Internetvideo der Woche:Dis görl ken sing

Wie eine bulgarische Diva einen Song von Mariah Carey neu erfand und mit Phantasie-Englisch zum Internet-Hit wurde: falsch verstandene Songtexte in der Clip-Kritik.

Christian Kortmann

Seit sie zur Sprache gefunden haben, verstehen die Menschen einander falsch. Besonders Texte von Popsongs, die von eingängigen Melodien rund um die Welt getragen werden, sind Freiwild für kosmopolitische Spekulationen und Quell originellster Neudeutungen. Denn in der globalisierten Welt stellen sie eine der letzten Bastionen der mündlichen Überlieferung dar, weil nur die wenigsten Hörer den exakten Text recherchieren. Meist tragen sie auf den Lippen einfach das weiter, was ihre Ohren auffingen. Doch das ist nicht immer das, was der Sänger singen wollte.

Dank YouTube vollzieht sich diese freie Überlieferung nicht mehr nur im zwischenmenschlichen Raum, sondern wird dem Publikum per Internetvideo als Coverversion des Originals angeboten: Jetzt singe ich mal das, von dem ich glaube, dass es mein Star auch singt! Dabei ist eine Ästhetik des Falschverstehens entstanden, die am besten vom ungebrochen populären Ken-Lee-Videoclip der Sängerin Valentina Hasan illustriert wird.

Im ersten Teil des Clips "Ken Lee Music Idol BG" trägt Hasan ihren Song erstmals in der bulgarischen Ausgabe der Casting-Show "Pop Idol" vor. Mit ihrer Ankündigung, Mariah Careys berühmtes Lied über "Ken Lee" singen zu wollen, stößt sie in der Jury auf Skepsis. Man will zunächst nicht recht glauben, dass es diesen Song überhaupt gibt. Doch während der Performance dämmert der Jury, womit sie es zu tun hat: Mit dem sehr intimen Zugriff auf einen Originalsong, in dem Semantik nichts und Melos alles ist.

Der Verlust, den Mariah Carey beklagt ("I can't live / If living is without you"), verwandelt sich bei der Bulgarin in die Sehnsucht nach dem Märchenprinzen Ken Lee. Sie habe, erklärte Hasan später, "den Song so gesungen", wie sie "ihn gefühlt" habe. Sie covert also nicht einfach "Without You", sie singt IHRE Mariah Carey, verleibt sich das Kunstwerk ein und erschafft es im selben Moment neu.

Belustigt, aber mit Respekt für die leidenschaftliche Darbietung wird dies von der Jury zur Kenntnis genommen. Die Untertitel des Clips sind in Valentina Hasans phantastischer Sprache verfasst, einer Sprache, die sonst nur in Tagträumen gesprochen wird. Als Hasan sich in Gedanken ausmalte, wie ihr Idol Mariah Carey auf den größten Bühnen zu stehen, genügten diese Worte als akustisches Lichtdouble. Und auf der echten Bühne, das ist das Verblüffende, genügen sie auch! Ja, sie heben Hasan aus der Masse der bloßen Imitatoren heraus.

Die Begeisterung, die sie damit auslöste, zeigt der zweite Teil des Clips: Hasan verpasste die nächste Runde der Castingshow, doch im Netz wurde ihr Video berühmt. Beim erneuten Auftritt in der Show gehen die Fans im Studiopublikum begeistert mit. Hasan hat sich mit einer gültigen Carey-Coverversion etabliert. Ihr Phantasie-Englisch, "tulibu dibu douchuu", ist zu ihrem Markenzeichen geworden.

Der Clip "Touch My Body (Tuts My Barreh)" eines auf Careys und Hasans Spuren wandelnden Sängers zeigt, welche surreale Traumwelt durch die Pop-Phantasiesprache entfesselt wird. Schillernde Metamorphosen, die man im Original dieser Schmachteplatte nie erkannt hätte, steigen auf wie Seifenblasen über Erdbeerfeldern, Kameras verwandeln sich in Kamele auf Hügeln, Körperrundungen in Kampfhähne ...

So wie Lautmalerei den ursprünglichen Text verändert, so beeinflussen auch Untertitel das Gehörte. Das Video "Smells Like Teen Spirit Misheard Lyrics" zeigt, dass wir immer auch das hören, was wir zu hören erwarten. Wenn Untertitel und Zeichnungen auf ein Grillrestaurant hinweisen, dann singt Kurt Cobain im bekanntesten Nirvana-Song wirklich von einem Steakhouse, obwohl das ähnlich klingende Wort in seinem offiziellen Songtext "dangerous" heißt.

Oft bleibt in exzentrisch betontem Gesang unklar, was gemeint ist. Bevor es die großen, allerdings selten zuverlässigen, Songtext-Datenbanken im Internet gab, rätselte man manchmal jahrzehntelang und musste sich wie Frau Hasan (oder Sarah Connor beim Erlernen der Nationalhymne) auf sein Ohr und an den heiklen Stellen auf Lautmalerei verlassen: Was wollte Kate Bush in "Running Up That Hill" mit Gott tauschen? Was, glaubt Morrissey in "Ask", wird uns letztendlich zusammenbringen?

Im Englischen hat sich der Begriff "Garbled Songs" für in Phantasiesprache nachgesungene Lieder etabliert. Doch diese Songs sind weder "entstellt" noch "verstümmelt". Das neue Genre der Schlabber-Version, das Valentina Hasan begründete, ist eines der Leidenschaft und der maximalen künstlerischen Freiheit. Würden wir nicht alle gerne das, was uns ergreift, so selbstverständlich zu unserem eigenen machen?

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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