Internetvideo der Woche:Der Gangster-Hamster

Maximale visuelle Panne: Ein Fernsehsender berichtet über einen Schwerverbrecher und blendet einen Hamster ein. Nachrichten-Patzer in der Clip-Kritik.

Christian Kortmann

Fernsehen, vor allem Live-Programm, besteht aus dem Ablauf einer genau geplanten Logistik. Wie bei der Mise en place vorm Kochen werden vor einer Sendung alle fein gehackten Zutaten in Schüsselchen bereit gestellt, um sie zum richtigen Zeitpunkt showgerecht in die Pfanne zu werfen. Das gelingt nicht immer, manchmal mischen sich völlig falsche Ingredienzien ins Menü. Senf statt Schokosauce etwa, was im Fernsehen dem Verrutschen von Farben auf der Nationalflagge entspricht, wie im vergangenen Jahr in den ARD-Tagesthemen.

Einen neuen Referenzwert für die maximale visuelle Fernsehpanne hat nun ein Lokalsender an der US-Ostküste aufgestellt. Man kann nur ahnen, welche Gedanken zuvor hinter den Kulissen tobten, vielleicht: "Hey Leute, wir müssten jetzt eigentlich das Foto eines Schwerverbrechers zeigen. Was wäre das Abwegigste, das wir stattdessen einblenden könnten?" Wenn Spaßpiraten sich in die Übertragung gehackt hätten, könnte das Ergebnis jedenfalls nicht absurder sein.

Die Nachrichtensprecherin berichtet von Sex-and-Crime, und in dem Moment, in dem sie vom "möglichen Verdächtigen Rodney Stanger" spricht, wird ein putziger Hamster gezeigt, dem per Fotomontage eine Film-Klappe in die Vorderpfoten gedrückt wurde. Es handelt sich bei dem Bild wohl um einen Platzhalter, grafischen Blindtext, in diesem Fall ein veritabler Dummy. Dem Zuschauer ist klar, dass dieser Verdächtige garantiert abgetaucht ist, sich vergraben hat oder durch einen Tunnel aus dem Gefängnis flüchtete.

Es ist eine schwarze Komik, denn die Meldung an sich ist alles andere als lustig. Ein 60-jähriger Mann, der im Gefängnis sitzt, weil er seine Freundin umgebracht haben soll, wird verdächtigt, im Jahr 2000 ein 16-jähriges Mädchen verschleppt zu haben. Über einen mutmaßlichen Kapitalverbrecher zu berichten und an seiner Stelle einen bedrohlichen Gangster-Hamster Hoppel-Hamster einzublenden, das generiert die maximale Fallhöhe einer Bild-Vertauschung, gegen die die Deutschland-Flaggen-Verwechslung in den Tagesthemen wie eine lockere Aufwärmübung wirkt.

Doch so nah wie Schwarz und Rot der deutschen Flagge liegen auch die Fotos von Hamster und Gangster beieinander, technisch sind sie nur eine Drag-and-Drop-Aktion mit der Maus voneinander entfernt. Und auch in der medialen Auswahl von Nachrichten, die sich im Spannungsfeld zwischen dem, was für wichtig gehalten, und dem, was die Zuschauer vom Umschalten abhalten könnte, abspielt, sind sie gleichwertiges Material.

Deshalb wiegelt die Sprecherin den Irrtum mit einem routinierten "No, this is not Rodney Stanger." ab, als sei bloß ein falsches Portrait und nicht unfassbarerweise ein Hamster-mit-einer-Filmklappe-in-den-Pfoten eingeblendet worden. Ihr genügt ein Durchatmen und ein "Well...", für die Sprecherin liegt die Vertauschung im Rahmen des Möglichen. Wo eh alles Kraut und Rüben ist, fällt eine Gurke nicht weiter auf. Das ist die zynische Pointe dieses Hamster-Missgeschicks.

Durch die technisch makellose Collagierung wirkt es gar nicht mal fehlerhaft, sondern vielmehr wie die Übernahme der bei YouTube bekannt gewordenen Kulturtechnik des Mash-Ups, der gewaltsamen Verschmelzung von zwei Motiven, die nichts miteinander zu tun haben. In dieser Lesart ist die Hauptfigur, Hamster "Rodney", ein Verwandter des Erdhörnchens, das einst als tierischer Gast in einer TV-Show effektvoll in die Kamera blickte und mit diesem "Dramatic Look" im Netz berühmt wurde. Deswegen hat ein User das Erdhörnchen im Clip "Hamster Mugshot remix" umgehend ins Spiel gebracht.

Wie ein Bild die gesprochene Sprache verändert, demonstriert der Clip "As soon as this guy makes the mistake he knows". Weil ein Bild von Miss Nevada im Bikinioberteil eingeblendet wird, spricht der Nachrichtensprecher das Wort "title" nicht "Teitel", sondern "Tittel" aus: Sein Sprachzentrum wurde vom News-Brustbild irritiert. Nach dem Versprecher geht es sofort zum verflixten Wetter in Detroit, die Welt hat eben ihre Problemzonen.

Im Moment des Scheiterns weiß der Sprecher bereits, dass er damit YouTube-Karriere machen wird, und ruft dies aus. So formuliert der Titel des Clips einen Grundsatz für die Verwertung der im Fernsehen erzeugten Motive im Internet: Solche erhellenden Missgeschicke entfalten ihre Attraktivität erst durch die Reproduzierbarkeit im Netz. In wenigen Sekunden bündeln sie ganze Themenfelder, wie hier die wahnwitzige Mischung von harten News und Boulevardthemen in Nachrichtensendungen.

Es hätte also auch im Fall von Rodney Stanger noch schlimmer kommen können; das souveräne Fehler-Abfedern der Nachrichtensprecherin war professionelles Krisenmanagement im News-GAU. Eine ungeübtere Moderatorin hätte sich wohl massiv verhaspelt und die Nachrichten in einen Hämster-Gängster-Rap verwandelt.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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