Internetvideo der Woche:Dröhnung mit Verwöhnaroma

Doping bei YouTube: Ein Pferdemann haut halluzinogene Pilze in die Pfanne, und marihuanasüchtige Spinnen bauen seltsame Netze - Drogen-Experimente in der Clip-Kritik.

Christian Kortmann

Eigentlich sollte es in der heutigen Kolumne um Pferde gehen, um Fury, Kleiner Onkel und das coolste Pferd der Welt, eine rundum unaufgeregte Sache, die man sich in grasender Ruhe zu Gemüte hätte führen können. Doch dann, weil bei YouTube geheimnisvolle Algorithmen jedem Clip verwandte Clips zuordnen, zog während der Pferde-Recherche der Titel "Dancing man wearing a horse mask cooks wild mushrooms" die Aufmerksamkeit auf sich: Schon beim Lesen dieser Worte wusste ich, dass sich dahinter Großes verbergen könnte. All die hübschen Pferde kommen noch an die Reihe, zunächst aber gilt es, den wilde Pilze kochenden Mann mit Pferdemaske zu würdigen, der zeigt, wie man sich auch als Erwachsener das Leben zum Ponyhof macht.

Dieses Video erzeugt das zauberhafte Hochgefühl, eine völlig neue Welt zu entdecken: "Dancing man wearing a horse mask cooks wild mushrooms" ist ein Clip über ein Drogenexperiment, Hauptdarsteller ist der japanische Performancekünstler Wotaken. Zunächst sieht man den zentralen Gegenstand des Films, einen Pilz mit halluzinogener Wirkung, in Großaufnahme, dazu erklingt Orgelmusik. Der Bildausschnitt wird größer und zeigt Wotaken mit Pferdekopf und Borat-Mankini vor einer Manga-Girlie-Fototapete. Mit dem Einsetzen der Trommeln beginnt er zu tanzen.

Schnitt, Außenaufnahme: Wotaken sammelt in Turnschuhen und Socken, dem klassichen FKK-Look, Pilze im Wald. Sodann bereitet er sie am Schreibtisch zu, als sei dies eine übliche Bürotätigkeit. Die Pilze werden gekocht und gebraten, Wotaken schneidet sie klein und spielt mit den Messern Xylophon. Der Pferdekopf fliegt freudig wiehernd hin und her. Man erkennt nun, dass es sich bei Wotakens Mankini um eine Gasmaske handelt. Es ist also ein leichter Lunch in der Mittagspause; eine Alltagsszene, die einen an den Aphorismus von Uwe Seeler denken lässt: "Das Schönste auf der Welt ist es, normal zu sein."

Unter Drogenkonsumenten gibt es ja sehr experimentierfreudige User, zu deren Lebensplan es gehört, die Höhen und Turbulenzen einer jeden Rauschgattung ein Mal auszuprobieren. Solche tollkühnen Testflieger berichten anschließend gerne von ihren halluzinogenen Erlebnissen, die meist in Wohnküchen beginnen und nach einer nur lückenhaft rekonstruierbaren Odyssee durch Innenräume und Fußgängerzonen auf einer ungewöhnlichen Schlafstatt (Blumenbeet, Tisch, Gitarrenkoffer) enden, wo beim Erwachen die Dimension des Erinnerungsausfalls allenfalls erahnt wird. Dabei könnte es sich auch um eine Schutzfunktion handeln. Denn man weiß ja nicht, wie ein nüchternes Gehirn auf eine Erinnerung wie "Stimmt, ich war tanzen, hatte den Pferdekopf auf und untenrum die Gasmaske an" reagiert.

Wer auf die nur unter Einsatz von Psychostimulanzen erreichbare Wahrnehmungsebene neugierig ist, aber von Drogen lieber die Finger lässt, ist mit Wotakens Clip bestens bedient. Anders als der Verstörungsvideo-Künstler Matthew Barney zeigt Wotaken überschwänglich gute Laune, die auf die Entregelung aller Sinne verweist. Ob nun die Pilze dafür verantwortlich sind, oder ob seine dionysische Grundhaltung nach Drogenkonsum verlangt, ist nicht zu klären. Gelungen ist der Clip in jedem Fall, weil er der Welt das neue Sujet des drogenkonsumierenden Anti-Zentauren schenkt.

Das ist derart verblüffend, dass man sich anschließend über nichts mehr wundert: Am Ende ehrt Wotaken Michael Jackson, dessen Album "Thriller" kürzlich 25 Jahre alt geworden ist, und tanzt den Moonwalk, nackt, mit Pferdekopf und verpixeltem Penis. Und, klar, zur Erholung geht Wotaken nackt Ski fahren.

Nach dem Pferdekopf des Wahnsinns dienen im Clip "Spiders On Drugs" kleinere Tiere als Referenzobjekte für Rauschwirkungen. Der Film tarnt sich als Dokumentation über ein wissenschaftliches Experiment, das sich auf die tatsächlichen Forschungen von Peter Witt beruft. Wenn man Spinnen Drogen verabreicht, so die Hypothese, zeigt sich die Wirkung in der Struktur ihrer Netze: Mit LSD neigen sie zu minimalistischer Architektur, unter Koffeineinfluss bauen sie schneller und rasen nervös herum.

Der Clip steigert allmählich die Kühnheit dieser vom wissenschaftlichen Gestus beglaubigten Aussagen: Spätestens bei der Marihuana-Spinne, die nach THC-Konsum kein Netz mehr, sondern eine Hängematte baut, um der Koffeinspinne gemütlich bei der Arbeit zuzusehen, merkt man, dass es sich um eine Satire handelt.

Im Clip "Drugs Songs" betrachten die singenden Ärzten The Amateur Transplants den Drogengebrauch aus einer nüchternen Perspektive und zählen auf, mit welchen Substanzen man sich zudröhnen kann: "And if you want to overdose, there's always Paracetamol". Als angehender Arzt sollte man sie alle kennen: "Or fuck em all and get a job in orthopedic surgery."

Die Orthopädie ist bekanntlich die Autowerkstatt unter den Medizinsparten. Damit wäre man am Ende des Drogenclip-Exkurses also bei harter Arbeit angelangt, dort, wo das Leben kein bisschen nach Ponyhof duftet. Da setze ich doch lieber die Pferdemaske schnell wieder auf und schnalle die Gasmaske um.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: