Integration:Anamnese gelungen - Patient tot

Wie gut müssen ausländische Fachkräfte Deutsch sprechen können? Und was kann man in der Hinsicht vom Englischen lernen? Die Jahrestagung für "Deutsch als Fremdsprache" verabschiedet eine Resolution.

Von Burkhard Müller

Der Gastarbeiter war gestern. Damals, vor fünfzig Jahren, brauchte man ungelernte Kräfte, von denen man hoffte, sie würden sich nach vollbrachter Tat wieder in ihre Heimat verabschieden (was in den meisten Fällen freilich nicht geschah). Tiefer reichende Kenntnisse der deutschen Sprache schienen entbehrlich; herauskam das berüchtigte "Gastarbeiterdeutsch", das auch nach langen Jahren in der Fremde kaum Fortschritte machte. Denn von allein besserte sich hier überhaupt nichts.

Heute werden in Deutschland ausländische Fachkräfte gesucht. Für die komplexen und anspruchsvollen Aufgaben, die sie zu erfüllen haben, brauchen sie entsprechende sprachliche Voraussetzungen. Und man geht diesmal realistischerweise davon aus, dass sie bleiben sollen und wollen, sich hier wohlfühlen und ins Ganze der Gesellschaft fügen. Dafür muss man allerdings was tun.

Im Dezember hat die Bundesregierung den Entwurf eines Fachkräfteeinwanderungsgesetzes vorgelegt, über das demnächst im Bundestag entschieden wird. Dass hierbei der sprachlichen Qualifikation eine Schlüsselrolle zufällt, dürfte jedem klar sein. Ein umfassendes Konzept dazu aber fehlt bislang; hier wursteln wie eh und je tausend Akteure vor sich hin. Doch was nützt es beispielsweise, wenn eine Pflegerin in ihren Sprachkursen bis zur richtigen Benutzung des Konjunktivs II geführt worden ist, aber dann kein Wort versteht, wenn die alte Dame, für die sie zuständig ist, auf rheinisch oder sächsisch nuschelt?

Der Fachverband für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache, FaDaF, hat darum seine Jahrestagung 2019 in Chemnitz genutzt, um eine Resolution zur Fachkräftegewinnung und dauernden Integration zu verabschieden; jetzt ist der Zeitpunkt, diese Dinge grundsätzlich zu regeln.

Die wichtigste Einzelforderung besteht darin, dass das Sprachniveau B 2 als generelle Norm für Ausbildungen und qualifizierte Berufe festgeschrieben wird, teilweise sogar C 1. Wer die gängige Skalierung der Sprachkenntnisse von A 1 (kann elementare sprachliche Handlungen vornehmen) bis C 2 (kann eine Doktorarbeit schreiben) kennt, der weiß, dass das ganz schön viel verlangt ist; bisher genügte oft die sehr viel anspruchslosere Stufe A 2. Dafür reicht ein Wortschatz von weniger als 2500 Vokabeln. Ein zehnjähriges deutsches Schulkind versteht 10 000.

Um auf solch ein Niveau zu gelangen, müsste man erst einmal die gegenwärtige Praxis sichten, neu bewerten und vereinheitlichen. Und es wird, was zwar so nicht in der Resolution steht, aber auf der Hand liegt, Geld kosten: Geld für Forschung, Geld für Sprachkurse schon im Herkunftsland, Geld für berufsspezifische Sprachförderung und zur Herstellung einer dauernden Beschäftigungsfähigkeit - man will vermeiden, dass jemand seinen Job verliert und als Gescheiterter zurück in die alte Heimat gehen muss. Und nicht zuletzt zusätzliches Geld für die Lehrkräfte, die oft schlecht bezahlt sind und ihre Arbeit unter prekären Umständen verrichten. Es soll Schluss mit der Ausbeutung sein.

Wozu es führt, wenn jemand, der beruflich hoch qualifiziert ist, dennoch Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache hat, das machte in Chemnitz exemplarisch der Vortrag von Damaris Borowski aus Münster deutlich. Sie hatte Gespräche zwischen drei aus dem Ausland stammenden Ärztinnen und deutschen Patienten transkribiert. Die Missverständnisse waren krass und keineswegs harmlos, handelte es sich doch etwa um Aufklärung vor einer Operation. Das eigentliche Problem besteht darin, dass niemand die Ärztinnen korrigiert. So schleifen sich Fehler ein. Nach einem solchen Gespräch hätte ein Toter auf dem OP-Tisch liegen können. Die Ärztekammern "sehen das Problem", aber mauern; sie wollen in ihren Fachsprache-Prüfungen keine Fremden, sprich Linguisten dabeihaben, das ist ihnen offenbar das Wichtigste.

Bei der Veranstaltung, die sich über drei Tage und sieben Foren erstreckte, konnte man viel erfahren über die Stellung des Deutschen in der Welt und über die Art und Weise, wie es den anderen vermittelt wird. Aufschlussreich war schon, woher die Leute kommen, die an den Unis weltweit Deutschlehrer ausbilden: aus Polen, Usbekistan, Georgien, Russland, der Ukraine, Afghanistan - mit einem Wort aus dem alten Osten, wo der Blick nach Westen schweift und bei uns hängen bleibt. Was sie zu berichten hatten, klang überwiegend traurig: fehlende Gelder, fehlender Respekt, fehlende Unterrichtsmaterialien. Der afghanische Dozent führte schmerzliche Klage, wie wenig Unterstützung er von deutscher Seite erhält, wo doch die Deutschen das Land aufbauen wollten und so viele Afghanen nach Deutschland gehen. Im sächsischen Chemnitz sind Polen und Tschechien nicht weit, und entsprechend gibt es an den jeweiligen Grenzen (oder, wie man lieber sagt, Begegnungsräumen) übergreifende Projekte für Schule und Jugendarbeit. Der Befund lautet: Tschechische und polnische Schüler lernen viel leichter Deutsch als deutsche Tschechisch und Polnisch. Warum ist das so? Wahrscheinlich, wie ein Lehrer des deutsch-tschechischen Gymnasiums in Pirna vermutete, weil die Tschechen eine deutlichere Zielvorstellung hätten, wozu ihnen die fremde Sprache dient. Anders gesagt: die Deutschen sehen es nicht ein, warum sie so eine "kleine" Sprache lernen sollten. Zu Recht beklagen sich die deutschen Sprecher über die Arroganz der weltbeherrschenden Angelsachsen. Aber sie selbst machen es gegebenenfalls nicht anders.

Und alle Versammelten schienen sich, so sehr Deutschprüfungen ihr täglich Brot sind, doch einig, dass die Kompetenz des idealisiert-abstrakten Muttersprachlers nicht mehr der "Goldstandard" sein könne. Das globale Englisch hat diese Öffnung auf verschiedene "Englishes" schon hinter sich, ohne dass es in separate Sprachen zerfallen wäre. Wie das im Deutschen aussehen könnte, dafür machte Hannes Schweiger aus Wien Vorschläge, der davon sprach, wie viel die Schullektüre von Büchern in "broken German" von Autoren mit Migrationshintergrund für die Selbstachtung und Selbstermächtigung der Deutschlernenden tun kann. Sollen sie etwa Fehler lernen? Natürlich nicht. Sie sollen nur lernen, dass Fehler nicht das Ende der Welt bedeuten, sondern unvermeidlich, typisch für ihre Sprecher und manchmal sogar poetisch sind.

Die Entscheidung für den Tagungsstandort Chemnitz fiel vor rund einem Jahr, lang vor den Ereignissen des letzten Spätsommers. Dass es hier eine starke rechtsradikale Szene gibt, bezweifelt niemand. Sie prägt das Bild in den Nachrichten, doch nicht vor Ort. Die Tagung mit ihren 450 Teilnehmern verstand sich (was ursprünglich keineswegs so geplant war) auch als Manifest gegen die Geiselnahme einer ganzen Stadt durch eine militante Minderheit. Von Chemnitz hatten die meisten, die herkamen, erst mal eine diffus schlechte Meinung. Dann sehen sie die Stadt, reden mit den Leuten und stellen fest: Ist doch eigentlich sehr nett hier. Die Stadt bereitet ihnen eine Überraschung. Das wird Venedig nie gelingen.

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