Internetvideo der Woche:Der Billigflieger

Kann ein Auto über den Atlantik springen? Was macht ein Serienwagen in der Halfpipe? Diese Fragen klärt man bei YouTube durch waghalsige Experimente. Die völlig abgehobene Clip-Kritik.

Christian Kortmann

Der Zweck, der in den Dingen liegt, stellt eine Begrenzung dar, die die Phantasie des Menschen reizt. Dass ein Ding für eine einzige Tätigkeit gemacht sein soll, das kann man so nicht akzeptieren. Nehmen wir etwa Autos: Millionenfach rollen sie täglich Milliarden Kilometer auf ebenem Asphalt dahin. Doch Actionfilme deuten ihr Potential an: Vornehmlich in San Francisco lachen Polizeiautos der Gravitation ins Gesicht und heben an den geteerten Wellen der hügeligen Straßen ab wie sonst nur Ski-Abfahrtsläufer.

Ein Auto zum Fliegen zu bringen, das ist eine motorisierte Variante des Kameltreibens durchs Nadelöhr. Wachgerüttelt vom "Lass es sein, das geht nicht" wird bei Erwachsenen der kindliche Spieltrieb des "Vielleicht sollte ich es trotzdem mal versuchen" aktiviert. Deshalb findet man bei YouTube, dem Internetportal für die Dokumentation von Mutproben und Freizeitquatsch, allerlei Videos, in denen Autos durch den Luftraum befördert werden.

Da ruckeln Serienwagen über Sanddünen und matschige Wiesen, segeln über Erdrampen in Wäldern in der amerikanischen Provinz. Da werden Autos zu Schrott gefahren oder bereits schrottreife Karren endgültig auf den Autofriedhof befördert, getreu dem Motto: "Tod und Dummheit gehen Hand in Hand. Bier macht es weniger schmerzhaft."

Meist landen die Hasardeure mit den Vorderrädern zuerst, weil der Motor so schnell wie möglich wieder runter will, und schlagen mit der Stoßstange auf. Die Motorhaube prallt auf den Boden und der Fahrer so hart in den Gurt wie seine Kinnlade auf die Brust. Synchron knautschen Mensch und Maschine ihre Zonen. Als Lohn winken wenige Momente der Schwerelosigkeit, ein Autosprung ist der Parabelflug des kleinen Mannes.

Im Clip "Daves Lumina Car Jump" wird die sparsame Schönheit dieses Hobbys vorgeführt: Den Sturzhelm kann man sich ausleihen, Stuntcrew und Ausrüstung sind besonders günstig, wenn man einfach darauf verzichtet. Je weniger Auto und Schanze (in diesem Fall eine Reparaturrampe) für den Stunt geeignet sind, desto größer die Herausforderung.

Mit einfachsten Mitteln sorgt Dave für Volksfestatmosphäre. Die Nachricht "Dave wird springen" machte wohl schon lange vor dem großen Tag die Runde im Dorf. Also haben sie sich alle in ihre Autos gesetzt und sind gekommen. Spannung erfüllt die blecherne Wendeplatz-Arena. Als Dave abhebt, brandet Jubel auf wie beim Start des Spaceshuttle.

Mit einer Actionfilm-erprobten Unterbodenperspektive, Wiederholungen und dem Standbild auf dem Gipfel der Parabel feiert das Video Daves Flug. Für die Postproduktion nahm sich Dave eine Woche Zeit und kurierte nebenbei sein Schleudertrauma aus. Auch sein Auto war nur leicht verletzt, lässt er in den Kommentaren verlautbaren, erst vergangene Woche sei er damit von Texas nach New York gefahren. Mensch, Dave, da hast du ja noch mal Blech gehabt!

Doch es gibt weitaus steilere Thesen, die bei YouTube bewiesen werden: Kann ein Auto wie ein Skateboardfahrer in der Halfpipe aus einer vertikalen Schanze herausspringen und wieder in ihr landen? Im Clip "Cascades en Lada acrobatique" gelingt dies. Ob das nun ein digital manipuliertes Werbefilmchen oder ein Kunststück aus der Epoche der Führerscheinadoleszenz ist: In jedem Fall illustriert das Video die Schwerelosigkeit, die man seit Kinderzimmertagen Spielzeugautos andichtet, die in der Straßenrealität aber von Tempolimit und Stau verhindert wird.

Deshalb nimmt die Autowerbung bei aller Beschwörung der stabilen Straßenlage die Faszination fürs Abheben auf. Ein Hersteller stellte in diesem Jahr eine etwas zu lang und zäh geratene fiktive Dokumentation ins Netz, die zeigt, wie im bayerischen Dorf Oberpfaffelbach eine riesige Rampe gebaut wird, über die ein Sportwagen bis nach Amerika springen soll.

Plant man den ganz großen Wurf, muss man es ganz anders anstellen: Der seit der Antike bekannten Technik des Katapults bedient sich ein englischer Farmer im Clip "Car Catapult", um ein Auto auf die Weiden hinauszuschleudern. Wer nun fragt, warum er das macht, stellt die falsche Frage. Vielmehr sollte man froh sein, dass der Mann sich zu beschäftigen weiß und in der Zeit keine Dummheiten anstellt. Hauptsache, es sitzt niemand im Auto, und die Schafe sind in Sicherheit.

Diese resolute Methode, Autos zum Fliegen zu bringen, da alle Versuche, sie mittels Schanzen hoch hinaus zu bringen, gescheitert sind, ist Ausdruck des unbedingten Willens des Menschen, das, was er sich in den Kopf gesetzt hat, in die Tat umzusetzen. Die Auto-Wurfmaschine ist nur der Anfang; der Exzentriker von der Countryside will noch größere Katapulte bauen. Das ist übrigens auch die Leser-Hausaufgabe bis zum nächsten Donnerstag: Wie groß müssen ein Katapult und seine Spannkraft sein, um ein Auto über den Atlantik zu schleudern?

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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