Internetvideo der Woche:Achtung Bildstöhnung!

Um schlank und fit zu werden, denken sich Menschen die seltsamsten Dinge aus. Manche versuchen es mit Stöhnen: die lächerlichsten Fitness-Übungen in der Clip-Kritik.

Christian Kortmann

Wenn man Erwachsene vor oder nach dem Joggen bei ihren Dehnübungen beobachtet, verrät die Art der Gymnastik, welcher Generation sie angehören. Denn jeder Sport, auch der nebensächlichste, kennt Bewegungsmoden. Man denke nur an die Skispringer, die einst mit den Armen ruderten, um sich durch die Luft nach vorne zu schaufeln. Wer heute noch eine Runde im berüchtigten, kniescheibenzermörsernden Entengang hinlegt oder die Glieder mit einem scharfen Ruck dehnt, der hat wohl zuletzt in den frühen 1980ern einem Sporttrainer gegenübergestanden.

Je länger man die Dehnübungen von keinem Trainer oder Lehrer vorgeturnt bekommt, desto mehr verselbständigen sie sich zur furiosen Freestyle-Phantasie-Gymnastik. So sieht man im Stadtpark Menschen, die mal an die Schulterblätter, mal an die Fersen greifen, Füße, die mal auf Bänke gelehnt werden, mal wie beim Schattenboxen in die Luft treten, und Oberschenkel, die in alle möglichen Richtungen ausschlagen. Manch ein Hobbysportler guckt sich gar solch eine Freistilübung eines anderen Hobbysportlers in freier Wildbahn ab und bindet sie ins eigene Gymnastikprogramm ein.

Eine ganz eigene Kategorie bilden jene Trainingsmaßnahmen, die von vornherein albern sind. Sie sind möglichst bunt und sportfern, damit sie auch den Bewegungsscheuen Lust auf Bewegung machen. Früher nannte man das etwa Aerobic, eine Disziplin, die im geselligen Rumhüpfen zu Discomusik bestand, während man bunte Stulpen und hautenge Trikotagen vorführte. Manche der Übungen sind konzeptionell gaga: Sie dehnen vielleicht den ein oder anderen Streck- oder Beugemuskel und bringen den Kreislauf in Wallung, doch Zuschauer denken dabei auf keinen Fall an Fitness, sondern zweifeln vielmehr an der körperlichen und geistigen Gesundheit des Turners.

Feinstes historisches Anschauungsmaterial für diese Art von Stand-up-Comedy bietet der Videoclip "80s face workout". Eine Frau in apricotfarbenem Badeanzug, die auf dem Kopf eine Löwenmähnenperücke spazieren führt, stützt sich in einem hell eingerichteten Kaminzimmer nach vorne auf die Knie, richtet sich auf und atmet dabei tief ein, um uns ihren Atem leidenschaftlich entgegenzustöhnen. Mit aufgerissenem Mund, zur Decke verdrehten Augen, also einem zur "Scream"-Horror-Maske verzerrten Gesicht, verharrt sie danach, als hätte die extreme Übung ihre Gesichtszüge fixiert. Man möchte ihr die Worte zurufen, mit denen sonst nur grimassenschneidende Kinder gemaßregelt werden: "Lass das, sonst bleibt dein Gesicht für immer so!"

Eigentlich sind es ganz einfache Dinge, die die Vorturnerin vollführt, sie atmet ein und aus. Zu etwas Besonderem macht diesen Clip, dass die Hauptdarstellerin überhaupt darauf gekommen ist, das Atmen derart abzuwandeln. Mit zweieinhalb Minuten hat das Video beinahe epische Länge, und man kann sich gut vorstellen, dass die Löwenmähnen-Badeanzug-Frau den ganzen Tag stöhnend im Kaminzimmer verbringt, nur ab und an von einer echten Dehnübung, wie sie sie am Ende des Clips zeigt, unterbrochen. Motivisch nimmt der Blasebalg, der rechts unten im Bild an der Kaminzimmer-Wand lehnt, den komprimierten Luftausstoß auf.

Solch ein Spektakel ist eigentlich zu schade, um alleine im häuslichen Rahmen zelebriert zu werden. Erst vor einem kleinen, ausgewählten Mitmach-Publikum kommt wahre Freude auf, wie das Video "Poodle Exercise with Humans" zeigt.

Der satirische Clip zielt auf den Traum, durch vergnügten Gruppentanz (manchmal auch nur im Sitzen) Körpergewicht zu verlieren und einen muskulös-attraktiven Körper zu formen. Es handelt sich um den Originaltext eines ernsthaften Fitnessvideos, nun werden jedoch Königspudeldamen von einer pudelartigen Trainerin angeleitet. Diese lächerliche Wahrnehmung deckt sich - Stichwort: Entengang - mit der kollektiven Gymnastik-Biographie: Bei vielen Übungen, die im Moment sinnvoll erscheinen, sind wir die Königspudel von morgen.

Denn wer meint, Aerobic-Clips seien bloß aufgrund ihrer Antiquiertheit unfreiwillig komisch, dem zeigt der Clip "Hilarious Shake Weight Exercise for Women" aus dem wunderbaren Reich der Infomercials, dass im Labor des Lächerlichen stets neue Übungen oder Hilfsmittel wie die "Shake Weight"-Hantel ausgebrütet werden, die man nur mit gefestigtem Selbstbewusstsein in der Öffentlichkeit anwenden darf.

Sollte dann jemand unkontrolliert lachen oder dreckig grinsen, hat die dank "Shake Weight" Oberarm-gestählte Frau immerhin die Kapazität, ihm eine rechte Gerade in Richtung Kinnspitze zu schicken.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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