Intendantenmacht:Krach in Karlsruhe

Die Theater verstehen sich selbst als Orte des kritischen Diskurses, aber ihre Strukturen wirken in vielem spätfeudalistisch. Zeit, das zu ändern.

Von Christine Dössel

Das Theater gibt sich nach außen gern als Denk- und Diskursmaschine auf der Höhe der Zeit. Als Ort für kritische Reflexion und Selbstverständigung der Gesellschaft. Leuchtturm des (und der) aufgeklärt Guten. In seinen Strukturen aber ist es eine der letzten autokratischen, patriarchalischen, spätfeudalistischen Bastionen. Seit ein paar Jahren wird das nicht nur erkannt, sondern auch benannt. 2018 übten sechzig Mitglieder des Wiener Burgtheaters öffentlich Kritik an ihrem früheren Intendanten Matthias Hartmann. Dieser habe eine "Atmosphäre der Angst und Verunsicherung" geschaffen, sexistische und rassistische Demütigungen inklusive. Die Botschaft richtete sich auch an Martin Kušej, seit vergangenem Jahr neuer Burgtheater-Boss und zuvor am Münchner Residenztheater wegen seines cholerisch-diktatorischen Machtgebarens in der Kritik.

Jetzt ist schon wieder was passiert. Am Badischen Staatstheater Karlsruhe gibt es Proteste gegen den Führungsstil des Generalintendanten Peter Spuhler. Die Rede ist von "Kontrollzwang, beständigem Misstrauen, cholerischen Ausfällen", von einem insgesamt toxischen Arbeitsklima. 300 Beschäftigte haben persönlich vor dem Haus für seine Abberufung und einen Neuanfang demonstriert. Das muss man sich erst mal trauen.

Das Besondere am Fall Karlsruhe ist aber nicht nur die Heftigkeit, mit der sich vormals kuschende Theateruntergebene inzwischen wehren und sich in der psychosozialen Praxis des "Empowerments" üben. Erstaunlich ist vor allem, dass Peter Spuhler so gar nicht dem Bild des despotischen, selber inszenierenden, heterosexuellen Cis-Mannes und Machointendanten entspricht. Der 55-Jährige ist ein alerter, moderner Managerintendant und Vernetzer, der im eher konservativen Karlsruhe viele (auch hausintern nicht rundum begrüßte) Neuerungen durchsetzte. Ein Vorbild geradezu in Sachen Führungskultur, weil er zuletzt mehrere Frauen in Leitungspositionen holte und als Schauspieldirektorin Anna Bergmann berief, die bei der Regie eine 100-Prozent-Frauenquote einführte. Das brachte viel Aufmerksamkeit.

Wer Spuhler kennt, weiß, wie sehr er für das Theater brennt, Tag und Nacht dafür im Einsatz ist. Dass er das offenbar auch von allen anderen verlangte, scheint ebenso Teil des Problems zu sein wie der Erfolgsdruck, den er erzeugte, seine Unfähigkeit, Verantwortung abzugeben und Vertrauen zu haben. Dazu das alte Problem: die enorme Machtfülle eines Intendanten, diese Allmachtsposition, die er innehat. Als Generalintendant ist Spuhler Herr über drei Sparten. Alles in einer Hand. Immer das letzte Wort. Vetorecht auch bei künstlerischen Entscheidungen. Dem gegenüber viel schlechtergestellte Schauspieler, die um Rollen und die Verlängerung ihrer prekären Verträge fürchten. Der Fehler liegt schon im System, das ein Klima von Angst, Stress, Ausbeutung begünstigt.

Dass der Verwaltungsrat am sich reuig zeigenden Spuhler unter Auflagen festhält, scheint erst mal vernünftig und nicht zuletzt auch der Tatsache geschuldet, dass das Haus vor einer langwierigen Sanierung steht. Ein Maßnahmenpapier wurde erarbeitet, ein Vertrauensanwalt eingeschaltet, die Spartendirektoren und Ensembles sollen gestärkt werden. Spuhler hat sich entschuldigt und einen Coach genommen. Um ein Interview gebeten, sagte er der SZ, er wolle jetzt handeln, nicht reden. Es könnte die Chance sein, nicht nur die Führungskultur, sondern tatsächlich auch die Führungsstruktur an dem Dreispartenhaus zu verändern - mit Vorbildfunktion und Abstrahleffekten auch für andere Häuser. Neue Leitungsmodelle, "Shared Leadership"- und "Change Management"-Konzepte, mehr Verantwortung der Ensembles, mehr Dialog, Transparenz und Diversität, über all das gilt es ernsthaft nachzudenken. Ein Strukturwandel im Theater ist überfällig.

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