Süddeutsche Zeitung

Inselgeschichte:Spökenkieker im Cabrio

Lesezeit: 1 min

Sylt ohne Promis und Sandstrandfotos: Jochen Missfeldt hat der Insel eine neue Geschichte erfunden, der Maler Friedel Anderson schuf die Bilder dazu.

Von Stephan Opitz

Ekke Nekkepenn, vom nordfriesischen Nordseegrund kommend, ist als Klabautermann und Rumpelstilzchen in Personalunion unterwegs. In Theodor Storms Kunstmärchen "Die Regentrude" (1863) hat er einen kleinen Auftritt. Sonst wird er selten gesichtet. Aber in der Geschichte von Sylt, die der Erzähler, Flieger und Lyriker Jochen Missfeldt jetzt aufgeschrieben hat, taucht er durchgehend auf - mal als Gregor von Sylt, mal als Ludwig Borstelmann. Und immer wieder als Ekke. Borstelmann war Bauer aus Keitum auf Sylt - die Nazis ermordeten ihn wegen nichts und wieder nichts.

Hat ein Mann namens Göteborg im Spätmittelalter den Buchdruck nach Deutschland gebracht?

Gregor ist der Freund des Erzählers - er war "viel herumgekommen in seiner krummen Biografie". Der Erzähler soll, so Gregor, mit dem Cabrio nach Sylt kommen und sich auf der Fahrt mindestens fünf Schriftsteller ausdenken, die auch Cabrio fahren. Schnell ist uns klar, dass Schiller nie Cabrio gefahren wäre, Goethe aber schon. Thomas Mann auch. In dieser Geschichte geht alles durcheinander. Dass der Buchdruck im Spätmittelalter mit einem Mann namens Göteborg nach Deutschland eingewandert sei, gehört noch zu den harmloseren Vexierstücken. Aber dass Ekke Nekkepenn die Hamburger auf die Insel lockte und so die "Urzeit der Kurzeit" einläutete - wer hätte das gedacht, als sich noch alle ihren "Platz unterm Hakenkreuz an der alten Nachrichtenschule von Rantum" suchten. Der Erzähler kommt dem wirklichen Jochen Missfeldt manchmal gefährlich nah. Der beherrscht das Spiel mit den Geschichten, die sich in Figuren überlagern und deren Eigenleben in neue Zusammenhänge steuern. Und weiß, welche Geschichten ein Menschen- und Leserleben auszumachen vermögen.

Für dieses Buch hat Missfeldt den 1954 geborenen Maler Friedel Anderson aus Itzehoe (er gehört der losen Gruppe der "Norddeutschen Realisten" an) überredet, die in dieser Geschichte vollkommen neu zusammengesetzte Insel Sylt in Bildern zu verankern. Deutschlands beliebteste und simpel mondän gestrickte Insel wird in und mit diesem Buch vom Rande her gedacht, erzählt, gemalt. Und auf einmal ist Sylt eine Erzählung wert - ganz ohne Promis, ganz ohne millionenfache Watt- oder Sandstrandfotos.

Jochen Missfeldt: Wiedergänger. Eine andere Geschichte von Sylt. Mit Bildern von Friedel Anderson. Edition Eichthal, Eckernförde 2015. 108 Seiten, 14,80 Euro.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2501132
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 01.06.2015
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.