Serie "In Therapie" auf Arte:Sprich mit mir

Serie "In Therapie" auf Arte: Die 16-jährige Hochleistungsschwimmerin Camille (Céleste Brunnquell) hat möglicherweise einen geheimen Todeswunsch.

Die 16-jährige Hochleistungsschwimmerin Camille (Céleste Brunnquell) hat möglicherweise einen geheimen Todeswunsch.

(Foto: Les Films du Poisson/Arte)

Die Regisseure Olivier Nakache und Éric Toledano setzen Frankreich auf die Couch. Ihre brillante Arte-Serie "In Therapie" enthüllt, unter anderem, die seelischen Folgen des Terrorjahres 2015.

Von Johanna Adorján

Die neue Arte-Serie In Therapie funktioniert wie ein Kammerspiel. Die meisten Folgen spielen in einem einzigen geschlossenen Raum: der Praxis eines Psychoanalytikers. Oft genug gibt es nur zwei handelnde Personen: ebenjenen Therapeuten und seine Patientin oder seinen Patienten, deren jeweilige Sitzung wir verfolgen. Das bedeutet: Zwei Personen sitzen in einem Raum und reden. Mehr passiert nicht. Und dennoch entwickelt diese Serie einen ungeheuren Sog, und jede der 35 kurzen Folgen ist auf ihre eigene Art spannend.

In Therapie ist eine französische Produktion. Es ist die erste Serie der beiden Regisseure Olivier Nakache und Éric Toledano, die sich in den Neunzigern als Leiter in einem Feriencamp für Jugendliche kennenlernten und seither immer zusammenarbeiteten. Sie haben zum Beispiel 2011 den Erfolgsfilm "Ziemlich beste Freunde" gedreht, in dem ein unfroher Mann im Rollstuhl (François Cluzet) durch seinen neuen Pfleger (Omar Sy) wieder Lebensmut bekommt; oder "Das Leben ist ein Fest" (2017), eine wahnsinnig nette Familienkomödie, die sich um die komplizierte Organisation eines Hochzeitsfests dreht.

Kein Franzose wird vergessen, wo er an jenem Abend war, als die Terroristen kamen

Irgendwann hatte den beiden jemand empfohlen, sich mal die israelische Serie BeTipul (deutsch: In Behandlung) anzusehen, deren Konzept so einfach wie genial ist, weshalb sie von vielen Ländern adaptiert wurde, in den USA etwa als In Treatment. Jede Folge ist eine Therapiesitzung, man verfolgt die Entwicklung der wiederkehrenden Patienten, deren Psyche auch von politischen Ereignissen beeinflusst wird, eben wie im richtigen Leben, wo man ja auch nicht frei davon ist, sich von Dingen wie, sagen wir, einer Pandemie die seelische Verfassung diktieren zu lassen. Nakache und Toledano waren begeistert, und machten dann doch andere Sachen.

Und dann kam der 13. November 2015.

Kein Franzose wird je vergessen, wo er an jenem Abend war, als Terroristen gleichzeitig an mehreren Schauplätzen Paris angriffen, über hundert Menschen ermordeten und die Stadt in ihrem Kern verwundeten: da, wo Menschen zusammenkommen, um eine gute Zeit zu haben. Auf den Terrassen von Cafés, in einem Konzertsaal, im Fußballstadion.

Und auf einmal erschien Olivier Nakache und Éric Toledano die Idee zwingend erforderlich, eine französische Version von BeTipul zu drehen - denn nun war da dieses kollektive nationale Trauma. Und um damit fertigzuwerden, bestand Redebedarf. Sie erstanden die Rechte, holten sich Verstärkung von weiteren Drehbuchautoren und machten sich an die Arbeit, die hauptsächlich daraus bestand, die Terroranschläge mit der individuellen Problematik der fiktiven Patienten zu verknüpfen: Denn In Therapie ist keine Serie über diese Terroranschläge, sondern sie handelt von den Folgen für die menschliche Psyche, dieses hochsensible Instrument, das auf äußere Einflüsse sehr unterschiedlich reagiert.

Es ist eine außergewöhnliche und sehr erwachsene Serie, die völlig ohne Action auskommt und doch unglaublich spannend ist. Und das, obwohl eigentlich nur Menschen miteinander reden. Man könnte sagen, dass es eine Serie über Zuhören, über Hinhören geworden ist: Was jemand sagt, und wie er es sagt, offenbart eine ganze Welt, die es zu entdecken gilt. Mehr noch als andere Serien lebt diese von ihren Schauspielern, und hier ist ein Ensemble versammelt, das mit sensationeller Konzentration bei der Sache ist. Allen voran Frédéric Pierrot als Therapeut Philippe Dayan. Er hat mit Tavernier gedreht oder Ken Loach, bisher aber vor allem Nebenrollen gespielt, weshalb sein Name auch in Frankreich nicht allzu bekannt ist. Das wird sich ändern. Er trägt die Serie, ist als einzige Figur in jeder Folge - ein Mann mit sanfter Michel-Piccoli-Melancholie, der etwas Zuversichtliches und Scheues zugleich ausstrahlt.

Serie "In Therapie" auf Arte: Manchmal braucht der Therapeut selbst Hilfe: Carole Bouquet in der Serie "In Therapie".

Manchmal braucht der Therapeut selbst Hilfe: Carole Bouquet in der Serie "In Therapie".

(Foto: Carole Bethuel/Arte)

Natürlich, sonst wäre es ja langweilig, hat auch er Probleme, und so sehen wir ihn selbst jeden Freitag zu seiner Therapeutin Esther gehen, die eine Art Supervision mit ihm macht. Die wird verkörpert von Carole Bouquet, die als 20-Jährige für Buñuel spielte, neben Roger Moore in "James Bond - In tödlicher Mission" das Bondgirl war und viele Jahre lang das Gesicht für Nummer 5 von Chanel. Sie ist umwerfend als kühl distanzierte Therapeutin, der man anmerkt, dass sie sich mit aller Macht zurücknimmt, zusammennimmt. Sie spielt wie mit angezogener Handbremse, aber im fünften Gang.

Ebenfalls zum Niederknien: Mélanie Thierry als Chirurgin, die am Abend der Attentate Notdienst hatte, aber noch von ganz anderen Qualen heimgesucht wird. Sie spielt unglaublich intensiv und so durchlässig, als hätte sie keine Haut, bestünde nur aus Gefühl.

Dann gibt es noch ein Paar (Clémence Poésy und Pio Marmaï), das vor der Frage steht, ob es noch ein Baby will oder nicht. Eine 16-jährige Leistungsschwimmerin (Céleste Brunnquell), deren Tragik sich erst nach und nach enthüllt. Und Adel Chibane, Mitglied einer Spezialeinheit der französischen Polizei, der schnell an einem der Tatorte, im Club Bataclan war. Er ist ein harter Mann mit algerischen Wurzeln, den die Terroranschläge tiefer verstören, als er wahrhaben möchte, weil sie an ein tiefer liegendes, familiäres Trauma rühren.

In der entsetzlichen Stille nach dem Anschlag klingelten Hunderte von Handys

Reda Kateb spielt ihn, den man etwa aus "Der Prophet" kennen könnte. Sein Charakter ist am direktesten dran an den Ereignissen des 13. November 2015. Was er aus dem Bataclan erzählt, deckt sich mit den wahren Augenzeugenberichten von damals: Das Auffälligste sei die Stille gewesen, diese entsetzliche Stille im Saal, in der man das Klingeln von Hunderten von Handys umso lauter hörte.

Insgesamt starben bei den Terroranschlägen vom 13. November 130 Menschen, 416 wurden verletzt, darunter 100 schwer. Es war der tödlichste Anschlag in Frankreich seit dem Zweiten Weltkrieg, das Land befand sich ohnehin in erhöhter Alarmbereitschaft, seit im Januar desselben Jahres beim Anschlag auf die Redaktion von Charlie Hebdo und auf einen jüdischen Supermarkt 17 Menschen ermordet wurden. Dass nun eine Fernsehserie die psychischen Folgen thematisiert, ist für Frankreich eine große Sache. Die Schauspieler und die Regisseure sind gerade in allen Talkshows, ganz Paris ist mit "En thérapie"-Postern plakatiert, noch vor Fernsehstart am Donnerstag hatten bereits sechs Millionen Menschen die Serie in der Arte-Mediathek angeklickt.

Wer kann, sehe sie sich unbedingt im französischen Original an, wo die langen Textblöcke, in denen auch mal Lacan oder Freud zitiert werden, nicht so gestelzt klingen wie in der deutschen Synchronfassung. Die Regisseure raten, sich die Serie nicht hintereinander weg anzusehen, sondern die einzelnen Folgen etwas auf sich wirken zu lassen. Dann hätte man am meisten davon. Eben wie in einer Therapie.

Du willst „In Therapie“ sehen? Dann hier entlang zur Seite unseres Kooperationspartners Just Watch*:

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