In Bayreuth brodelt es:Reiz der Kühnheit

Im Bayreuther Nachfolgestreit spielt Nike Wagner mit Gérard Mortier einen Trumpf aus. Der Star- intendant ist allerdings ein zwiespältiger Partner. So kühn er programmiert - ein Mann von morgen ist er nicht.

R. J. Brembeck

Die Ankündigung Gérard Mortiers, sich mit Nike Wagner um die Leitung der Bayreuther Festspiele zu bewerben, scheint auf den ersten Blick ein genialer Schachzug zu sein.

In Bayreuth brodelt es: Gérard Mortier wird demnächst 65 Jahre alt, er nähert sich also rasant dem Rentenalter. Aber spricht das gegen ihn? Wohl kaum.

Gérard Mortier wird demnächst 65 Jahre alt, er nähert sich also rasant dem Rentenalter. Aber spricht das gegen ihn? Wohl kaum.

(Foto: Foto: AFP)

Bisher galten Eva und Katharina Wagner, die Töchter des noch bis Ende dieser Woche amtierenden Bayreuth-Chefs Wolfgang Wagner, als die Favoriten. Der Kulturwissenschaftlerin Nike, die seit 2004 das Weimarer Kulturfest ausrichtet, wurden eher geringe Chancen eingeräumt. Mit Mortier aber gewinnt sie die profilierteste Intendantengestalt Europas als Mitstreiter.

Wenn sich also nächsten Montag der für die Nachfolgefrage zuständige Stiftungsrat trifft, dann wird es diesem 24-köpfigen Gremium wohl nicht leichtfallen, sich für eines der Paare zu entscheiden.

Ausschlaggebend für die Entscheidungsfindung wird sein, für wie triftig der Stiftungsrat Mortiers Bewerbung hält. Denn der Mann ist nicht frei. Demnächst absolviert er seine letzte Spielzeit an der Pariser Oper, ab 2009 ist er an der New York City Opera engagiert, dem zweiten Haus der Stadt, das in der Konkurrenz mit der Met traditionell immer den Kürzeren zog. Das könnte sich unter Mortier ändern. Der Mann trat nämlich schon immer als lustvoller Reformer an.

Zuerst an Brüssels Oper La Monnaie, dann bei den Salzburger Festspielen, die er nach Herbert von Karajan aus der Agonie eines in die Jahre gekommenen Edelamüsierbetriebs in ein effizientes Festival verwandelte, das sich dezent in Richtung Moderne und Pluralismus öffnete.

Aufgüsse der zur Perfektion ausgereiften Ästhetik

Diese von konservativen Festspielfreunden heftig kritisierte Richtungsänderung war so notwendig wie grundlegend, sodass noch Mortiers Nachfolger, Peter Ruzicka und Jürgen Flimm, von dieser Revolution profitieren konnten, ohne allerdings den lässig weltläufigen Flair des Belgiers kopieren zu können.

Unübersehbar ist allerdings auch, dass Mortier in Paris - und zuvor schon bei der Ruhrtriennale - gern Aufgüsse seiner in Salzburg zur Perfektion ausgereiften Ästhetik bietet, dass er treu an den alten Theatergenossen (Cambreling, Marthaler, die Herrmanns, Saariaho) festhält und nur bedingt Neues entdeckt - der geniale polnische Regisseur Krzysztof Warlikowski gehört zu diesen Ausnahmen. Auffällig zudem, dass Mortier in Paris immer wieder Kompromisse mit dem Publikum eingeht.

Die Revolution aber, die er in Salzburg angezettelt hat, lässt sich jenseits des deutschsprachigen Kulturraums kaum wiederholen. Gerade die Pariser Opernwelt ist sehr viel konservativer als jedes deutsche Stadttheater, und auch in New York ist das kaum anders. Mag sein, dass diese Einsicht Mortier bewogen hat, sein Glück doch noch einmal in Deutschland zu versuchen.

Hang zur Provokation

Bayreuth hat in den letzten Jahren etliche tollkühne Regisseure aufgeboten, die zwar teilweise Unmut erregten, aber meist eher als die dort arbeitenden Sänger und Dirigenten neue Einblicke in die Partituren boten. Die Möglichkeit, derart kühn programmieren zu dürfen, mag Mortier anziehen. Schließlich ist er ein Kulturmanager, der die Provokation liebt und gern politisch Stellung bezieht.

So gesehen wäre Mortier durchaus der Richtige für Bayreuth. Ja, es drängt sich geradezu die Frage auf, warum er sich nicht schon längst als Kandidat beworben hat - alleine, ohne Nike Wagner, die solch ein gewiefter Kulturweltmeister ja gar nicht als Partnerin bräuchte. Umgekehrt sieht das ein wenig anders aus.

Es ist grundsätzlich schwer nachzuvollziehen, warum in Bayreuth zwei - auch kostenintensive - Intendanten zugange sein müssen. Schließlich sind die Intendantenpflichten in Bayreuth eher kleiner als bei großen Opernhäusern. Allenfalls im Fall der so jungen wie unerfahrenen Katharina Wagner macht es einen gewissen Sinn, ihr mit Eva Wagner eine gerade in Sängerfragen ausgewiesene Kennerin zur Seite zu stellen.

Lesen Sie auf der zweiten Seite, warum Mortiers Kunstmanagement nicht mehr den Nerv der Zeit trifft.

Reiz der Kühnheit

Das alles erklärt, warum Bayreuth für viele Kunstmacher als Lebensaufgabe recht uninteressant ist. Die Möglichkeiten, dem Festival ein unverkennbares Gepräge zu geben, sind bei maximal einer Neuinszenierung pro Jahr nicht besonders groß, während die organisatorischen und verwaltungstechnischen Zwänge enorm sind und kaum Möglichkeiten zur Profilierung bieten. Solch ein eingeschränktes Wirkungsfeld aber kann einem in großen Kunstdimensionen disponierenden Manager wie Mortier sicher nicht genügen.

Eine andere Frage ist, was Mortiers Stammhäuser von seiner Bewerbung denken. Paris hat schon verwundert reagiert, weil nicht darüber informiert. Auch in New York wird man nicht allzu viel Verständnis haben, dass sich der neue Chef schon vor Amtsantritt bereits einen Zweitjob sucht, mit der Begründung, dass er in den USA nicht voll ausgelastet sei.

Andererseits dürfte auch der Bayreuther Stiftungsrat nicht begeistert sein von einem Chef, der aus weiter Ferne gerade einmal Beratungsfunktion übernehmen könnte.

Nichts als Wagner - aber sofort!

Dazu kommt, dass der Posten in Bayreuth ab sofort zu besetzen ist. Mortier & Nike Wagner müssten also gleich antreten und sich zudem mit einer Vorplanung bis ins Jahr 2015 arrangieren.

Das macht den Bayreuthposten nicht unbedingt attraktiver. Zumal auch die Träume von einer Ausweitung der Festspiele, die Nike hat und Mortier ganz spontan entwickeln wird, nicht mit der Satzung der Festspiele vereinbar sind.

Eine Satzungsänderung aber erscheint derzeit ausgeschlossen, würde sie doch eine Aufweichung der klar formulierten Festspielidee (nichts als Wagner, Wagner, Wagner!) bedeuten und zudem Zusatzkosten verursachen, die gerade die öffentliche Hand kaum zu tragen bereit wäre.

Mortier wird demnächst 65 Jahre alt, Eva Wagner ist 63 - beide nähern sich also rasant dem Rentenalter. Aber spricht das gegen sie? Wohl kaum. Problematischer ist, dass beide mittlerweile kaum noch für Aufbruch und neue Ideen stehen, sondern Vertreter einer durch Konzepte vermittelten Kunstsicht sind, wie sie in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts ihren Höhepunkt hatte.

Diese Art von Kunstmanagement trifft nicht mehr den Nerv der Zeit. Das zeigte sich in der Spätphase des Stuttgarter Opernintendanten Klaus Zehelein, das war das Manko von Peter Ruzickas "Zweiter Moderne" und ist auch bei Mortier in Paris nicht zu übersehen.

Aufregend neues Opernmachen

Andererseits ist derzeit nicht so recht auszumachen, was an die Stelle dieses überlebten Konzeptdenkens getreten sein könnte. Denn so gut wie alle Opernhäuser und Festivals gleiten zunehmend ins unverbindliche Kunstallerlei ab und können kaum durch zündende Programmatiken begeistern.

Vielleicht aber ist das auch zu viel verlangt, vielleicht entwickelt sich das Neue im Musiktheater viel langsamer und auf einer bisher kaum theoretisierten Ebene. Dafür sprechen die Arbeiten von Regisseuren wie Krzysztof Warlikowski oder Stefan Herheim, die das Theater radikal als Theater ernst nehmen und über alle Konzepte stellen.

Dieses aufregend neue Opernmachen aber, dessen Risiken und Möglichkeiten längst nicht erprobt sind, hat in Bayreuth bereits zögerlich Einzug gehalten.

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