Internetvideo der Woche:Drei harte Nüsse

Wenn der Kürbis-Hasser Amok läuft und kleine Menschen im Aufzug zur Bildröhre fahren: Björk erklärt uns, wie Fernsehgeräte funktionieren.

Christian Kortmann

Wieder laufen wir mit James Stewart durch eine Welt, in der wir plötzlich nie gelebt haben ("Ist das Leben nicht schön?"), begleiten eine junge Frau, die endlich ihren Prinzen findet ("Drei Nüsse für Aschenbrödel") und teilen mit Charlton Heston mal eben ein ganzes Meer ("Die zehn Gebote"). Weihnachten ist die Zeit des großen illusorischen Fernsehstoffs. Wir glauben in dieser Phase zwischen den Jahren, da Tage und Stunden weniger zählen als sonst und einfach durchrauschen dürfen, der Bildermaschine gerne, wenn sie anbietet, uns zu entführen. Weitere Erklärungen: überflüssig.

Wer dennoch vor Publikum ergründet, wie der Fernsehzauber funktioniert, muss selbst ein verwunschenes Wesen sein. Im Clip "Björk talking about her TV" erzählt die Sängerin, Schauspielerin und einzige lebende Elfin, dass auch sie zu viel Weihnachtsfernsehen geguckt hat.

Jetzt will sie mal in der Flimmerkiste nachsehen, wie sich all die kleinen Männchen ausruhen, die während der Feiertage vor ihren Augen wimmelten. Wie machen die das bloß, dass sie sich in so verrückte Situationen versetzt fühlt?

Na klar, die Platinen im Fernseher sind in Wirklichkeit eine Stadt mit Häusern und Straßen, durch die die Fernsehmenschen zur Bildschirmarbeit fahren. Ein Aufzug führt direkt zur Bildröhre. Björk mischt ihren empirischen Erklärungsansatz mit einer Hypnotisierungs-Theorie, die ihr ein isländischer Dichter unterbreitet hat, und frisch angelesenem Technik-Wissen. Als Dichterin weiß sie: "Lass dich nicht von Dichtern belügen." Björks zauberhafte Aufklärungsmaßnahme ist eine Ellipse, deren Zweck allein darin besteht, zu unterhalten.

Doch nun zur schlechten Nachricht: Im Zeitalter der Flatscreens leiden die kleinen Männchen in den Fernsehgeräten unter der Schrumpfung ihrer Welt. Jeden Tag müssen sie sich ein bisschen schmaler machen. Die Menschheit kennt in dieser Angelegenheit keine Gnade, sie lässt den Fernseher immer flunderähnlicher werden.

Und weil alle Wünsche erfüllt werden sollen, ziehen wir nun eine jener stummen YouTube-Schatullen auf, in der jemand zeigt, wie gut er es hat, um Neid und/oder Nachahmertun zu provozieren.

Sanft gleitet der Bildschirm unter dem Bett hervor, schwenkt zur Seite, als blickte er selbst in die Kamera. Es handelt sich um eine Möglichkeit zur Weltflucht, die sich selbst verbirgt, die konsequente Aufrüstung für die Zeit zwischen den Jahren, die man - ohne vermisst zu werden - komplett im Bett verbringen darf.

So angenehm es sein kann, wenn Rituale im Jahresrhythmus ihre Bestätigung erfahren, so erfreulich ist es, wenn spirituell renovierungsbedürftige Feiertage frische provozieren: etwa den in allen Belangen YouTube-gemäßen Weihnachtssong "In The Absence of Christmas" des Users CharlieIsSoCoolLike.

Wie Amateur Lasse Gjertsen, der diese Technik im Internetvideo bekanntgemacht hat, spielt CharlieIsSoCoolLike alle Instrumente - Stimme, Gitarre und Melodica - im Split Screen gleichzeitig. In der Rahmenhandlung erläutert er die Produktionsbedingungen und das mediale Umfeld, in dem sein Video angeschaut wird. Als erfahrener User reagiert er schon vorab auf Fragen, von denen er weiß, dass sie in den Kommentaren auftauchen werden.

Sein Song erzählt davon, wie der Nikolaus übelgelaunt das Konkurrenzfest Halloween erlebt: Bäh, Kürbis schmeckt ihm auch nicht, ein vollkommen sinnloser Feiertag. Schließlich läuft er mit einem Molotow-Kürbis Amok. Das würde er natürlich nie tun, denn als Bewahrer der reinen Kultur ist die kommerzielle Weihnachtsmannfigur denkbar ungeeignet. Dennoch formuliert seine Rolle in dem Song ein Unbehagen, das einen auch an Weihnachten befallen bekann: In der Lüge der Dichter steckt eben immer auch eine Wahrheit.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: