"Interior. Leather Bar" im Kino:Bar der roten Ohren

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Er ist Gucci-Model, Yale-Doktorand und jetzt Schwulenpornokünstler. Sein Anruf öffnet in Hollywood jede Tür, sein Lächeln jede Bluse. Wer zum Teufel ist dieser James Franco, der jetzt mit einem Selbsterfahrungstrip in unsere Kinos kommt?

Von Jan Füchtjohann

Val ist ein netter Typ, wie es in Hollywood Tausende gibt: Er war auf der Schauspielschule, sieht ganz gut aus, trainiert seinen Bizeps, mag Mädchen. So richtig abgehoben ist seine Karriere bisher nicht. Stattdessen hat er ein Abo auf die ewige TV-Nebenrolle: mal irgendein Agent in "24", mal Barkeeper, dann wieder Safeknacker. Bis Steven Spielberg und Tom Hanks ihn zum Helden ihrer Serie "The Pacific" machen wollen.

Ein Traum! Neun Monate Probe, 15 Stunden Flug nach Australien, wo schon eine Nachricht auf ihn wartet: "Es hat eine kleine Änderung gegeben. Du bist raus."

Sein alter Freund James dagegen, den er seit über 15 Jahren kennt, ist inzwischen ein Star. Mit geschätzten 75 Millionen Dollar Jahresgehalt gilt James Franco als einer der bestbezahlten Schauspieler der Welt. Sein Anruf öffnet in Hollywood jede Tür, sein Lächeln jede Bluse. Und er kann Val endlich die Chance geben, auf die er schon lange gewartet hat: eine Hauptrolle als Al Pacino - der Mann, den er schon immer bewundert hat. Der Held aller Macker, Machos und Kleinkriminellen dieser Welt.

"Look at my shit."

Genau so einen Kleinkriminellen hat auch James Franco gerade gespielt. In Harmony Korines unglaublichem "Spring Breakers" steht er auf einem von innen leuchtenden Prunkbett, auf dem Kopf die blonden Rastazöpfe von Bo Derek, auf dem blank gezogenen Sixpack die Tattoos aus dem Knast und im Gebiss sämtliches Gold aus Fort Knox. Hinter ihm an der Wand hängen seine Messer und Gewehre, rechts gibt es haufenweise Drogen, links Koffer voller Geld. Den spärlich bekleideten Girls erklärt er die Lage in einem einzigen Satz: "Look at my shit". Dazu läuft im Fernseher natürlich "Scarface" auf constant repeat - Al Pacino, der Machogott.

Für den armen Val hat Franco allerdings eher an einen anderen Pacino gedacht. Schließlich ist Val eine liebe Seele und ein netter Typ, aber er ist eben auch ein bisschen einfältig. Seine Idee vom Leben: arbeiten, eine Frau heiraten, Kinder kriegen, Haus kaufen. Seine Idee vom Glück: ein größeres Haus kaufen.

Wenn also Franco einen wie Val trifft, dann sieht er sofort ein Projekt. Franco hat immer irgendwelche Projekte, veröffentlicht Kurzgeschichten, inszeniert Tanztheater, macht seinen Doktor in Yale, besucht Poesie-Seminare, den ganzen Streber-Chichi also, mit dem er der Welt permanent mitteilt: "Sexsymbol, Multimillionär und weltberühmt reicht mir einfach nicht - ich bin Künstler!"

"Interior. Leather Bar." heißt der Film, den er sich nun mit Travis Mathews ausgedacht hat und in dem Val die Hauptrolle spielen soll. Dessen Agent rät ab. "Franco Faggot Project" nennt er das Ganze - Francos kleines Tuntenprojekt. Die Idee: Szenen aus dem Film "Cruising" von 1980 wiederherstellen.

James Franco - Schauspieler, Regisseur, Schriftsteller, Drehbuchautor, Filmproduzent, bildender Künstler und derzeit Doktorant. (Foto: AFP)

Damals spielte Al Pacino einen Polizisten, der undercover in einem Sadomaso-Schwulenclub in New York ermittelt. Der Film wurde wirklich von allen gehasst: Schwule fanden ihn homophob, Konservative schwul, alle anderen nichts für Kinder. Auf der Strecke blieben am Ende 40 Minuten voller angeblich ziemlich explizitem Sex, Regieanweisung: "Innenraum. Lederbar."

Und genau da soll er jetzt hin, der arme Val, der sich so gar nicht wohlfühlt in seiner Haut, genau wie übrigens auch Pacino damals. Während also drinnen Lederkorsetts übergestreift, Blowjobs durchgeplant und Peitschen ausprobiert werden, führt er mit James vor der Tür ein kleines Vorgespräch. Franco: Fühlst Du Dich gut?

Val: Nee. Ich versteh' gar nicht, was das hier eigentlich soll.

Franco: Pacino hat sich damals angeblich auch unwohl gefühlt.

Val: Der hatte wenigstens ein Drehbuch.

Franco (starrt auf sein iPhone): Scheiß auf Drehbücher. Du gehst da rein, benimmst Dich unauffällig und machst einfach bei allem mit, was so passiert (lacht dreckig).

Val, unsicher: Was genau passiert denn da? Franco: Weiß ich doch nicht. Du bist halt undercover und machst eben so mit.

Val: Aber wobei? Ich verstehe ja, dass das hier ein Club ist . . .

Franco: Keine Ahnung, wobei genau Du so alles mitmachen wirst (lacht dreckig). Wird schon kein Problem werden (lacht noch dreckiger). Musst Dich eben ein bisschen anpassen, sollst ja schließlich Undercover bleiben (lacht sehr, sehr dreckig).

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Während Franco also die ganze Zeit nur rumsitzt und mit dem Abziehbild-Hipster Travis Mathews - Nerdbrille, halbironischer Schnurrbart, witziges Vintage-Hemd - intellektuell daherseiert ("Es besteht die Angst, dass die Assimilation der Schwulen die schräge Radikalität des schwulen Lebensstils zum Verschwinden bringt . . ."), schreitet Val durch das tiefe und dunkle Tal der echten, körperlichen Angst. Fassungslos steht er vor der schrägen Radikalität einer Stiefelleckszene, der kalte Schweiß läuft ihm über die Stirn, seine Augen sind weit aufgerissen, bei jedem Klatschen, mit dem das Züchtigungs-Paddel auf nackte Haut trifft, zuckt sein ganzes Gesicht vor Schmerz zusammen.

James Francos Selbsterfahrungstrip ("Ich will mich endlich freimachen von dieser ganzen Normalo-Hirnwäsche, bei der am Ende immer der Typ und das Mädchen glücklich in den Sonnenuntergang reiten") ist am Ende also wirklich eine Erfahrung - für Val. Er riskiert seine Karriere; er erlebt, wie es sich anfühlt, vom Jäger zum Gejagten zu werden; es sind seine roten Ohren, durch die die längste, wirklich sehr schöne und zärtliche Sexszene gefilmt wird. Danach sitzt dann er mit dem erschöpften, noch immer halbnackten Paar zusammen und stellt fest: Krasse Typen, aber schön, dass sie sich lieben. James, das Arschloch, hat sich inzwischen verpisst.

Tatsächlich aber, das wird jede Minute klarer, ist der Film nicht, was er zu sein vorgibt. Also eben kein aufgeblasenes Selbsterfahrungs-Kunstprojekt, und schon gar kein Making-of dieses Kunstprojekts. Stattdessen ist das Ganze sehr smart. Und James Franco ein Regisseur, der bereit ist, sich selbst als Künstlerarschloch zu casten - um den Val in uns allen zu neuen Erkenntnissen zu führen. Also doch ein großer Künstler.

Interior. Leather Bar , USA 2013 - Regie: Travis Mathews, James Franco. Mit Val Lauren, Christian Patrick, James Franco. Verleih: Pro-Fun, 60 Min.

© SZ vom 16.10.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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