Internetsprache:I bims, die Bibel

Der Internet-Künstler Shahak Shapira hat die Bibel in die Vong-Sprache übersetzt. Das ist 1 großartige Sache.

Von Dirk von Gehlen

Der Bezug zu Martin Luther drängt sich förmlich auf. Und außerdem bringt die Referenz auf den Reformationsvater und Bibelübersetzer die nötige Tiefe in das Thema, das zunächst nur aussieht wie banaler Internet-Quatsch. "Holyge Bimbel - Storys vong Gott u s1 Crew" heißt dieser Quatsch, der Internet-Künstler Shahak Shapira hat ihn sich ausgedacht und man möchte, wenn man ihn liest, ausfrufen: "Der neue Luther ist da! Die Bibel ist endlich in gegenwärtiger Sprache aufgeschrieben worden!"

Denn Shapira hat 500 Jahre nach Martin Luthers Thesenanschlag an der Schlosskirche zu Wittenberg Teile der Bibel neu übersetzt. Die 19 Unterkapitel von "Holyge Bimbel" tragen Namen wie "Towerbau zu Basel", "Adolf U Eva" und "Jesus Chrispus IVIER: das Impressium schlägt zurück". Nein, da ist kein Tippfehler drin. Sie heißen tatsächlich genauso.

Die Kapitel übertragen die Grundgeschichte der Bibel in eine Sprachform, die seit einem guten Jahr im deutschsprachigen Internet äußerst populär ist: die Vong-Sprache. Es handelt sich dabei um eine wirre Mischung aus geschriebener und gesprochener Sprache, die deutsche Wortbestandteile mit englischen verbindet, Mengen bevorzugt in Ziffern angibt und durch groteske Bezugs- und Rechtschreibfehler auffällt. Ein zentrales Merkmal - vong Auffälligkeit her - ist zudem das angehängte Substantiv, das mit "vong" eingeleitet und mit "her" abgeschlossen wird. Das ist herrlich falsch und gerade deshalb Ausdruck moderner Internet-Ironie: Man hält etwas absichtlich für richtig, von dem man weiß, dass es nicht stimmt. Wer auf diese Weise spricht, fühlt sich zugehörig und verstanden - von den anderen Internet-Ironikern.

So entsteht seit Jahrhunderten Distinktion und natürlich auch Humor. Das erste Buch Mose ist in "Holyge Bimbel" etwa als "Gangesis" überschrieben und beginnt mit diesen Worten: "Im Anfang war die Universe leer u schwarz wie 1 coke zero am bimsen, also buildete Gott 1 Earth u 1 Heaven. Aber die Earth war dark wie 1 Berghain u needete 1 Boss-Transformation...". Das kann man lustig finden - oder vielleicht auch nicht. In jedem Fall ist es weniger albern und anspielungsreicher als man auf den ersten Blick denkt. Oder hätten Sie gewusst, dass "Boss-Transformation" der Namen des Fitness-Programms des Rappers Kollegah ist?

Im besten Fall wirkt die "Holyge Bimbel" auf Bibelleser und auf Netzkenner missionarisch

Die "Holyge Bimbel" ist nicht das einzige Beispiel dafür, wie die Vong-Sprache seit Kurzem ihren Weg aufs Papier findet. Die Buchverlage haben den Sprachtrend entdeckt und drucken ihn nun aus (u.a. "Vong die Niceigkeit der Sprache her" und "Vong - Was ist das für 1 Sprache). Die Masse an Veröffentlichungen führt reflexhaft zu Verwirrung auf beiden Seiten, denn spätestens wenn die Witze im Mainstream angekommen sind, fühlen sich die Internet-Ironiker normalerweise verkauft - vong Realness her.

Dass es diesmal anders kommen könnte, ist dem Martin Luther des Internet-Quatsch zu verdanken: Shahak Shapira ist im Kreise der Internet-Ironiker ein Star, seit er Anfang des Jahres für die Aktion "Yolocaust" Selfies von Menschen sammelte, die das Mahnmal für die Opfer des Holocaust in Berlin einzig als Kulisse für ihre Selbstinszenierung nutzen. Unlängst sorgte er für Aufmerksamkeit, weil er nicht-gelöschte Hass-Tweets vor der Twitter-Zentrale in Hamburg auf den Boden sprühte.

Shapira hat sich nun für sein Vong-Buch ein Thema ausgesucht, das zunächst unpassend erscheint, aber gerade deswegen so großartig ist. Eine Bibelübersetzung in Vong-Sprache widerspricht allen Regeln der Verkaufslogik. Die adressierbare Leserschaft ist einfach zu klein. Denn wer das Buch wirklich verstehen will, muss die Grundideen beider Welten kennen. Shapiras "Holyge Bimbel" ist also ein Buch, das vor allem diejenigen genießen können (tränenlachender Smiley), die sowohl wissen wer Kain und Abel sind, als auch die Facebook-Seite "Nachdenkliche Sprüche mit Bilder" kennen, die die Vong-Sprache populär gemacht hat.

Man dürfte annehmen, dass die Schnittmenge beider Kenntnisbereiche trotz demonstrierender Abendlandverteidiger nicht allzu groß sein dürfte. Das sollte sich ändern - und die "Holyge Bimbel" kann dazu beitragen. Vielleicht zeigt sie in beide Richtungen missionarische Wirkung: Bibelleser lernen das Netz kennen und Netzkenner kommen in Kontakt mit biblischen Geschichten - und gemeinsam können sie dann sehr herzlich lachen. Denn die Holyge Bimbel ist bei aller theoretischen Einordnung vor allem eins: wirklich sehr sehr lustig!

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