Indiepop live:Komm mit mir, wenn du allein sein willst

Matt Berninger von der Band The National bei einem Konzert in der Columbiahalle in Berlin, 26. November 2019. Konzert v

Er knurrt, schnurrt und schmachtet, tigert über die Bühne, und manchmal krächzt er nur noch: Sänger Matt Berninger von "The National" in der Columbiahalle in Berlin.

(Foto: Martin Müller/imago images)

Bei ihrem Auftritt in Berlin zeigen "The National", warum sie mehr sind als ein Geheimtipp.

Von Jan Jekal

The National gehören zu den Bands, die keine Hits haben. Sie gehören aber auch zu den Bands, die Grammys gewinnen und Hallen füllen, zum Beispiel in der vergangenen Woche die Berliner Columbiahalle, an zwei Abenden in Folge, und wie das genau zusammengeht, ist kein leicht zu lösendes Rätsel.

Man könnte meinen, die fünf Amerikaner hätten von Anfang an auf ein Nischendasein als Kritikerlieblinge gezielt. Ihre Lieder sind Stimmungsstücke, schwebend-schwelgend, hörbar detailverliebt komponiert von einem klassisch ausgebildeten Gitarristenduo, den Gebrüdern Aaron und Bryce Dessner. Sie lassen ihre Gitarren selten wie Gitarren klingen, verzichten auf alles Ohrwurmhafte, zu dem man Luftgitarre spielen könnte, erschaffen stattdessen dichte Klangteppiche aus sanft verzerrten, in weiten Hallräumen funkelnden Sounds. Die Rhythmusgruppe - bestehend aus einem weiteren Brüderpaar, Scott und Bryan Devendorf - ist geradliniger und lässt die Dessner'sche Affinität zur modernen Klassik nicht zu dominant werden.

Dass The National nicht eine von den unzähligen Brooklyner Bands der frühen Nullerjahre, die von Musikjournalisten hofiert und von niemandem sonst gehört werden, geblieben, sondern nach nunmehr zwanzig Jahren und acht Alben fast schon veritable Mainstreampop-Künstler geworden sind, liegt aber wohl in erster Linie an Sänger Matt Berninger.

Der Sänger ist häufig das einzige bewegliche Element auf der Bühne

Er knurrt, schnurrt und schmachtet; klingt mal griesgrämig, mal übermüdet, mal nach Rotwein und Selbstmitleid. Das sonore Grundbrummen, das seine Stimmbänder hervorbringen, schwingt dabei allerdings ungemein angenehm, womöglich lassen sich damit sehr gut Neugeborene beruhigen. Äußerlich ist er der Typ cooler Uni-Dozent, mit seriös angegrautem Vollbart und gut sitzendem Sakko.

Am ersten Abend in Berlin ist er häufig das einzige bewegliche Element auf der Bühne. Die Dessners haben sich in kleinen Quartieren aus Klavieren, Gitarren, Effektgeräten und Laptops verschanzt. Einen Bewegungsradius von wenigen Millimetern überschreiten sie selten.

Berninger tigert dagegen hin und her, stolpert über die Bühne wie ein Betrunkener auf der Suche nach einer Laterne, balanciert auf der Bassdrum des trommelnden Devendorf, der seine Anwesenheit jedoch nicht zur Kenntnis nimmt. Lieber konzentriert sich Berninger also auf das Publikum, geht dahin, wo die Energie ist. Er klettert hinab in den Bühnengraben, beugt sich über das Geländer zu einem besonders leidenschaftlichen Fan, so nah, dass sich ihre Stirnen berühren, er hält das Mikrofon zwischen sich und den Fan, sie halten Augenkontakt, brüllen sich die Zeilen in die Gesichter, spiegeln sich im Gegenüber. Überhaupt brüllt Berninger sehr viel, er singt die Songs nicht schläfrig wie auf den Alben, er schreit sie so hingebungsvoll, dass er schon nach einer halben Stunde heiser ist und im balladesken Mittelteil des Konzerts nur noch krächzt. Später geht er richtig ins Publikum. Wohin er tritt, bilden sich Wege, man hört das Jauchzen der Fans in seinem Mikrofon, und auf der Bühne sorgen die Roadies für mehr Kabelmeter und geben Acht, dass er nirgendwo hängen bleibt. In seinen Texten schwankt Berninger zwischen Narzissmus und Selbsthass. Die Pose des düsteren Dichters führt manchmal in Sackgassen; wenn Zeilen sitzen, dann sitzen sie allerdings wirklich.

Auf einem neuen Song singt er zum Beispiel: "If you want to be alone, come with me." Weil sein Männlichkeitsentwurf - der sich fürchterlich ernst nehmende, nur im Rausch etwas zustande bringende Künstler - gerade etwas aus der Zeit zu fallen droht, hat die Band ihm auf dem jüngsten Album "I Am Easy To Find" einige Gastsängerinnen als Korrektiv zur Nabelschau zur Seite gestellt. In der Columbiahalle waren entsprechend auch zwei Sängerinnen mit auf der Bühne, wobei Berninger sichtlich kein Mann ist, der eine Bühne teilen kann. Allenfalls überlässt er sie anderen zwischendurch für ein paar Momente, während denen er unruhig am Bühnenrand umhergeht, bis zur nächsten Solo-Show. Allein dürfen wir nur mit ihm sein.

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