"In Time - Deine Zeit läuft ab" im Kino:Hunde, wollt ihr ewig leben?

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Der Traum vom ewigen Leben: In Andrew Niccols Horrormärchenfilm "In Time - Deine Zeit läuft ab" ist es nicht die Ewigkeit, die verlockend wirkt, sondern die Lust am Augenblick. Als Tochter eines ewig Lebenden lernt dies Amanda Seyfried von Justin Timberlake.

Susan Vahabzadeh

Wer reich ist, kann es sich leisten, im Gestern zu leben. Im Kino ist das allgemeingültige Dekor für den ultimativen Luxus schon lange nicht mehr der Corbusier-Sessel oder der Glaspalast am Meer, wie in den James-Bond-Filmen vergangener Jahrzehnte - es ist die mit Antiquitäten vollgestopfte viktorianische Villa.

Bonnie und Clyde der Zeitzonen - der Arbeiter Will Salas (Justin Timberlake) und die Bankierstochter Sylvia Weis (Amanda Seyfried) machen sich auf, die Banken auszunehmen, die verwalten, wer wie lange zu leben hat. (Foto: dapd)

In dem Prachtbau, den der Bankdirektor Weis bewohnt in In Time - Deine Zeit läuft ab, vereinen sich die Sehnsucht nach einer guten alten, wenn auch diffusen Zeit - und die Angst vor den Folgen technischen Fortschritts. Man erkennt die Armen hier sofort, wenn sie in der falschen Zone auftauchen. Sie bewegen sich zu schnell, denn sie leben von geborgter Zeit.

Zeit ist Geld in dieser Geschichte, die einzige Währung, die es noch gibt. Alle Macht haben deshalb die Zeit-Banken und ihre Besitzer. Wer in einer Zone lebt, in der produziert wird, hat sonst nichts gesehen. Als Startkapital besitzt er ein Jahr, auf einer Uhr im Arm, die man per Berührung auflädt.

Davon muss er seine Miete bezahlen und sein Essen, bis nur noch ein paar Tage übrig sind, die Preispolitik zwingt jeden dazu, sich zu Wucherzinsen Zeit zu leihen - wer arbeitet, kämpft also ständig ums Überleben. Dabei ist es, theoretisch, eine Gesellschaft der ewigen Jugend: der körperliche Alterungsprozess setzt mit 25 Jahren aus. Die Reichen können ewig leben - Armut aber ist tödlich.

Andrew Niccol hat sich diese Welt ausgedacht, der Regisseur und Autor von Gattacca, der schon 1997 alle Ängste vor einer genmanipulierten Zukunft bündelte. Diesmal geht es um Will Salas (Justin Timberlake), einen Arbeiter.

Auf in die Welt der Zeitbillionäre

Sein Vater war ein Revolutionär, findet er irgendwann heraus - seine Mutter aber stirbt, weil sie ihm ein paar Minuten zu viel spendiert hat für sein Mittagessen. Es war nicht geplant, dass ein steinalter Mann, seines Jungseins überdrüssig, Will hundert Jahre spendiert. Will nutzt sein neues Vermögen, sich aufzumachen in die Welt der Zeitbillionäre - und gewinnt dort beim Spiel.

Das System sieht nicht vor, dass sich die Welten vermengen - Produktionsghetto und Verwaltungs-City, Oberstadt und Unterstadt. Niccol hat sich bei Langs Metropolis bedient, und Will trifft auf einen Freder Fredersen, der zuviel erfährt über die Unterstadt: Sylvia (Amanda Seyfried), die Tochter von Weis.

Will hat sie als Geisel mitgenommen in seine Heimatzone Dayton, denn was er getan hat, darf nicht passieren - er hat Zeit in Umlauf gebracht, die Banker wollen um jeden Preis verhindern, dass die Arbeitsbienen Zeit in die Finger bekommen, sie könnten sich sonst ihrer Abhängigkeit bewusst zu werden und die Welt nach ihrem Willen zu gestalten. Weis würde für die Macht seine Tochter opfern - und die rächt sich, in dem sie sich mit Will zusammentut. Als Bonnie und Clyde der Zeitzonen - "In Time" ist nebenbei ein Action Movie - bringen sie das Bankensystem zum Einsturz.

Bilder vom optimierten Menschen

Niccol arbeitet, wie bei Gattaca und S1m0ne (2002), mit einer eigenen Ästhetik, mit Bildern vom optimierten Menschen, bei denen schön und schrecklich fließend ineinander übergehen. Amanda Seyfried hat er als puppengleiches Wesen ausstaffiert, das in vergrößerten Barbiekleidern und auf schwindelerregenden Plateauschuhen durch die Welt stöckelt; und als Timekeeper, der versucht, Will wieder abzujagen, was er nicht haben dürfte, hat er sich den irischen Schauspieler Cilian Murphy ausgesucht - der, mit Verlaub, auch unkostümiert etwas surreal aussieht.

Und obwohl bei Niccol nicht immer ganz offensichtlich ist, ob er das Paralleluniversum, dass er da geschaffen hat, nicht letztlich doch schön findet - hier ist die Zuordnung vergleichsweise einfach. Der Timekeeper trägt einen schwarzen Ledermantel wie ein SS-Mann, und die Uhr, die in jedem Arm tickt, sieht sicher nicht nur zufällig aus wie eine KZ-Nummer.

In Time gibt sich als Science-Fiction-Story aus, ist aber keine. Bei Gattaca war die Sache noch relativ klar: Es ging um eine Zukunftsvision, einen erschreckten Blick nach vorn auf eine Welt, in der es eine ganz klare Vorstellung von Perfektion gibt, die eisern durchgehalten wird. Wer nicht schön und stark und gesund genug ist, wird gar nicht erst geboren.

Vor allem ein Märchen

In Time aber macht sich keinen Reim auf die Fortentwicklung der Menschheit. Wir steuern natürlich nicht auf eine Ära zu, in der alle KZ-Uhren in den Arm implantiert bekommen - In Time ergibt nur als Parabel einen Sinn, wenn man die Story anders zu sehen versucht, guckt man sofort durch die Löcher im Plot und fängt an zu überlegen, warum die Oberstadt-Bewohner, wenn sie schon Uhren implantiert haben, diese nicht wenigstens mit einer Zeitdiebstahlsicherung nachrüsten.

Nun ist auch ein Metropolis eher ein Spiegel der zwanziger Jahre und einer dekadenten Oberschicht, und vor allem ein Märchen. Das ist In Time auch. Was Niccol aus der bedrohlichen, gehetzten Gegenwart macht, ist grandios anzusehen, und oft ein faszinierendes Gedankenspiel - nicht nur der Zusammenhang von Wohlstand und Lebenserwartung an sich. Interessant ist vor allem die Besinnungslosigkeit, die sich in Dayton ergibt aus dem permanenten Stress.

Will ist keineswegs dümmer als die Menschen im reichen Greenwich - er sieht nur keine Zusammenhänge, weil er nie zur Ruhe kommt. Niccol übertreibt es hier manchmal mit dem Parabelhaften, aber In Time ist voll spannender Ideen, er spielt schön herum mit den Merkwürdigkeiten unserer Zeit - er macht sich, beispielsweise, ein Bild davon, wie eine Welt voller konservierter 25-Jähriger aussähe (wie eine Oscar-Verleihung).

Vor allem aber will Andrew Niccol wissen, was einen Wert hat und was nicht - es ist nicht die Ewigkeit, die hier verlockend wirkt, alle Ewigkeit ist grau. Was Sylvia von Will lernt im hässlichen Dayton, ist die Lust am Augenblick - quality time. Vielleicht ist es tatsächlich so, dass man nichts genießen kann, was man im Überfluss hat, nicht einmal Zeit. Wie gelähmt sind die Menschen, mit denen Sylvia gelebt hat - sie haben alles, aber es geht ihnen um nichts.

IN TIME, USA 2011, Regie und Buch: Andrew Niccol. Kamera: Roger Deakins. Mit: Justin Timberlake, Amanda Seyfried, Cillian Murphy. Verleih: Twentieth Century Fox, 110 Minuten.

© SZ vom 30.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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