Installation:Haus der Liebe, Haus der Gewalt

Kunstwerk "Chez nous" von Carmen Mariscal (--  für kleinen FEU Favoriten)

"Chez nous" von Carmen Mariscal.

(Foto: Joseph Haniman)

Von Joseph Hanimann

Der Bedeutungswandel ihres Werks durch die Corona-Periode war von der Künstlerin nicht eingeplant. Mitte März installierte die Franko-Mexikanerin Carmen Mariscal auf der Pariser Place du Palais-Royal neben dem Louvre ein drei Meter hohes Häuschen. Von Weitem sieht es so aus, als sei es aus funkelnden Juwelen gemacht, beim Näherkommen aber erweist es sich als Konstrukt aus lauter angerosteten Vorhängeschlössern. Kaum war die Installation eingeweiht, begann auch in Paris die Ausgangsbeschränkung, und das Ding rostete seither auf dem leeren Platz unbemerkt weiter vor sich hin. Und bekam plötzlich einen neuen Sinnzusammenhang. "Chez nous" heißt die Installation: "Zuhause".

Zusammengebaut hat die Künstlerin ihr Werk aus Geländerteilen diverser Seine-Brücken, an denen verliebte Paris-Reisende ein Hängeschloss befestigt und den Schlüssel in die Seine geworfen hatten. Angesichts der unter dem hohen Gewicht nachgebenden Metallgitter - 93 Tonnen betrug die zusätzliche Last auf der Fußgängerbrücke Pont des Arts - hat die Stadtregierung die Schlösser vor sechs Jahren beseitigt und auf einem Abstellplatz in der Vorstadt deponiert. Aus den Liebesbeweisen wurde Abfall.

Carmen Mariscal hat diesen Friedhof der Gefühle aufgesucht und aus einigen Stücken ihre Installation montiert. Ursprünglich warf sie damit die Frage warf, warum ausgerechnet das Vorhängeschloss als Symbol für die Liebe gewählt wird. Es steht für Sicherheit, erinnert aber auch an Einschließen, Abschließen, Besitzanspruch. Was in der Abgeschiedenheit hinter den vier Wänden des "Chez nous" passiert, hat oft nicht mehr viel mit den romantischen Momenten des Anfangs zu tun. Spielverderberin! - könnte man gegen die Künstlerin einwerfen. Aber gerade in diesen Wochen des Eingeschlossenseins hat ihre so verspielte wie nüchterne Skepsis durch die dramatisch gestiegenen Fälle von häuslicher Gewalt reichlich Bestätigung gefunden. Ein paar der rostigen Verheißungsrelikte hat Carmen Mariscal in ihrem bis Anfang Juni in Paris noch zu sehenden Werk vor dem Vergessen gerettet. Sie erinnern mit ihrer fünf Tonnen schweren Kompaktmasse ohne Tür und Fenster daran, wie trügerisch das erträumte Glück von Häuslichkeit sein kann.

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