In eigener Sache:Abschied vom Kaiser

In eigener Sache: Die Gedenkfeier zum Tod von Joachim Kaiser in der Allerheiligen Hofkirche in München mit Igor Levit (Foto) und Anne-Sophie Mutter.

Die Gedenkfeier zum Tod von Joachim Kaiser in der Allerheiligen Hofkirche in München mit Igor Levit (Foto) und Anne-Sophie Mutter.

(Foto: Stephan Rumpf)

Der verstorbene SZ-Kritiker Joachim Kaiser konnte Leidenschaft für Musik vermitteln. Die Virtuosen Anne-Sophie Mutter und Igor Levit machten die Gedenkfeier für ihn zum Fest.

Von Johan Schloemann

Wer nach alledem unbefangen zurückkehren kann in unsere Wirklichkeit, der hat wohl doch nicht richtig hingehört." Das schrieb er einmal in diesem Feuilleton. Es war ziemlich typisch für den Kritiker Joachim Kaiser, in dieser ganz eigenen Mischung aus Ergriffenheit und verschmitzter Pädagogik.

Der Satz stand am Ende eines Textes von Joachim Kaiser über das berühmte Adagio in dem Streichquintett, das Franz Schubert kurz vor seinem Tod schrieb. Und jetzt war dieses Stück das Ende seiner eigenen Trauerfeier. Sie fand am Freitag in der Allerheiligen-Hofkirche in der Münchner Residenz statt. Zum Gedenken an Kaiser, der Anfang Mai im Alter von 88 Jahren nach langer Krankheit gestorben war, versammelten sich viele Weggefährten, Künstler, Verleger, Kolleginnen und Kollegen aus Trauer und Bewunderung. Zuvor, Ende Mai, war er im kleineren Kreis auf dem Münchner Nordfriedhof beigesetzt worden.

Der Schauspieler Stefan Hunstein, der als Schauspielschüler Unterricht in Theatertheorie von Joachim Kaiser an der Stuttgarter Akademie genossen hat, las zwar auch sehr genüsslich aus einer Glosse des Verstorbenen vor, in der dieser sich über die "Superlativsucht" in Kultur und Journalismus lustig gemacht hatte. Trotzdem kann kein Zweifel sein: Joachim Kaiser war ein bedeutender Literatur- und Theaterkritiker, in jedem Fall aber einer der größten Musikkritiker der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Und so konnte die Musik bei dieser Gedenkfeier keine Nebenrolle spielen.

Es war sehr bewegend zu hören, wie Anne-Sophie Mutter jenes Adagio von Schubert spielte

Es war sehr bewegend zu sehen und zu hören, wie die Violinistin Anne-Sophie Mutter zusammen mit hervorragenden Kollegen der BR-Symphoniker am Schluss jenes unglaubliche, sphärische Adagio von Schubert spielte - wenn man bedenkt, dass Joachim Kaiser vor vierzig Jahren in Salzburg bei der ersten Probe des Dirigenten Herbert von Karajan mit Anne-Sophie Mutter dabei gewesen war: sie war damals dreizehn Jahre alt, und der Kritiker begleitete sie seitdem. "Ein innerer, ganz aus der Sache kommender Ehrgeiz" zeichne Mutter aus, fand Kaiser, und er sagte damit sicher auch etwas über sich selbst.

Ist die Wirkung dieser Musik, zumal zu diesem Anlass, also nicht einfach unbeschreiblich? Nein, Joachim Kaiser wehrte sich vehement gegen solche Adjektive. Vielleicht sei es schwierig, meinte er, aber trotzdem wollte er zeitlebens auch die schönste, rätselhafteste Musik, und eben auch die emotionalsten Momente "in Worte fassen, die nicht bloß Begeisterungsbekundungen oder Tautologien darstellen". So schrieb er in seinem Text über dieses Adagio, in dem Kaiser dann eben auch ansetzte, das "fast bewegungslose Strömen" beim späten Schubert doch so gut wie möglich zu beschreiben und zu erklären - unter anderem damit, dass der Komponist immer wieder mit der Ununterscheidbarkeit von Melodie und Begleitung spiele.

Diese Gabe war es denn auch, die SZ-Chefredakteur Kurt Kister in seiner Rede hervorhob. Kaiser, sagte Kister, "verstand es wie kein anderer, Musik in die gesprochene und die geschriebene Sprache zu übertragen, zu übersetzen." Kister würdigte den langjährigen Kritiker der Süddeutschen Zeitung, aber auch Rundfunkredner, Vortragskünstler und Verfasser von Büchern als den seltenen Fall eines unterhaltsamen Lehrers: "Lächelnd klüger werden - was gibt es Besseres?"

Kann man noch das zigmal parodierte "Für Elise" geben? Der Pianist Igor Levit kann es

Den vielleicht schwersten Gang meisterte die Tochter, die Autorin und Filmemacherin Henriette Kaiser, dann auf das Schönste. Sie verhehlte nicht, dass es Geschenk und Prüfung zugleich war, einen großen, berühmten Vater zu haben, bei dem Privates und Öffentliches stets ineinander griffen. Aber sie ging souverän, witzig, elegant damit um - auch noch mit den mühevollen Jahren der Bewältigung der Krankheit. Einmal habe der Vater, schon schwer gezeichnet, ihre Hand genommen und sie aufgefordert, Klavier zu spielen. Es gab aber gar kein Klavier in der Klinik, kein Musikstück wurde benannt. Doch der Vater schloss die Augen, alles war still, erzählt Henriette Kaiser, aber "der Kaiser", wie seine Leser ihn nannten, unterbrach sie und rief in die Stille Dinge wie: "Die Triolen waren zu schnell, noch einmal!" Was für eine Kritikerszene.

Kann man danach Beethovens "Für Elise" spielen, das zigmal parodierte, abgenudelste Klavierstundenstück? Der Pianist Igor Levit kann es. Er hatte den sechzig Jahre älteren Kaiser 2011 in einer Konzertpause kennengelernt, und war von ihm ermuntert worden, durchaus "Für Elise" auf der Konzertbühne zu geben, wo das Stück ja sonst gar nicht mehr vorkomme. Und so spielte Levit neben einem Choralvorspiel von Bach eben "Für Elise".

Diese Szene wiederum steht für die enge Bekanntschaft und Wesensverwandtschaft Joachim Kaisers mit vielen großen Künstlern - wodurch der Kritiker immer auch ein gefeierter Teil der Münchner Stadtgesellschaft war, woran besonders SZ-Feuilletonchef Andrian Kreye in seiner Trauerrede erinnerte. Hier in München habe Kaiser nach der NS-Zeit dazu beigetragen, die Deutschen wieder zu einer Kultur zu führen, "die Freiheit bedeutete". Danach trat die Trauergesellschaft hinaus in die schwüle, gewitterstürmische Münchner Luft. Eher Wagner- als Mozartwetter.

Kaiser fehlte.

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