Süddeutsche Zeitung

Internetvideo der Woche:Das jüngste Sofortgericht

Wäre es nicht gerecht, wenn kleine Sünden sofort bestraft würden? Ein Video zeigt, wie dieses "Instant Karma" wirklich zuschlägt. Vergehen und Strafen in der Clip-Kritik.

Christian Kortmann

Wenn doch alles, was geschieht, die Konsequenzen hätte, die es verdient, wenn jede gute Tat sofort belohnt und jede schlechte verdammt würde, ach, wenn es doch gerecht zuginge auf der Welt. So lange dem noch nicht so ist, müssen wir uns mit dem Glauben an das "Instant Karma" behelfen, an jene höhere Macht, die Vergehen sofort bestraft, ein Aberglaube, an den auch nicht abergläubige Menschen gerne glauben würden. Geprägt wurde der Begriff von John Lennons Song "Instant Karma", den Sound der Botschaft hat man also im Ohr. Eine Filmaufnahme dieser spirituellen Mechanik ist ein willkommener Beweis für die Existenz des Jüngsten Sofortgerichts.

Im Video "Instant Karma" wird der sanfte Karma-Begriff des Buddhismus, demzufolge alles, was geschieht, Teil eines Ursache-Wirkungs-Systems ist, als objektiv gerecht strafende Kausalkette interpretiert. Ein junger Mann stört die Dreharbeiten zu einem sehr ernst gemeinten Videoblog, indem er sich hinter dem Vortragenden ins Bild schiebt und ihn zunächst parodistisch imitiert. Dann zeigt er geübte Beischlafgesten. Als er schließlich die Treppe hinauf eilt, rutscht er aus und wird auf den harten Boden der Tatsachen zurückgeworfen. Der zuvor unwissentlich Karikierte eilt sofort zu Hilfe, weshalb sich der Komiker noch mehr schämen dürfte.

Als hätten beide Darsteller Lennons Text im Kopf, spielen sie den Song "Instant Karma" nach, in dem es heißt: "Instant karma's gonna get you / Gonna knock you off your feet / Better recognize your brothers / Everyone you meet". Die Bildsprache des Clips ist dem Thema auch deshalb angemessen, weil die Treppenstufen symbolhaft für ansteigende Bewusstseinsstufen gedeutet werden können. Der Imitator ist spirituell noch nicht reif für die nächste Stufe. Zugleich widerfährt ihm Gnade, er darf es unten noch mal versuchen.

Bei YouTube finden sich einige Verbrechen-und-Strafe-Videos, in denen die körperliche Züchtigung eskaliert (eines der besten ist zum Glück von Stuntmen gestellt). Die Auge-um-Auge-Prügelstrafe ist jedoch nicht im Sinne der Karma-Ideologie, die nicht schmerzhaft Rache üben will, sondern den Übeltäter vielmehr durch Erschrecken aufrüttelt und mahnt, die Freiheit der Mitmenschen zu respektieren. Entscheidend für eine gelungene Instant-Karma-Erscheinung ist also, dass weder das Vergehen noch die Strafe wirklich gravierend sind. Alles muss sich unterhalb der justiziablen Schwelle abspielen: "Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sofort", wie Kindern gerne erzählt wird.

Die meisten kleinen Sünden bleiben jedoch ungestraft. Gelegentlich ertappt man sich dabei, dass man den Instant-Karma-Vergeltungsschlag herbeisehnt, wenn etwa beim Fußball ein Spieler durch eine theatralische Schwalbe einen Elfmeter herbeischindet. Dann erscheint es nur gerecht, wenn er selbst antritt, den Ball meterhoch über das Tor katapultiert, und der Strafstoß zur Strafe wird.

Im Clip "Instant Karma Bigot" zeigt die New Yorker Comedy-Gruppe The Whitest Kids U' Know, was passiert, wenn jedes politisch nicht korrekte Wort mit einem Hieb des Jüngsten Sofortgerichts geahndet würde. In ihrem Bushaltestellen-Sketch kritisieren die Comedians die Sprachregelung, was offiziell gesagt werden darf und was nicht, sowie die Vorstellung einer höheren Gerichtsbarkeit, die bei Gesetzesverstößen Krähen oder Klimaanlagen vom Himmel schickt. Denn die Verfechter beider Konzepte machen sich zu "Bigots", wie es im Titel heißt, zu religiösen Fanatikern.

Schließlich ist auch die absolute Gerechtigkeit ein Produkt der menschlichen Vorstellung. Die Blitzschläge, mit denen das Instant Karma die Ungerechten richtet, beziehen ihre Energie aus der menschlichen Rachelust. Wenn im Alltag alles bestraft würde, was irgendjemandem an jemand anderem aus irgendeinem Grund nicht gefällt, dann bestünde das Leben aus einer einzigen Prügelstrafen-Orgie. Passanten würden unablässig von niedersausenden Blumentöpfen getroffen, auf Bananenschalen ausrutschen und von Bussen überfahren.

Die vom Individuum empfundene Ungerechtigkeit falsch bemessener oder ausbleibender Strafen ist in Wahrheit humaner als ein Weltenlauf, der sich mit dem Rechtsempfinden einer einzigen Person decken würde. Das wäre nämlich keine Welt der vollendeten Gerechtigkeit, sondern reine Instant-Karma-Tyrannei.

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