platznehmen, und die Sache erledigt sich in einer konzentrischen Bahn von selbst.

Mit weniger Aufwand ist der Job nicht zu erledigen, es sei denn, man ringt sich schließlich doch noch zum völligen Mähverzicht durch. Dieses Schweigen der Klingen übertönt das Elektro- und Benzinmotor-Mäher-Konzert in jeder Nachbarschaft, denn die rebellische Wildwiesen-Provokation des Nicht-Mähers wird zum vorherrschenden Gesprächsthema.

PS: Wer trotz allem so richtig Lust aufs Mähen bekommen hat, findet hier noch einmal die wesentlichen Punkte, die es dabei zu beachten gilt, zusammengefasst.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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