Internetvideo der Woche:Der Brüller des Jahres

Halb Mensch, halb Köter: Chewbacca war in "Star Wars" nur eine Nebenfigur. Doch jetzt hören immer mehr Menschen seine einzigartige Stimme - sie kommt aus ihren Möbeln.

Christian Kortmann

Plötzlich ist es überall, im Nachttischschrank, im Staubsauger, in der Schublade: das Schreien des gutartigen Monsters aus dem Science-Fiction-Film, das wir seit der Kindheit kennen, ohne die bewegten Archive des Internets vergessen hätten wie ein Kuscheltier, das mit dem Ende der Kuscheltierära im Müll verschwand. Chewbacca aber, der 2,28 Meter große Hundemensch aus der "Star Wars"-Saga, ist präsenter denn je.

Seit Bild-Ton-Dokumente im Netz jederzeit verfügbar sind, ist man nicht länger auf vage Erinnerungen angewiesen, sondern kann sie sofort überprüfen. Der Umgang mit Filmen ist dadurch zugleich wissenschaftlicher und spielerischer geworden. Denn ergänzt wird die kennerschaftliche Betrachtungsweise durch die Mitmach-Option, weil eigene Filme leicht zu drehen sind, und vorgefundenes Material ohne große Kosten und Mühen bearbeitet werden kann. In dieser Mischung aus genauem Hingucken und lustvollem Mitgestalten entwickeln mitunter Film-Nebenfiguren ein Eigenleben. Sie lösen sich aus ihrem Herkunftsfilm heraus und werden zum selbständigen Ereignis, ein Spin-off, der nicht von den Machern, sondern vom Publikum gelenkt wird.

Auch wenn die Erinnerung an Chewbacca nicht in den vorderen Bereichen des Bewusstseins gespeichert ist, so kennt doch jeder Han Solos Kopiloten und Mechaniker, der in einer Parodie als "Möter, halb Mensch, halb Köter", bezeichnet wurde. "Star Wars"-Schöpfer George Lucas soll zu Chewbacca inspiriert worden sein, als er seinen Hund auf dem Fahrersitz seines Autos sitzen sah.

Markantestes Zeichen des Wookiees, so die korrekte Artenbezeichnung, sind neben seiner imposanten vollbehaarten Statur die Lautäußerungen: metallisch verzerrtes, mal mehr stöhnendes, mal mehr seufzendes Brüllen, das unbändige Kräfte, Unzufriedenheit mit der Gesamtsituation, letztlich aber Zustimmung mit den Absichten des Möter-Herrchens signalisiert.

Der Zusammenschnitt einiger Szenen im Clip "The Many Moods of Chewbacca" zeigt, dass die linguistische Interpretation seiner Laute intimen Kennern der Wookiee-Sprache vorbehalten ist. Chewie hat viele Launen und äußert sie offensichtlich immer in einem ähnlichen Tonfall. Sounddesigner Ben Burtt vermischte für das Wookiee-Brüllen Walross-, Kamel-, Tiger- und Dachsstimmen, ganz wichtig waren die Beiträge eines Schwarzbären sowie für die zerbrechlich-melancholischen Untertöne das Schnaufen von Kaninchen.

Burtts kompositorische Mühe wirkt nachhaltig, denn dieses einzigartige Geräusch steht 30 Jahre nachdem es in die Welt kam im Zentrum einer Reihe von Videoclips, in denen Chewbaccas Laute an ganz anderen, auf den ersten Blick Chewbacca-losen Orten entdeckt werden. Der Möter ist gar nicht anwesend, doch die Erinnerung an ihn ist der Star.

So hat ihn ein User im kleinen Schrank neben seinem Bett entdeckt und beweist es im Clip "Is Chewbacca trapped in my nightstand?" Eine rhetorische Frage, denn, kein Zweifel, so jault nur Chewie zur guten Nacht. Ein anderer hat ihn in der Werkstatt in einem Lenkrad gefunden. Die Wookiees sind längst auf der Erde zu Gast.

Wer jetzt mal schnell die Wohnung inspiziert und keine Chewbacca-Schublade oder -Tür und auch keinen Chewbacca-Mülleimer oder -Staubsauger gefunden hat, dem bleibt noch, sich an einer Wookieestimmen-Nachahmung zu versuchen, die trotz der im Lehrvideo erläuterten gutturalen Schwierigkeit ein erstaunliches Niveau erreicht.

Bevor man die Chewie-Laute mühsam durch Kontrolle von Zunge, Mundmuskulatur, Zäpfchen und Atmung erlernt, sollte man sich versichern, dass man einen Menschen kennt, der das hören will, oder dass man es zumindest von sich selbst hören will. Im Clip "He's a Wookiee! - The Best Chewbacca Impression Ever" zeigt ein Meister seine Möterkunst. Und auch auf der E-Gitarre ist ein Chewie-Solo machbar.

Popmusik und Klassik sind für Chewbaccas Stimme wenig erforschtes Terrain. Im Clip "Chewbacca Sings Silent Night" beweist er sein Potential, das im Death Metal aufgrund des zu geringen Überraschungseffekts verschenkt wäre. Das üblicherweise glockenhell ohrenschmalzende Weihnachtslied "Stille Nacht" erfährt durch den verzweifelten Chewie eine rumpelnde Low-Fi-Interpretation, die es wie mit einer Drahtbürstenstimme vom gröbsten Kitsch befreit.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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