In Deutschland:Angriff auf das kleinbürgerliche Idyll

In Deutschland: Keineswegs unpolitisch wirkt dieses Werk von Gerhard Richter, das in der Austellung "Postwar" im Münchner Haus der Kunst zu sehen ist: "Bomber" aus dem Jahr 1963. Erklärtes Ziel Richters war es damals, dass die Motive dem Zufall geschuldet sein sollten.

Keineswegs unpolitisch wirkt dieses Werk von Gerhard Richter, das in der Austellung "Postwar" im Münchner Haus der Kunst zu sehen ist: "Bomber" aus dem Jahr 1963. Erklärtes Ziel Richters war es damals, dass die Motive dem Zufall geschuldet sein sollten.

(Foto: Städtische Galerie Wolfsburg; Studio Gerhard Richter c/o Marian Goodman Gallery)

Der scheinbar harmlose Realismus von Gerhard Richter und Sigmar Polke.

Von Sandra Danicke

Als Gerhard Richter 1961 aus der DDR nach Westdeutschland floh, musste er sein bis dahin geschaffenes Werk zurücklassen - zumindest den Teil, den er nicht bereits verbrannt hatte. Für Richter war das kein Verlust. Als Künstler erfand er sich ganz einfach neu. Gemeinsam mit Sigmar Polke, mit dem er damals an der Kunstakademie Düsseldorf studierte, postulierte Richter 1963 den "Kapitalistischen Realismus", mit dem die beiden die kleinbürgerliche Idylle der Nachkriegszeit aufs Korn nahmen.

Kaum einer hätte damals gedacht, dass die Künstler, die 1966 gemeinsam in der Badewanne posierten, einmal zu den größten Stars der deutschen Nachkriegskunst gehören würden.

Bedeutungsschwangeres war den Freunden genauso suspekt wie metaphorischer Symbolismus. Möglichst banal und dem Zufall geschuldet sollten ihre Motive sein, affektfrei die Ausführung. Beide Künstler verwendeten Materialien aus der Werbung. Bei Richter (geboren 1932) war es zum Beispiel Reklame für einen Wäscheständer, bei Polke eine Anzeige für einen modernen Bungalow. "Ich hatte diese Scheißmalerei satt, und ein Foto abzumalen, erschien mir das Blödsinnigste und Unkünstlerischste, was man machen konnte", erklärte Richter 1964.

Unpolitisch waren die Werke Richters jedoch nicht

Ein Foto hatte für ihn "keinen Stil, keine Komposition, kein Urteil, es befreite mich vom persönlichen Erleben, es hatte erst mal gar nichts, war reines Bild". Systematisch begann der Künstler nun Bilder aus Printmedien und Amateurfotos zu sammeln, ließ sich von seiner Tante aus Oldenburg regelmäßig einen Berg Illustrierte nach Düsseldorf schicken und hortete einen Fundus, der unter dem Titel "Atlas" bekannt wurde.

Unpolitisch waren seine Werke all diesen Erklärungen zum Trotz jedoch nicht: Mit Bildern von "Onkel Rudi" im Wehrmachtsmantel oder "Tante Marianne" (sie wurde Opfer der Zwangssterilisierungen der Nationalsozialisten) machte Richter deutlich, dass auch seine eigene Familie in die Gräueltaten des Dritten Reichs verstrickt war und dass manche Familienmitglieder während dieser Zeit zugleich auch Opfer der nationalsozialistischen Maschinerie geworden waren.

Polke (1941-2010) ging vergleichsweise spielerisch und assoziativ zu Werk. Oft kombinierte er Versatzstücke aus Alltag, Politik und (Kunst-)Geschichte zu vielschichtigen Motivcollagen, die sich mit deutscher Befindlichkeit auseinandersetzen. Selbst ein scheinbar banales, unscharfes Foto wie "Fernsehbild (Kicker)" (1971) entpuppt sich bei Polke als komplexes Konstrukt.

Es handelt sich um die Ausschnittsvergrößerung eines Fernsehbildes, das einen Tischkicker zeigt, mit zahlreichen Knicken malträtiert, anschließend noch einmal abfotografiert und dann auf farbigem Büttenpapier gedruckt wurde.

Eine Konstante in Polkes Œuvre sind die Rasterpunkte des Offsetdrucks. Für seine erste Druckgrafik "Freundinnen I" (1967) vergrößerte er ein Foto aus einer Anzeige - es zeigt zwei Damen in gepunkteten Bikinis - so stark, dass die Rasterpunkte das Bild in einem seltsamen Schwebezustand zwischen permanenter Entstehung und Auflösung halten. Immer wieder hat Polke die Möglichkeit der Vervielfältigung ironisiert, indem er absurde Auflagenhöhen ("141 Exemplare") bestimmte.

Richter hingegen arbeitete mit Unschärfe. Er erzielte diesen Eindruck, indem er am Ende die noch feuchte Farbe mit einem trockenen Pinsel verwischte "Ich verwische, um alles gleich zu machen, alles gleich wichtig und gleich unwichtig. Ich verwische, damit es nicht künstlerisch-handwerklich aussieht, sondern technisch, glatt und perfekt", erklärte Richter sein Vorgehen.

Ein eindeutig wieder erkennbarer Stil war Gerhard Richter jedoch suspekt. Ähnlich wie ein Wissenschaftler deklinierte der Künstler, der bis heute oft gleichzeitig an sechs bis zehn Bildern malt, die Möglichkeiten der Malerei durch: Es entstanden minimalistisch anmutende Farbtafelbilder, bei denen die Auswahl der nebeneinander liegenden Farbtöne dem Zufall überlassen wurde, oder es entstanden monochrome graue Bilder.

Als Richter dann 1980 seine heute berühmten grellbunten Schlierentafeln erfand, für die er mit dem Rakel diverse Farbschichten übereinander streicht, hatte sich die Freundschaft mit Sigmar Polke allerdings längst erledigt.

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