Süddeutsche Zeitung

Internetvideo der Woche:Ein Leben auf Pumpgun

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Der unglaubliche 20-Punkte-Wurf und warum Günter Netzer ein YouTube-Star geworden wäre: die besten Basketballwürfe und Torschüsse in der Clip-Kritik.

Christian Kortmann

Obwohl Fußballtore ziemlich groß, ja, veritable Scheunentore sind, landet relativ selten ein Ball darin. Dabei sind es schön erzielte Tore, die die meisten Menschen am Fußball interessieren, zumindest jene, die keine leidenschaftlichen Fans einer Mannschaft sind. So haben auf den Filmportalen im Internet Fußballtore an Wert gewonnen, weil sie beliebig abrufbar sind. Der Blick auf sie wird so genau, dass sie als kleine Kunstwerke - Messis Solo, Diegos Bogenlampe - wahrgenommen werden.

Doch die User wollen nicht nur sammeln, sondern auch eigene Tore schießen, und zwar keine schnöden Fußballtore. So widmet sich ein Internetvideo-Genre dem Befördern von Bällen oder sonstigen Objekten in diverse Öffnungen. In allerlei Clips landen Tischtennisbälle in Bierbechern, Bierdosen in Mülleimern oder Beine in Hosenbeinen.

Besonders aufwändige und kunstvolle Treffer zeigt eine Artistengruppe, die sich "Dude Perfect" nennt. Im Basketball sind Korbwürfe wahrlich keine Mangelware, doch man kann die Schwierigkeit steigern, so dass ein Treffer nicht zwei oder drei Punkte wie im regulären Sport, sondern an die 20 Punkte einbringen müsste. Solche Würfe sind im Clip "Amazing Basketball Shots" zu sehen.

Ein Landhaus, Freizeit und Dosenbier, das sind die Voraussetzungen für diese Kunst. Ob rückwärts oder aus vielen Metern Entfernung, stets sieht es so aus, als sei der Korbwurf beim ersten Versuch gelungen. Eine schauspielerische Herausforderung: Auch wenn der Darsteller schon hundert vergebliche Versuche erduldet hat, muss er den Ball noch frisch und lässig behandeln.

Denn daraus, Kompliziertes, beinah Unmögliches in Serie ganz leicht aussehen zu lassen, bezieht der Clip seinen Reiz. Es handelt sich um eine Art von Zeit- oder vielmehr Fehlerraffer, einen Zusammenschnitt der Welt, wie sie sein könnte, wenn wir nicht alle so unheimlich fehlbar wären.

Als die Jungs im Garten alles erreicht haben, montieren sie den Korb für einen weiteren Clip, die "Ranch Edition", auf die Ladefläche eines Pick-ups. Nun werden Insignien des US-Landlebens miteinbezogen, Trecker, Hochtank, Pumpgun.

So ereignislos diese Landschaft wirkt, so sehr muss man diese Typen darum beneiden, dass ihnen wohl niemals langweilig werden wird. Gelangweilte Stadt-Jugendliche fummeln von sich selbst genervt an ihren Handys und MP3-Playern rum, die Perfect Dudes haben einfach immer ihren Basketballkorb dabei.

Ihre Treffer könnten auch das Ergebnis digitaler Manipulation sein. Zu glauben, dass es sich tatsächlich um das Produkt von Studenten mit zu viel Freizeit handelt, ist Teil der Übereinkunft zwischen Machern und Zuschauern, die vom verspielt amateurhaften Auftreten der Truppe gestützt wird. Stünde der Manipulationsverdacht im Vordergrund, machten diese Clips nicht so viel Spaß. Denn man fragt sich stets: "Welche unlösbare Aufgabe haben sie sich als Nächstes gestellt?" Die Bilder, die man nicht sieht - die vergeblichen Versuche -, sind Teil des Vergnügens.

Auch der französische Komiker Remi Gaillard sucht sich im Clip "Foot 2009" kleinere und deshalb viel größere Ziele als Fußballtore. Er trägt den Fußball in die Straßen der Stadt, dorthin, wo dem Mythos nach wahres Talent und Ballgefühl zu Hause sind.

Im Alltag unbeachtete Objekte, Mülltonnen oder Löcher in Wänden, Schrottautos oder Bierdosen, werden im Zusammenspiel mit dem Ball zu sinnvollen Accessoires. In dieser Umdeutung des öffentlichen Raums ähnelt Gaillards Trickschuss-Fußball dem Parkour und dem Skateboardfahren.

Gaillard kreiert Situationen, die an Computerspiele erinnern, wenn etwa rollende Treckerreifen oder Einkaufswagen getroffen werden müssen. Als sei es die leichteste Übung der Welt, kontrastiert er seine nonchalanten Treffer, denen er sofort den Rücken zuwendet, mit dem heftig-hysterischen Jubel des Publikums im Profi-Fußball. Er steigert den Schwierigkeitsgrad sogar exponentiell, indem er in einer ungeschnittenen Sequenz zwei Bälle nacheinander versenkt.

Mit Vorliebe benutzt Gaillard den Außenrist, diese im Fußball-Alltag leider selten gesehene Schusstechnik, die exzentrischen Genies wie Wolfram Wuttke oder Günter Netzer vorbehalten blieb. Ein Außenristschuss bedeutet immer Himmel oder Hölle, im Außenrist ist die YouTube-Ästhetik also schon seit jeher angelegt: Trifft man den Ball optimal, ist die Flugbahn ein wunderbarer Augenschmaus, haut man nur knapp daneben, folgt die ballistische Demütigung.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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