Installation:Die Museumsruine

19. Oktober 2018 - 3. Februar 2019
Thomas Hirschhorn "Never Give Up The Spot"


Buldunterschriften unter: https://www.villastuck.de/presse/hirschhorn/index.htm

Im Aufbau: Thomas Hirschhorns "Never Give Up The Spot".

(Foto: Villa Stuck)

Gebrochene Betonpfeiler, verbogene Stahlträger: Thomas Hirschhorn verordnet der Münchner Villa Stuck einen Untergang in Styropor.

Von Gürsoy Doğtaş

Ein Bild der Verwüstung. Mehrere Etagen sind kollabiert und haben die Räume unter sich begraben. Gebrochene Betonpfeiler ragen aus dem Trümmerhaufen. Verbogene Stahlträger liegen quer im Raum. Zerrissene Lüftungsschläuche baumeln in den Schächten. Der in Paris lebende Schweizer Künstler Thomas Hirschhorn hat alle drei Ausstellungsebenen der Villa Stuck mit den charakteristischen Hirschhorn-Materialien wie Paketklebebändern, Pappen, Plastikfolie oder Styropor in den Schauplatz eines großen Unglücks verwandelt.

"Never Give Up The Spot", so der Titel der Ausstellung, ergänzt seine Serie der Ruinen um eine weitere monumentale Arbeit. Lippenstifte von Chanel, eingereiht in Regale, scheinen Hinweise auf den Einsturzort zu geben. Ist es etwa die Textilfabrik Rana Plaza, die am 24. April 2013 in Bangladesch einstürzte und mehr als eintausend Menschen, vor allem Arbeiterinnen, in den Tod riss?

Nein. Hirschhorns Installation thematisiert nicht nur ein Ereignis, sondern erhebt die Ruine zur universellen Ur-erfahrung von naturphilosophischer Dimension. Während der Schweizer früher eher Frontlinien ins Blickfeld rückte, imaginiert er jetzt den Urknall als erste Ruine überhaupt und sucht nach Gemeinsamkeiten, die trotz aller Unterschiede verbinden. Das Museum könnte so etwas sein: ein Ort der Verknüpfungen.

Unter den zahlreichen Bildern von Ruinen aus der Kunst, den Medien und sozialen Netzwerken, über die verschiedensten Zeiten und Kulturen hinweg, findet sich in der Begleitpublikation auch ein Gemälde des Künstlers Hubert Robert aus dem Jahr 1796. Dieser malte bereits in der Planungsphase der öffentlichen Galerie Louvre seine Vorstellung davon, wie das Museum in Jahrhunderten als Ruine aussehen würde: einzig der Apoll vom Belvedere überdauerte makellos das eingestürzte Gewölbe - also jene Skulptur aus den Beutezügen Napoleon Bonapartes, die in Paris der Zeit eine Debatte über die Legitimation geraubter Kunstobjekte auslöste.

In Hirschhorns Ruine in der Villa Stuck bahnt sich das Tageslicht unkontrolliert seinen Weg durch Brüche in der Mauer in das Innere dessen, was einmal ein intaktes Museum war. Die prekären Materialien beanspruchen nicht die Ewigkeit, vermutlich überleben sie nicht mal diese eine Ausstellung. So werden sie zum Kommentar, zur Frage nach dem ideellen Wert und dem überzeitlichen Anspruch des Museums. Kann es sein, dass die Ruine der soziale Verantwortung des Museums der Gegenwart besser entspricht, als die intakte, aber in Konventionen erstarrte Institution?

Hirschhorn konfrontiert so den öffentlichen Raum - wo er im Lauf seiner Karriere mehr als siebzig Arbeiten installierte - mit dem Museum und fragt in einem Manifest, wie das Museum auch zum Ort für jene werden kann, die nicht selbstverständlich den Weg hinein finden. Diese Überlegung liegt vielen Arbeiten Hirschhorns zugrunde. Im Jahr 2013 etwa platzierte er seine Installation "Gramsci Monument" in New York dort, wo sich auch ein museumsfernes Publikum aufhält.

"Never Give Up The Spot" überrascht jetzt in München mit einer ungewöhnlichen Großzügigkeit. Inmitten der Zerstörung sind Unterstände, so etwas wie Schutzräume, aufgestellt, in denen - zum allgemeinen Gebrauch - eine Bibliothek, eine Kaffeemaschine, Computer zu finden sind. Auch eine Schlafmöglichkeit und ein Werkraum wurde da eingerichtet. Die Objekte aus Styropor und Karton dürfen ausdrücklich umgestaltet, ausgetauscht und sogar mitgenommen werden, was Thomas Hirschhorns Vorstellungen von Konstruktion und Dekonstruktion erfahrbar macht.

Die Ausstellung ist als Ansage zu verstehen, als Antwort der Villa Stuck, die ihr fünfzigjähriges Jubiläum feiert, auf die Frage, was ein Museum sein kann, wenn es für alle da sein soll.

Thomas Hirschhorn: Never Give Up The Spot. Villa Stuck, München. Bis 3. Februar. Die Begleitpublikation "Destruction is difficult. Indeed it is as difficult as Creation" ist gratis.

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