Matthias Lilienthal: Reden! Viel Trinken!
Die Besetzung eines Theaters ist zugleich Glücksfall und Vollkatastrophe. Den Widerspruch dazwischen muss man irgendwie aushalten. Sie ist ein Glücksfall, weil es ja etwa möglich wäre, dass sich eine Gruppe von Theatermachern, die neu in die Stadt kommt, mit basisdemokratischen Bewegungen der Stadt verbindet. Eine Katastrophe ist sie dagegen für Susanne Kennedy und Tino Sehgal, die an der Volksbühne vermutlich sehr gerne ihre Produktionen proben würden, nur sind in diesen Räumen andere Menschen. Ich glaube aber, dass Chris Dercon als alter dialektischer Mensch das Aushalten von Widersprüchen gewohnt ist.
Käme es aber bei uns zu einer Besetzung, wäre meine Reaktion: Reden. Reden. Reden. Trinken. Trinken. Trinken. Eine Räumung würde ich erst einmal ausschließen. Ich hoffe allerdings nicht, dass ich damit zur Besetzung der Münchner Kammerspiele aufrufe.
Matthias Lilienthal ist Intendant der Münchner Kammerspiele.
Annemie Vanackere: Nicht erpressen lassen
Ich halte diese Besetzung nicht für ein akzeptables Mittel und erwarte, dass die Berliner Kulturpolitik entsprechend handelt. Wer - wie Chris Dercon - einen Vertrag unterzeichnet hat, sollte sich darauf verlassen können, dass diese Vereinbarung Gültigkeit hat - das gilt nicht nur für Intendanten. Wenn sich der Berliner Senat durch die Besetzung erpressen ließe, fände ich das problematisch. Das Vorgehen der Besetzer erscheint mir anmaßend. Auch wenn die Kritik an der Gentrifizierung oder am "Kapitalismus" durchaus legitim sein mag, scheint sie von ganz unterschiedlichen Interessen geprägt zu sein. Die wichtigeren Fragen sind doch: Wie kann politische Teilhabe funktionieren? Welche Prozesse brauchen wir, damit Berlin für alle offen und lebenswert bleibt?
Annemie Vanackere ist Intendantin des Theaters Hebbel am Ufer in Berlin.
Thomas Oberender: Mehr Freiheit?
Es ist eine maximal schwierige Situation. Als Intendant kann man nur eines machen: präsent sein, reden, sich zeigen. Der Vorgang erinnert an Aktionen wie die vom "Zentrum für politische Schönheit", deren "Werk" ja eher der mediale Effekt ist, also das Gespräch, das sie in Gang setzen. Diese Theaterbesetzung erinnert ein bisschen an die APO, die außerparlamentarische Opposition, und das ist interessant. Dass so etwas stattfindet, darf nicht verboten sein. Ob diese Aktion an der Volksbühne ein besseres Modell schafft, bezweifle ich. Bei aller Sympathie für gesellschaftliche Wachheit und künstlerische Intervention ist die Volksbühne ein staatlich finanziertes Haus, das glücklicherweise an demokratische Prozesse gekoppelt ist. Und innerhalb dieses Prozesses hat Chris Dercon von der Politik die Freiheit und die Verantwortung übertragen bekommen, diesen Ort zu gestalten. Als künstlerische Aktion hat die Besetzung Sinn. Ob sie als institutionelles Modell mehr Freiheit und Repräsentation schafft, als sie nimmt, weiß ich nicht.
Thomas Oberender ist Intendant der Berliner Festspiele.
Stefan Bachmann: Keine Polizei
Ästhetisch ist die Besetzung eine super Aktion. Sie überschattet alle Berliner Premieren und ist das eigentliche Theater. Auch wenn ich gegen Chris Dercons Auffassung von Theater bin: Es gehört sich nicht, dass eine Gruppe dein Haus besetzt. Am Kölner Schauspielhaus haben wir etwas ähnliches erlebt. Der linke Block besetzte eine Podiumsdiskussion, um zu verhindern, dass ein AfD-Mitglied mitdiskutiert. Ich habe verhindert, dass die Polizei einschreitet. Im Theater dürfen wir von Gewalt erzählen, aber keine Gewalt anwenden. Bei der Volksbühne handelt es sich um ein in Berlin hausgemachtes Problem. Die Art wie mit Dercon umgegangen wird, kann man als Einladung zu so einer Aktion verstehen, so lange wird er schon angegriffen.
Stefan Bachmann ist Intendant des Schauspiel Köln.
Ulrich Khuon: Chance einräumen
Es ist eine Lose-Lose-Situation. Da ist Chris Dercon, dem man die Chance einräumen muss, das umzusetzen, was er sich vorgenommen hat. Man muss dazu sagen: Dercon hat sich ja gar nicht beworben. Er wurde gefunden. Man wundert sich, dass er so behandelt wird, als hätte er sich irgendwo reingedrängelt. Allerdings muss man auch sagen, dass er bei der Planung seines Programms Lücken gelassen hat. Auf Tempelhof passiert was, und in der Volksbühne wartet alles. Und nun gibt es eine Gruppe, die hochmütig und vermessen die Symbolik des Ortes nutzt. Das ist eine Schieflage zwischen der Bedeutung der Volksbühne und der Legitimität derer, die da jetzt drin sind. Bei allem Verständnis: Man kann nicht glauben, dass das sinnvoll theatralisch gefüllt werden kann. Die Frage wäre, ob man nicht der Gruppe einen Raum innerhalb der Volksbühne bieten sollte, den sie mit ihren Energien und Ideen füllt. So könnten die Besetzer ihre Intervention ausformulieren.
Ulrich Khuon ist Intendant am Deutschen Theater Berlin
Wilfried Schulz: Es ist sein Haus
Natürlich gibt es immer eine Grundsympathie für künstlerische oder künstlerisch-soziale Aktionen, wenngleich ich die Geschehnisse an der Volksbühne aus der Ferne nicht beurteilen kann. Aber auch wenn wir alle den radikalen Dingen nachhängen, die etwa Christoph Schlingensief gemacht hat, handelte es sich damals immer um koordinierte Aktionen. Egal, was man von der neuen Volksbühnenintendanz hält: es muss eine Lösung gefunden werden, die mit dieser abgesprochen ist. Sollte es sich um eine künstlerisch-soziale Aktion handeln, die auch Chris Dercon akzeptieren kann, gar als wertvoll empfindet, dann muss man ein Agreement herstellen. Wenn nicht, dann ist es Dercons Haus. Würde sich Ähnliches bei uns in Düsseldorf ereignen, würde ich mich fragen, inwieweit dies die eigene Arbeit ergänzt. Erst daran könnte man festmachen, ob man das Ganze geschehen lässt, als produktive Provokation bewertet und befördert oder nicht. Sollte es darüber zu einem Konflikt kommen, muss man ihn auch austragen.
Wilfried Schulz ist Intendant des Düsseldorfer Schauspielhauses.
Karin Bergmann: Klare Grenzen
Es ist von Wien aus nicht verständlich, was die Besetzer wollen. Theaterperformance, Gastspiele, Diskussionen, Party - das ist ja bereits das Programm des neuen Intendanten Chris Dercon. Ich könnte den Protest besser verstehen, wenn er darum ginge, die Volksbühne als Ensembletheater zu erhalten. Wären wir in Wien in derselben Situation, lautete unsere Devise: In der Kommunikation bleiben, aber auch klare Grenzen setzen. In einer politisch aufgeheizten Situation, wie wir sie hier in Wien in den Zeiten der schwarz-blauen Koalition erlebten, muss das Burgtheater ein offener Ort der politischen Diskussion sein. Aber es muss uns möglich sein, dabei den Spielbetrieb aufrecht zu erhalten.
Karin Bergmann ist Intendantin des Burgtheaters in Wien.
Kay Voges: Ein Albtraum!
Die Besetzung ist stillos, taktlos und anmaßend. Gute Kunst entsteht nicht durch Basisdemokratie, sondern in einem komplexen Gemisch aus Arbeitsteilung, Dialog und flexiblen Hierarchien. Die Berliner Debatte über Gentrifizierung ist dringlich, sie sollte aber nicht auf dem Rücken der Künstlerinnen und Künstler ausgetragen werden, die von der Politik dazu legitimiert wurden, an der Volksbühne zu arbeiten. Für einen Intendanten ist das der absolute Albtraum, ich wünsche das niemandem. Ein Theater sollte ein Ort der Debatte sein, sich aber seine Überparteilichkeit bewahren. Meinungen haben nichts mit Kunst zu tun, und es ist falsch, sie jemandem aufzuzwingen. Deshalb werde ich Chris Dercon nichts raten - das tun ohnehin zu viele.
Kay Voges ist Intendant des Schauspiels am Theater Dortmund.
Oliver Reese: Lose-Lose-Situation
Mein Eindruck ist, dass zumindest in Berlin das Ganze sehr hochgekocht wird. Über Inhalte wird dabei nicht besonders viel gesprochen, das ist doch bezeichnend. Die Besetzungsaktion kommt mir eher unausgereift und chaotisch vor. Nach dem, was ich - auch auf der Website der Gruppe - darüber gelesen habe, scheint es ja fast schon willkürlich zu sein, dass es die Volksbühne trifft. Denn obwohl es über die Neuausrichtung der Volksbühne so viele Debatten gegeben hat, sagen die Aktivisten ja auch, es gehe nicht gegen Chris Dercon. Ich habe den Eindruck, dass es sich um eine wirre, pubertäre Aktion handelt, die einen riesigen und überproportionalen Wirbel verursacht. Als Intendant habe ich kein Verständnis für die Besetzung. Mich wundert es fast, dass Chris Dercon als Erstes gesagt hat, dass man keinesfalls etwas gegen die politische Ausrichtung der Aktion habe. Jedenfalls kann es nicht sein, dass jetzt öffentliche Kulturorte für das Begehren aller möglichen Aktivitäten oder Performances freigegeben werden. Gerade in einer Situation, in der ein Theater eröffnet wird, muss man ungestört arbeiten können, und ich könnte verstehen, wenn das Team der Volksbühne alles unternimmt, dass das möglich wird. Ich fürchte, es ist leider bereits eine Lose-lose-Situation, bei der es nichts zu gewinnen gibt. Die Bilder, die jetzt kommen werden, werden vermutlich hässlicher sein, als es eine abgesperrte Volksbühne gewesen wäre. Immerhin war die Aktion ja angekündigt und hätte von der Theaterleitung verhindert werden können. Intendanz und Kulturpolitik sollten unbedingt eine gemeinsame Linie finden, lieber im direkten Dialog als über die Öffentlichkeit, und ohne sich einen Schwarzen Peter zuzuschieben.
Oliver Reese ist Intendant des Berliner Ensembles.
Amelie Deuflhard: Clever gemacht
Die Besetzer wollen die Volksbühne als einen der wenigen nicht gentrifizierten Orte nutzen, um eine Debatte über mehr Raum für Kunst und die Zukunft der Stadt zu führen. Trotzdem möchte ich ihnen sagen: Verhindert nicht den Theaterbetrieb! Lasst den Mann seine Arbeit machen! Während in den Neunzigern leer stehende Orte besetzt wurden, um sie zu Kunstorten zu machen, wird erstmals ein Theater besetzt, um es zu einem öffentlichen Debattenraum zu machen. Es scheint, als gebe es eine Sehnsucht nach Freiräumen, die in Berlin geschrumpft sind. Einen öffentlichkeitswirksameren Ort hätten sich die Aktivisten nicht aussuchen können. Die Volksbühne ist der meist diskutierte Kunstort der Republik. Clever gemacht! Wenn ich Dercon wäre, würde ich im Dialog alles daran setzen, den Spielbetrieb wie geplant am 11. November zu starten.
Amelie Deuflhard ist Intendantin des Zentrums Kampnagel in Hamburg.
Thomas Ostermeier: Renners Fehler
Wenn Dercon souverän ist, sagt er den Besetzern: Hier, macht drei Monate lang, was ihr wollt, bis November mache ich sowieso noch kein Programm im Haus. Jetzt kann er zeigen, was für ein großer Kommunikator er ist. Das ist keine Schadenfreude. Die Situation ist verfahren. Der ehemalige Kulturstaatssekretär Tim Renner hat den Riesenfehler gemacht, Dercon zu berufen. Dercon ist ein Museumsmann. Ich würde jubeln, wenn er in Berlin den Hamburger Bahnhof leiten würde. Aber niemand würde jubeln, wenn ich etwa ans Münchner Haus der Kunst berufen würde.
Thomas Ostermeier ist Künstlerischer Leiter der Berliner Schaubühne.
Burkhard C. Kosminski: Politikversagen
Die Situation ist grauenhaft und extrem feindselig, und damit meine ich weniger die Besetzung der Volksbühne als die Weise, wie die Kulturpolitik mit Chris Dercon umgeht. Man kann seine Berufung zum Intendanten durch den früheren Berliner Kulturstaatssekretär Tim Renner anzweifeln. Aber wenn die Entscheidung gefallen ist, darf man ihn nicht zum Abschuss freigeben, wie Renners Nachfolger Klaus Lederer es getan hat. Das ist eine Form von Mobbing. Die Kulturpolitik muss geltende Verträge einhalten. Diese Form von Hass und Diffamierung geht nicht. In Berlin hat die Politik versagt. Sie muss den Intendanten schützen, und wenn sie ihn nicht will, muss sie ihn ausbezahlen. Umgekehrt muss auch Dercon dafür sorgen, dass er die Volksbühne als Repertoiretheater erhält, wenn das in seinem Vertrag steht.
Burkhard C. Kosminski ist Intendant des Nationaltheaters Mannheim.
Hasko Weber: Ende offen
Mir erscheint die Besetzung wie ein spätes Abbild der verworrenen und unzureichenden Kommunikation zur Zukunft der Volksbühne. Ende offen. Hier ist vor allem die Berliner Politik gefragt, ihre Versäumnisse aufzuholen. Vor dem Hintergrund des Wahlergebnisses würde es uns jedoch gut anstehen, unsere Kräfte auf gemeinsame Ziele zu konzentrieren, anstatt Grabenkämpfe zu führen. Was sonst zu tun wäre? Offen mit allen reden.
Hasko Weber ist Intendant des Nationaltheaters Weimar.