Installation "Martyrs" in London:Polierter New-Age-Kitsch

US artist Bill Viola video installation at St.Pauls Cathedral

Die Werke des Künstlers Bill Viola sind Ausdruck einer wabernden Spiritualität.

(Foto: dpa)

Hinter dem Hauptaltar von St. Paul's Cathedral wabert die Spiritualität, mit der sich der Mainstream arrangieren kann: Die Video-Installation des US-Künstlers Bill Viola. "Martyrs" zeigt die vier Elemente, eingefangen in himmlischem Licht.

Von Alexander Menden, London

Die Stimme des Künstlers zittert vor Rührung: "Dies ist einer der größten Augenblicke meines Lebens", sagt er. "Hier, an diesem Ort, der so sehr geeignet ist, unsere Rolle auf diesem Planeten zu verstehen." Der Ort, den Bill Viola da meint, ist eine Kapelle hinter dem Hauptaltar von St. Paul's Cathedral. Und das Pathos des Amerikaners ist in diesem Moment schon deshalb einigermaßen verständlich, weil es so lange gedauert hat, bis sein Werk "Martyrs" endlich hier aufgestellt wurde.

Dabei ging die Initiative von St. Paul's aus: Ein Kapitular der Londoner Kathedrale kam 2003 beim Betrachten einer Viola-Arbeit in der National Gallery zur Überzeugung, es sei an der Zeit, eine Videoinstallation zum Bestandteil künstlerischer Kirchengestaltung zu machen. Allerdings hat die anglikanische Kirche "den Motor eines Rasenmähers und die Bremse eines Sattelschleppers", wie St. Paul's Canon Chancellor Mark Oakley mit präventiver Selbstironie anmerkt. Deshalb verging ein Jahrzehnt von der Kontaktaufnahme mit Viola bis zur Enthüllung des ersten permanent installierten Plasmabildschirm-Kunstwerks in einer britischen Kirche.

Neben Hochaltar und Heiligenfigur

Höchste Zeit eigentlich, dieses zeitgenössische Medium mit der christlichen Bildsprache zusammenzubringen, ihm einen festen Platz zuzuweisen neben Hochaltar und Heiligenfigur. Der Bildschirm ist zweifellos der selbstleuchtende Nachfolger des farbigen Bleiglasfensters. Und warum nicht mit Bill Viola beginnen, einem arrivierten Videokünstler, dessen Werke in ihrer digitalen Poliertheit mit dem Marmor des Londoner Kathedralbaus korrespondieren? Er hat ja schon länger seine spirituelle Seite entdeckt, seine "Passions" etwa sind derzeit, wenn auch nur temporär, im Berner Münster zu sehen.

"Martyrs" an der Rückwand rechts des Chors, gleich neben der Kapelle für die amerikanischen Gefallenen des Zweiten Weltkriegs, unter einem Fenster. Die Platzwahl erschwert die Betrachtung bei Morgenlicht; Christopher Wrens Architektur, auf effektive Nutzung des Lichteinfalls zielend, ist nicht auf den optischen Konflikt mit Flüssigkristallbildschirmen vorbereitet.

Unspezifischer Spiritualismus

Vier davon sind hochkant in einen von Norman Foster gestalteten Stahlrahmen eingelassen. Sie zeigen sie in der Endlosschleife: Einen Mann, der unter einem Erdhaufen kauert, sich langsam aufrichtet, während die Erde nach oben weggesaugt wird. Eine Frau, die an den Armen aufgehängt in einem Sturm baumelt. Einen Mann der auf einem Thron sitzt, während Flammen auf ihn hernieder regnen. Und einen Mann, der an den Füßen aufgehängt, von einem Wasserguss getroffen und dann aus dem Bild gezogen wird. Am Ende fällt ein himmlisches Licht auf die Szene.

Erde, Feuer, Wasser, Luft: Die vier Elemente von "Martyrs" sind lupenreiner Ausdruck einer wabernden, jede Konkretheit vermeidenden Spiritualität, mit der sich der anglikanische Mainstream arrangieren kann. Violas unspezifischer Spiritualismus nutzt die Aura traditioneller Ikonografie, ohne den Betrachter mit Gottesverweisen, Heiligengeschichten oder sonstigem abendländischen Kulturballast zu behelligen. Kein Triptychon, sondern ein Tetra-ptychon. Kein wirkliches Martyrium, sondern das seltsame, passive Überstehen der Elementarkräfte.

Reverend Oakley ist dennoch äußerst zufrieden. "Martyrs" funktioniere deshalb so gut, meint er, weil Viola nicht "mit einem religiösen Vokabular" arbeite, "das bei vielen unserer Besucher keinen Widerhall findet". Man will ja auch niemanden verprellen, der die saftig happigen 16,50 Pfund Eintritt für den Kirchenbesuch bezahlt hat. So ist für jeden etwas dabei. Außer vielleicht für jene, die gehofft hatten, der mutige und prinzipiell richtige Schritt, hier permanent ein Stück Videokunst zu zeigen, würde nach zehnjährigem Reifungsprozess etwas Substanzielleres hervorbringen als bereinigten New-Age-Kitsch.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: