Süddeutsche Zeitung

Internetvideo der Woche:Die letzten Keuler

Wenn ein Vogel mit dem Ball erlegt wird und der Schläger zu schweben scheint: die sagenhaftesten Baseball-Szenen in der Clip-Kritik.

Christian Kortmann

Männer mit kurzen Hosen und gepflegten Zierkäppchen auf dem Kopf, die mal Bälle werfen und sie mit einem viel zu großen Handschuh fangen, mal mit einer Holzkeule auf sie eindreschen, um dann hektisch im Kreis zu laufen; Männer, die die meiste Zeit betätigungslos auf dem Rasen und staubigen Trampelpfaden herumstehen: Warum rennen Menschen zu Tausenden in Stadien und harren stundenlang vorm Fernseher aus, um sich das anzusehen? Das können nur Außenstehende fragen, für die Baseball ein eher langweiliges Spiel ist. Denn sie sehen nichts als das grob Offensichtliche. YouTube dient hier wieder einmal als Weltlupe, unter der die Faszination deutlich wird.

Der stetige, ruhige Wechsel zwischen schlagender und fangender Mannschaft ist beim Baseball eine neutrale Grundierung, eine ideale Bühne für Momente des Besonderen und das Spektakel des Zufalls. So wurde ein Video, in dem eine Taube federzerstiebend mit einem geworfenen Ball kollidiert, schon in YouTube-Frühzeiten zu einem Hit.

Dass im Zentrum der mediativen Baseball-Ruhe eine physische Fokussierung steht und alle Energie sich auf die Be- und Entschleunigung des Balles richtet, zeigt auch ein Clip, in dem ein jugendlicher Spieler am Kopf getroffen wird. Einen Helm zu tragen, ist bei dieser Art von Gartenarbeit also durchaus ratsam.

Ähnlich dem Kunststoß beim Billard oder dem Freistoß beim Fußball ist das Pitchen, also Werfen des Baseballs, eine mehr artistische denn athletische Disziplin. Um das Duell gegen den Batter, den Schlagmann, der den Ball zu treffen versucht, zu gewinnen, wird der Ball auf möglichst unberechenbare Flugbahnen geschickt. Berüchtigt sind der hoch startende, abrupt absackende Curveball oder ein seitlich flatternder Slider. Der Batter schwingt vorbei, und der Ball kommt sicher beim Catcher an. Das ist der, der aussieht wie ein Eishockeytorwart, dem das Eis abhandenkam, und still hinter dem Schlagmann hockt.

Auch der Laie merkt, wenn ein Werfer aus der Reihe fällt. Im Video "The coolest pitch ever" zeigt ein japanischer Spieler unter Beibehalt des üblichen Bewegungsablaufs einen phantastischen Trick, mit dem er nicht nur die Zuschauer überrascht, sondern auch die Aufmerksamkeitsstruktur des Schlagmannes überwältigt: Härte und Effet hat ein Batter schon in jeder Kombination gesehen, also probiert der Werfer es mal ganz anders und wirft den Ball seinem Catcher hinter dem Rücken - vor aller Augen heimlich - zu.

Weil der Schlagmann die Flugbahn nicht vorausahnen konnte, taucht der Ball wie aus dem Nichts vor ihm auf, und er hat keine Chance zu reagieren. Der japanische Trick-Werfer hält sich an die Regeln, trickst aber die Gepflogenheiten aus.

Auf dem Feld schlägt die große Stunde der Batter, wenn sie den Ball bei einem Home-Run über mehr als 130 Meter hinweg bis in die Zuschauerreihen befördern. Doch nebenbei, im Training, pflegen auch sie ihre Trick-Disziplin. Ein Spieler installierte extra eine Versuchsanordnung, um den Ball über ein Seil tanzen zu lassen. Im Clip "Cool Spinning Baseball Bat Trick" lässt ein anderer den Schläger aus der Schlagbewegung heraus um die Querachse rotieren und fängt ihn in einem einzigen flüssigen Schwung wieder auf.

Rein technisch ist dieser Trick nicht besonders schwierig, das kann man mit einem leichten, länglichen Gegenstand ausprobieren. Die Kunst besteht darin, dass man davon überzeugt sein muss, es fehlerlos zu beherrschen. Denn wenn man mit einem schweren Baseballschläger zur Tat schreitet, wäre es so peinlich wie schmerzhaft, sich mit dem hölzernen Rundhammer die Finger zu zertrümmern.

Der Schlagmann im Clip weiß seinen Trick zu präsentieren: Nachdem er ihn einmal gezeigt hat, lässt er sich Zeit, um das Erstaunen sacken zu lassen; dann staubt er die Hände ein, um nun wiederholt zu beeindrucken. Er muss dabei so gelassen aussehen, dass auch die Zuschauer ihm vertrauen. Sonst würden sie einen größeren Sicherheitsabstand zwischen sich und den rotierenden Schläger bringen. Und dann wäre es kein "cooler Trick" mehr.

Einen Moment, in dem die Geduld des Baseball-Fans, der auch in weniger ereignislosen Zeiten auf der Zuschauertribüne ausharrt, belohnt wird, zeigt der Clip "I Catch Torii Hunter's Batting Practice Home Run". Ein Fan fängt während einer Trainingseinheit einen weiten Schlag des Star-Spielers Torii Hunter. Der Ball fliegt über die Grenzen des Spielfeldes hinaus - und der Fan filmt sich bei seiner Ruhmestat selbst.

"Das war ja wohl ein guter Catch, nicht wahr?", sagt er zu dem Spieler auf dem Feld. "Good job", bestätigt ein anderer Fan, wohl ein wenig neidisch auf die Trophäe und die einzigartige Videoaufnahme, in der Baseball, Medium und Zuschauer verschmelzen.

Wie jeder Sport in der Unterhaltungskultur wäre auch Baseball ohne Theorieebene nicht in dieser Form existent. Wenn sie nicht stundenlang genauestens angeschaut würden, so dass tagelang über die Details geredet werden könnte, wären die Baseball-Profis keine virtuosen Artisten, sondern wirklich nur spielende Männer mit Zierkäppchen.

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