Süddeutsche Zeitung

Internetvideo der Woche:Drama von Loch Stress

Über das schwarze Loch im Genfer Teilchenbeschleuniger haben wir noch gelacht. Jetzt zeigt ein Video, wie ein schwarzes Loch einen Mann reich und unglücklich macht.

Christian Kortmann

Die Existenz von schwarzen Löchern ist eine jener Theorien, mit der Astrophysiker auch bei Menschen nachhaltigen Eindruck hinterlassen, die sich sonst keine großen Sorgen über das kosmische Geschehen machen. Denn die mächtige Metapher von der immer hungrigen supermassereichen Singularität, die Planeten frühstückt und Sterne soupiert, aus der aber keinerlei Information und somit auch kein einziges Teilchen Licht entweicht, regt die Phantasie zu Spitzenleistungen an. So sorgte die von einem originellen Denker in die Welt gesetzte Idee, der Teilchenbeschleuniger am Genfer CERN-Institut könnte ein schwarzes Loch erzeugen, das die Erde verschlingt, gleichermaßen für Bestürzung wie Erleichterung.

"Was, schon vorbei?", fragten die einen erschrocken, während es die anderen erfreute, dass sich die Menschheit ein Ende setzt, von dem aufgrund der totalen Nachrichtensperre im schwarzen Loch niemand etwas merkt; dass sich die Informationsgesellschaft also einen sympathisch informationsfreien Abgang verschafft, ohne Krisentalk bei "Anne Will", ohne Fernsehreporter in Gummistiefeln an der Schwarzes-Loch-Kante und ohne Prognosen von Wirtschaftsweisen über die "Konjunkturaussichten" nach der endgültigen Gravitation.

Für Filmemacher hingegen ist gerade dies, in Bilder umzusetzen, was nicht in Bilder gefasst werden kann, eine hübsche Herausforderung, wie der Clip "The Black Hole" beweist.

Die wertvollste aller linken Socken

Späterer Abend, alle anderen sind längst nach Hause gegangen, im trüben Licht der Bürokratie steht ein einsamer Angestellter mit dem Teint der Hoffnungslosigkeit am Kopierer. "Was mache ich eigentlich noch hier?", fragt er sich, denn das ist doch alles keine Freude, und auch finanziell wird ihm sein Engagement nicht entlohnt.

Er ist übermüdet, den ganzen Tag lang schon musste er verschiedene Dinge auf einmal tun, war also stets gestresst, weil er immer, wenn er eine Sache tat, wusste, dass eine andere Sache auf ihn wartete. Jetzt macht ihn schon die kurze Zeitspanne, die der Kopierer braucht, um auf Betriebstemperatur zu kommen, aggressiv. Die Luft ist zu schlecht, die Kopierer-Geräusche sind zu hochfrequent. Was ist da los, ist der Toner schon wieder alle?

Nein, der Kopierer ist nicht defekt, sondern verzaubert: Er produziert Magie, die nun in das Leben des Angestellten tritt, in Form eines transportablen schwarzen Lochs in DIN A3, das spannungsgeladen sirrt wie ein "Star Wars"-Lichtschwert, wenn man die Loch-Oberfläche durchstößt. Dieses schwarze Loch vernichtet zwar Barrieren, nicht aber den Inhalt dahinter. Das ist eine praktische Sache, denkt sich unser Held, der endlich etwas für sich tun will. Mit Hilfe des schwarzen Lochs gelangt er an einen Gratis-Schokoriegel - und dann streicht er seinen verdienten Lohn ein.

Er räumt den Tresor aus wie eine Waschmaschine, aber da muss doch noch ein Geldbündel mehr drin sein. Und er beugt sich tief hinein, als suche er die verlorene linke Socke ... Es endet wie es enden muss, dieser Loser darf nicht zum Gewinner werden.

"The Black Hole" ist ein Werk des Regieduos Phil & Olly. Ihr Film wurde beim Festival Future Shorts gezeigt und auf dem festivaleigenen YouTube-Kanal ins Netz gestellt. Future Shorts ist ein weltweites Netzwerk, das Filmvorführpartys organisiert und sich um die Förderung von Kurzfilmen bemüht, die es im Kino schwer haben, aber auf den Videoplattformen im Netz ihr Publikum finden. Denn originelle Ideen werden hier zwar auch nicht immer, aber oft von Publikumszuspruch honoriert

Am erfolgreichsten gelang dies bis jetzt mit "The Black Hole", weil der Clip eine pointierte Geschichte zügig in zweieinhalb Minuten erzählt. Viele der anderen Future-Shorts-Beiträge stellen innerhalb der Internetvideo-Sehgewohnheiten mit Spieldauern von mehr als zehn Minuten epische Herausforderungen dar. An einem Tag gedreht, in einer Woche geschnitten, ist "The Black Hole" in allen Belangen eine schlanke Produktion.

Ganz großer Schweizer Käse

Phil & Olly gelingt feinstes visuelles Storytelling, das ohne Worte auskommt und stattdessen nonverbale Geräusche gegeneinander antreten lässt, die monotone Maschine gegen das menschliche Seufzen. Am Ende des Films setzt über dem Gescheitert-Gefangenen der Kopierer seinen achtlosen Kopierersound fort, der erst beim nächsten Papierstau endet, oder wenn der Auftrag abgearbeitet ist.

Die phantastischen Gerüchte um den Genfer Teilchenbeschleuniger sollen eine Inspiration für "The Black Hole" gewesen sein. Wenn sich so ein ganz großes Schweizer Käseloch auftut, kann das ebenso gut an anderen Orten passieren. Man hüte sich also vor zu viel Gravitation: Niemand wird Klopfen und Hilferufe hören, denn nichts entkommt einem schwarzen Loch.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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