Süddeutsche Zeitung

Ingeborg-Bachmann-Preis:Lies um deine Zukunft

In Klagenfurt hat das Ingeborg-Bachmann-Wettlesen eröffnet. Weil der ORF sparen muss, ist seine Zukunft ungewiss, Reformen sind dringend notwendig. Aber "der Bewerb" ist ein Platz, auf dem viel Dichterblut geflossen ist.

Von Christopher Schmidt

Auch das ist speziell an Klagenfurt: Nirgendwo sonst reisen so viele Menschen aus großen Städten an, um in einer kleinen Stadt gemeinsam fernzusehen. Zwar sind die Tage der deutschsprachigen Literatur durchaus auch unmittelbar zu erleben, aber in aller Regel ist das sogenannte Landestheater, also das Studio Kärnten des ORF, so überfüllt, dass die meisten im Garten davor das tun, was sie ebenso gut zu Hause tun könnten: Sie schauen sich den Wettbewerb im Fernsehen an. Public Viewing heißt hier: voll dabei und doch daneben.

In diesem Jahr platzt das Studio bereits am Eröffnungsabend aus ein paar mehr Nähten, denn die Zukunft des Bachmann-Preises steht auf dem Spiel. Noch ist Rettung nicht in Sicht, aber die Diskussionen seien im Gang, heißt es immer wieder im Laufe der Auftakt-Veranstaltung. ORF-Direktor Alexander Wrabetz habe ein erstes Signal gegeben, dass der Preis doch fortgesetzt wird, sagte die ORF-Landesdirektorin Karin Bernhard bei ihrer Begrüßung.

Es wird Veränderungen geben

Die Stadt Klagenfurt und das Land Kärnten betonen, dass die Veranstaltung und ihr Standort für sie nicht verhandelbar seien. Hubert Nowak vom Sender 3sat, der die Lesungen und Diskussionen im gesamten deutschen Sprachraum überträgt, deutet jedoch in seiner Rede an, dass es wohl Veränderungen geben wird, um die Veranstaltung zukunftsfähig zu machen, und spricht von einer kleinen Zeitenwende.

Dass es in der Tat Reformen geben muss, dafür ist die Eröffnung selbst das beste Beispiel mit ihren endlosen Honoratiorenreden, ihrem als Auflockerung gemeinten Jazz-Trio und dem feierlichen Höhepunkt: der Auslosung der Reihenfolge, in welcher die Teilnehmer in den kommenden drei Tagen lesen werden. Die im Halbkreis vor gewohnt psychedelischer Kulisse sitzende Jury, der Justitiar, der die Lostrommel überwacht, die Fahrstuhlmusik von der Heimorgel - das alles hat den Charme einer Ratesendung aus den Sechzigern.

Schutzraum vor dem Kommerz

In diese Zeit passt auch recht gut das salbungsvolle Pathos des Jury-Vorsitzenden Burkhard Spinnen, der zum Thema Zukunft immer wieder den Satz sagt, nur der Dürstende wisse, was Wasser sei. Dann verweist er noch auf die sagenhafte Bekanntheit des Wettlesens, die ihm bei Lesungen in Schulen besonders bewusst werde, und darauf, dass Klagenfurt ein Schutzraum vor allzu kommerziellem Denken über Bücher sei, eine Katharsis der Branche. Gut, der Mann ist geschockt und momentan vielleicht nicht ganz zurechnungsfähig.

Wider Willen sieht sich der Schriftsteller Michael Köhlmeier, der in diesem Jahr die Eröffnungsrede hält, zu einer Solidaritätsadresse genötigt, macht seinen Zwiespalt aber zum Thema. Eigentlich habe er eine Rede über Jörg Fauser halten wollen, der hier vor dreißig Jahren von einer gehässigen Jury so schlimm verrissen wurde, dass er begonnen habe, an der Liebe seines Lebens, dem Schreiben, zu zweifeln.

Eingeklemmt in den Schulterschluss

Fauser, den unabhängigen Geist, wollte Köhlmeier als heroisches Gegenbild ins Spiel bringen zu der beflissen langweiligen deutschen "Mittelschriftstellerei" und der "altbackenen Avantgarde" aus Österreich. Natürlich sagte Köhlmeier dann noch sehr viel und wahrscheinlich alles, was er über Fauser hatte sagen wollen, aber er sagt es im Konjunktiv einer im doppelten Sinne ungehaltenen Rede.

Plötzlich aber hätten ihm die Meldungen von der geplanten Abschaffung einen Strich durch die Rechnung gemacht, so Köhlmeier, von irgendwem sei ihm die rote Fahne in die Hand gedrückt worden. Und er habe sich nach kurzem Zögern bereitwillig "eingeklemmt in den Schulterschluss, trotz des Achselgeruchs" und protestiere nun pflichtschuldig gegen die "Abmurksung" des Bachmann-Preises. Und damit hat Köhlmeier ein gar nicht mal so schlechtes Argument für den Erhalt des Preises geliefert: Zu schlimme Grausamkeiten wurden hier von ungerechten Kritikern begangen, um zu vergeben und zu vergessen. Zu viel Blut ist geflossen, um diesen Platz kampflos aufzugeben. Denn nirgendwo hasst sich der Literaturbetrieb so inbrünstig wie in Klagenfurt.

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SZ vom 05.07.2013/khil
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