Süddeutsche Zeitung

"In Liebe lassen" im Kino:Wie man gut sterben kann

Im Kinodrama "In Liebe lassen" spielt Catherine Deneuve eine Mutter, die sich von ihrem todkranken Sohn verabschieden muss.

Von Anke Sterneborg

Ein Film über das Sterben, aber viel mehr noch über die Liebe. Über den Frieden, den man mit dem Leben und dem Tod schließen kann. Ein trauriger, aber vor allem ein tröstlicher und berührender Film, der seine Existenz einem ganz besonderen Arzt verdankt, den die Regisseurin Emmanuelle Bercot im Rahmen einer Filmvorführung in einem New Yorker Krankenhaus kennengelernt hat. Der charismatische Dr. Gabriel A. Sara hat die Geschichte nicht nur inspiriert, er spielt (unter anderem Namen) auch selbst mit. Wie schon in früheren Filmen bereichert Bercot ihre Erzählung mit Laiendarstellern, die die Erfahrung des echten Krankenhausalltags in die fiktive Konstruktion tragen.

Am Anfang des Films gibt es eine Besprechung mit dem Arzt und seinem Team der Onkologie-Abteilung, in der die intensiven Erlebnisse, die das Personal mit den Patienten erlebt, besprochen und verarbeitet werden. Eine Krankenschwester erzählt, wie unglücklich sie war, erleben zu müssen, dass ein Patient starb, kurz nachdem sie seine Lebensgefährtin nach Hause geschickt hatte. Der Arzt tröstet sie, versichert ihr, dass die Menschen selber entscheiden, wann sie gehen, und dass es für sie manchmal leichter sei, es alleine zu tun. Der Kranke brauche die Erlaubnis zu sterben, das größte Geschenk, das man ihm machen könne, sei, ihm zu sagen: "Du kannst gehen." Ein engagierter Arzt im hektischen Krankenhausbetrieb, der sich Zeit und Ruhe nehmen kann, für sein Team, für seine Patienten und ihre Angehörigen: So einen einfühlsamen Begleiter und Lotsen würde man sich im Fall der Fälle auch wünschen.

Die Mutter will vom Arzt alles wissen, der Sohn scheut noch die Fakten

Am selben Tag kommen Benjamin und seine Mutter Crystal (Benoît Magimel und Catherine Deneuve) zu ihm in die Sprechstunde, um über die schwere Krebserkrankung des 39-Jährigen zu sprechen. Bauchspeicheldrüsenkrebs im Endstadium. Während seine Mutter wissen will, was bevorsteht, scheut Benjamin die Fakten. Es wird noch eine Weile dauern, bis er der Wahrheit unter Führung seines Arztes ins Auge blicken und seinen Weg bewusst gehen kann.

Als Pendant zu den Teambesprechungen im Krankenhaus gibt es die Proben, in denen Benjamin mit seinen Schauspielschülern die Aufnahmeprüfung für das Konservatorium vorbereitet. Wie jeder Künstler nutzt auch er seine Arbeit, um die eigene Existenz und ihre Grenzen zu erforschen. Paarweise sollen die Studenten Szenen eines endgültigen Abschieds erarbeiten. Unnachgiebig treibt er sie immer tiefer in die emotionalen Abgründe dieser Erfahrung.

Es gibt schonungslos ehrliche Filme über Menschen, die vorzeitig sterben müssen, wie "Halt auf freier Strecke" von Andreas Dresen. Und zu Tränen rührende Schmachtfetzen wie "Love Story" oder "Zeit der Zärtlichkeit". Emmanuelle Bercot geht einen Mittelweg. "In Liebe lassen" ist ehrlich und beschönigt nichts, erspart dem Zuschauer aber trotzdem den körperlichen Verfall, das Elend von Krankheit und Siechtum im fahlen Neonlicht. Denn Bercot erzählt dieses existenzielle Drama so unaufgeregt und wahrhaftig, wie sie als Regisseurin auch an die anderen Dinge des Lebens herangeht. Indem sie den Prozess des Sterbens als gangbaren Weg aufzeigt, ist der Film durchaus als Lebens- und Sterbehilfe zu verstehen. Denn die Mission, seine Methode bekannter zu machen, mit der man Menschen einen friedvollen, angstfreien Abschied ermöglichen kann, war ein wesentlicher Anreiz für den Arzt, sich beratend und schauspielend an diesem Film zu beteiligen.

De son vivant, Frankreich, Belgien 2021. Regie: Emmanuelle Bercot. Buch: Emmanuelle Bercot, Marcia Romano. Kamera: Yves Cape. Mit: Benoît Magimel, Catherine Deneuve, Dr. Gabriel A. Sara, Cécile de France. Studiocanal, 122 Minuten. Kinostart: 20.1.2022.

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