Internetvideo der Woche:Die Bullshit-Exorzisten

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Jeder weiß, dass die Stimme beim Einatmen von Helium höher wird. Doch was passiert, wenn man Schwefelhexafluorid inhaliert? Die Clip-Kritik, die nebenbei zeigt, wie man über Wasser geht.

Christian Kortmann

In den drei Jahren seines Bestehens hat YouTube als Hauptplattform für das Medium Internetvideo viele Dinge deutlicher gemacht. Es gibt keine schweigende Mehrheit mehr: Wir wissen jetzt, was all die Menschen da draußen zu sagen haben, wenn sie mit Hilfe von Kamera und Computer auf Sendung gehen. Professionelle mediale Fehler, die sich früher versendeten, werden nun vom einmaligen Versprecher zur zigfach wiederholten Kommunikationskatastrophe vergrößert.

Mit dem scheinbar rohen, die Wahrheit entblößenden Charakter der Internetvideos stieg auch ihre Macht, Unwahres zu beglaubigen. So rührt der irrtümliche Glaube, man könne durch die Strahlung von Mobiltelefonen Maiskörner in Popcorn verwandeln, nicht zuletzt aus der Beweiskraft von Handy-Werbevideos im Netz, in denen genau das gezeigt wird.

Solchen Netzmythen nehmen sich mit Vorliebe die "Mythbusters" Adam Savage und Jamie Hyneman an. Sie sind Experten für Wissens-Bullshit, dessen Berg mit der wachsenden Informationsmenge ebenfalls immer größer wird. Der Clip "Mythbusters Viral hour invisible water test" zeigt die typische Vorgehensweise der Mythoszerstörer. Sie sezieren ein populärwissenschaftliches YouTube-Video und klären seine Hintergründe auf. Unsichtbares Wasser gibt es nicht, so ihre Prämisse; was ist es dann, das die Tüte auf unsichtbaren Wellen im Aquarium schaukeln lässt?

Der nüchterne Jamie tippt nicht auf Taschenspielertricks, sondern auf eine naturwissenschaftliche Lösung: Die Tüte schwebt auf Schwefelhexafluorid, einem Gas, das dichter als Luft ist. Seine Erklärung hat den Vorteil, dass sich aus ihr ein spektakulärer Showeffekt ableiten lässt: Adam inhaliert erst das leichte Gas Helium, das die Schallwellen schneller transportiert, seine Stimme höher macht und ihn nach Entenhausen befördert.

Dann atmet er Schwefelhexafluorid ein, um mit exorzismusbedürftiger Horrorfilmstimme zum Publikum zu sprechen. Ein Mythos ist zerstört und der Kern für einen neuen gepflanzt. Man sieht das Party-Gespräch schon vor sich, das mit den Worten beginnt: "Weißt du eigentlich, was passiert, wenn du Schwefelhexafluorid einatmest?"

Jamie und Adam haben durch ihren Look - die Brillen, der Bart, die Baskenmütze, das an eine Badekappe erinnernde rote Bandana-Kopftuch - einerseits die Nerd-Credibility, um im Netz über Wissenschaft zu dozieren, andererseits aber auch eine Hemdsärmeligkeit, um den frei durchs Internet flottierenden Unsinn mit der Realität zu konfrontieren.

In der Laborsituation holen sie die Mythen auf den Boden zurück, auch wenn dieser wiederum aus der Fiktion der beiden verrückten Wissenschaftler besteht. Denn aus den Wissenschaftsversatzstücken bauen sie eine künstlerische Welt, einen Abenteuerspielplatz, auf dem sich die Mad Scientists berufsmäßig austoben.

Wie Physiklehrer, die ihren Schülern auch in der sechsten Stunde noch etwas vermitteln wollen, umwerben Jamie und Adam die Aufmerksamkeit des Publikums. In Hollywood waren sie für Spezialeffekte verantwortlich, sie wissen, wie man komplexe Ideen wie "Sendung mit der Maus"-Sachgeschichten für Erwachsene plastisch erklärt. So zeigen sie im Clip "water heater", wie ein unter Überdruck stehender Boiler ein ganzes Haus zerstören kann.

Mit Gehörschutz warten sie in sicherer Entfernung auf die Explosion. Ihr Puls steigt mit dem Dampfdruck, und sie lachen vor Freude, als es tatsächlich funktioniert, und der Boiler wie eine Rakete in den Himmel schießt. Mit Kennerblick würdigt Jamie die schöne, elegante Explosion, die von der Kamera in Superzeitlupe gefeiert wird. Auch Adam ist angetan vom herrlich dampfenden Boiler-Ballett. In der Zerstörung liegen wissenschaftlicher Erkenntnisgewinn und ästhetischer Mehrwert.

Ebenfalls von den Mythbusters aufgeklärt wurde der Clip "A pool filled with non-newtonian fluid", in dem Menschen über Wasser laufen. Es ist eben kein Wasser, sondern ein nichtnewtonsches Fluid, eine Flüssigkeit, deren Viskosität durch Vermischung mit Maisstärke verändert wurde, so dass sie sich bei Krafteinwirkung verfestigt.

Das sieht nach einer guten Übung für ein Motivationsseminar für neoliberale Führungskräfte aus: Wer zögert und stehen bleibt, versinkt auf der Stelle. Hier zeigt sich symbolhaft der aufgeklärte Umgang mit Wissens-Bullshit: So wenig, wie man glauben sollte, dass Menschen über Wasser gehen können, so wichtig ist es für die Pool-Läufer, zu glauben, dass sie es können.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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