Tanztheater:Die Message in Grün

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Die internationalen Nomaden, die in Ina Christel Johannessen "Sturm" mit zusammengeklaubt wirkenden bunten Kleidern, Plastikeimern und wirren Schläuchen auf dem Buckel auf der Bühne umherirren sieht, sind mehr Teil der Wüste als Personen des Stücks. (Foto: Marie-Laure Briane/Gärtnerplatztheater)

Die norwegische Choreografin Ina Christel Johannessen entfacht am Münchner Gärtnerplatztheater einen postapokalyptischen und grandios getanzten "Sturm" frei nach Shakespeare.

Von Sabine Leucht

Pfirsichernten in der Arktis, Schneestürme in Südspanien. Und in Kasachstan liegen Schiffswracks in der Wüste. Fast nichts davon ist mehr Zukunftsmusik. Und wir haben es ganz ohne die Zauberkräfte auf den Weg gebracht, die der Inselherrscher Prospero in William Shakespeares Drama "Der Sturm" besitzt. Ganz ähnliche Gedanken haben Ina Christel Johannessen möglicherweise dazu bewogen, beides zu mischen: Shakespeares Tragikomödie und die noch unvollendete Menschheitstragödie des Klimawandels. Seit die norwegische Choreografin das vom globalen Tauwetter gefährdete Saatgut-Archiv im Eis von Spitzbergen besucht und ihm ihr gefeiertes Stück "Frozen Songs" gewidmet hat, sind Konsumkritik und die Erderwärmung ihre Themen.

Das Alter, sagte sie vor ihrem München-Einstand am Staatstheater am Gärtnerplatz, bringe die Pflicht mit sich, Verantwortung zu übernehmen. Wie alt Johannessen ist, ist unbekannt, ihr Name aber taucht seit einem Vierteljahrhundert auf Besetzungszetteln rund um den Globus auf. Um die 70 Stücke hat sie auf den Weg gebracht, unter anderem für das Ballet de Monte Carlo, das Australian Dance Theater, die CCDC Hong Kong und das Royal Swedish Ballet. Allein für die norwegische Nationalkompanie "Carte Blanche" waren es 14 abendfüllende Werke. Ganz zu schweigen von Johannessens eigener Gruppe Zero Visibility Corp, deren zeitgenössische Arbeit beeinflusst ist vom Tanztheater Pina Bauschs und dessen Fokus auf die Frage, warum man tanzt - wie von den Filmen Andrei Tarkowskis.

Deren nebelige Unbestimmtheit herrscht auch auf der Bühne, auf der zu Beginn ein sturmgraues Meer über den eisernen Vorhang wogt und die sich hinter ihm wegduckende Großstadt zum Appendix der anthropogenen Gezeiten macht. Auch drei Menschlein hat es vor diese Kulisse gespült. Und auch sie wogen. Jeder für sich, ohne einen Blick für die anderen; ein Stop-and-go zwischen Widerstand, Ermattung und Krampf, hin und hergeworfen von - oder noch selbst Teil der Gischt? Zwischen das Menschliche und das Natürlich-Elementare passt an diesem Tanztheater-Abend kein Blatt. Und das bleibt auch so, wenn es sehr sehr trocken wird.

Menschen können was! Nicht ausgeschlossen also, dass sie das Ruder noch herumreißen können

Die internationalen Nomaden, die man mit zusammengeklaubt wirkenden bunten Kleidern, Plastikeimern und wirren Schläuchen auf dem Buckel auf der Bühne umherirren sieht, sind mehr Teil der Wüste als Personen des Stückes, in dem Prospero, der ehemalige Herzog von Mailand, mithilfe des Sturmgeistes Ariel ein Unwetter entfacht, um die Geister seiner Vergangenheit auf die Insel zu holen, auf die er seit zwölf Jahren verbannt ist. Die Nacherzählung erübrigt sich hier ebenso wie das heitere Figurenraten im Theater, denn von Shakespeare bleiben nur das postapokalyptische respektive poststürmische Setting und einige zentrale Beweggründe übrig. Als da wären: Überlebensinstinkte, Machttrieb, Liebe, Verrat und Loyalität, aber auch die Möglichkeit von Verstehen und Vergebung. Mehr braucht es auch nicht, weil die atmosphärischen Bilder bei der Stange halten, die Johannessen auf einer Bühne kreiert, auf der alles recycelt ist, was die Technik abgenickt hat.

Eine Art skelettierter Südstaatenbungalow spielt einen vom Wasser verwaisten Bootssteg. Auf den omnipräsenten Plastikbottichen entsteht ein mitreißendes Percussion-Duett. Konstantin Ischenko lässt sein Akkordeon zu einer Komposition von Sofia Gubaidulina seufzen und atmen. Und auch Streicher und Piano sind ins Geschehen integriert. Was auf ihnen gespielt wird, durchquert vier Epochen, passt zur jeweiligen Stimmung und ist fast durchweg repetitiv. Besonders schön passen Tanz und Musik in einer der wenigen kompakten Gruppenszenen zusammen, die es in diesem sich wimmelbildhaft ausbreitenden Abend gibt. Zu nachgiebigen Klängen von Alfred Schnittke und orangefarbener Hitze macht das Ensemble den auf der Bühne nicht vorhandenen Sand durch Schritte plastisch, die gegen die Drehrichtung der Bühne zurückrutschen, als ginge es eine Düne hinauf. Zunehmend müde, aber unermüdlich. Johannesson hat das alles enorm gut austariert und flirrenden Tagtraum-Panoramen immer kraftvoller und individueller werdende Soli und Duette untergemischt, in denen das frisch mit dem Tanzpreis der Stadt ausgezeichnete, sportive Ensemble glänzt. Menschen können was! Nicht ausgeschlossen also, dass sie das Ruder noch herumreißen können.

Während viele klimabewegte (Tanz-)Theatermacher katastrophische Zahlen und Fakten voranpreschen lassen, bis die Ästhetik nicht mehr hinterherkommt, begnügt sich Johannessen mit ein paar Satzfetzen im mehrsprachigen Bühnen-Geraune und sachten Schubsern in Form von T-Shirt-Aufdrucken wie "Sleep", "venga venga" ("Komm schon!") oder "Dreamer". Und ein Knabensopran singt das "Perqué?" ("Warum?") aus Georg Friedrich Händels Oper "Alcina". Doch schließlich kommt sie doch noch: Die Message in grün. Drei Damen mit Efeukopfputz, sprießendem Brustgras oder bauschigem Nelkenrock bringen Pflanzen auf die Bühne und der Tänzer David Valencia tritt mit Prosperos berühmtem Monolog an die Rampe: "We are such stuff that dreams are made on" - endend mit "Friend, I`m worried!". Ohne klare Botschaft lassen uns die Bühnen gerade ungern davonkommen.

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