Impressionismus:Die Entdeckung des Augenblicks

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Die Bilder der Impressionisten entsprachen ganz und gar nicht dem Kunstgeschmack ihrer Zeit. Die Qualität ihres sinnlichen Spiels mit Farben, Licht und Schatten zeigt sich in der Sammlung Hasso Plattner, die nun dauerhaft im Museum Barberini gezeigt wird.

Von Gottfried Knapp

Meister des Lichts: Claude Monets Getreideschober aus dem Jahr 1890 spielen mit dem Kontrast von Wärme und Kälte, dunkel und hell. (Foto: Sammlung Hasso Plattner)

Um zu zeigen, wie weit sich die französischen Maler des Impressionismus mit ihren Werken vom Kunstgeschmack ihrer Zeit entfernt haben, empfiehlt es sich, zwei extrem gegensätzliche Gemälde miteinander zu vergleichen. Auf dem einen - Alexandre Cabanel, ein Großmeister der französischen Salonmalerei, hat es gemalt - ist ein nackter Frauenkörper so voyeursgerecht auf den Rücken gelegt, dass sich sowohl die Rundungen der hochgestellten Hüfte als auch die der emporgereckten rechten Brust scherenschnittartig gegen den Himmel abzeichnen. Die von den Schenkeln umschlossene Scham aber bildet exakt die Mitte der Komposition. Demonstrativer kann man weibliche Reize nicht zur Schau stellen: Fleischliches im XXXL-Format.

Auf dem anderen sehr viel kleineren Bild - Claude Monet hat es 1891 gemalt - fehlt alles, was sich dem Betrachter appellativ aufdrängen könnte: Man sieht keine Menschen, man sieht nur ein paar schmutzig wirkende Strohhaufen, die auf einem abgeernteten Acker herumstehen.

Der krasse inhaltliche Gegensatz wird durch die Malweise fast ins Monströse gesteigert. Cabanel wollte die Geburt der Venus aus dem Schaum des Meeres darstellen, doch bei ihm erstarrt das sinnliche Elementarereignis des Auftauchens aus dem Wasser zur porengenauen Darstellung eines im Atelier auf Polster hingebreiteten Nacktmodells. Die schäumenden Wellen des Meeres gerinnen zu einer bleischweren blauschwarzen Masse, auf der die Schaumgeborene wie auf einem Sofa ruht. Kein Wasserspritzer wagt sich zu erheben, von Gischt keine Spur, ja der weiße Schaum, der unter dem Arm hervorquillt, sieht aus wie ein zerfranster Bettvorleger.

Umso sinnlicher erstrahlen, ja erglühen in Monets Gemälde die materiellen Nichtigkeiten der Getreideschober vor dem im Hintergrund sich abspielenden Sonnenuntergang. Der Maler hat sich so hingestellt, dass die Spitzen der hintereinanderliegenden Schober eine Linie bilden, die das Bild diagonal aufreißt und Himmel und Erde wirkungsvoll voneinander trennt. So bildet der orangerote warme Schein der Abendsonne am Himmel den denkbar größten Kontrast zum In- und Übereinander schwergewichtiger Blau-, Grün- und Grautöne auf dem Ackerboden. Die pralle physische Präsenz der aus Dunkeltönen übereinandergeschichteten Strohhaufen kontrastiert wirkungsvoll mit den quasi transparenten Farbschleiern in der Höhe.

Die aufregendsten Stellen im Gemälde sind aber die, an denen sich die beiden Sphären überlappen. Dort, wo die Strahlen der untergehenden Sonne zwischen den Schobern in die Schattenzone vordringen, streuen sie rosigen Schein über die Unebenheiten des Ackerbodens. Die locker mit dem Pinsel aufgesetzten Tupfer aus Orange-, Rot- und Lilatönen schießen zu leuchtenden Bändern zusammen, die sich wie Wärmeströme durch das Bild ziehen. Wo die Schatten der Schober schon seit Längerem auf dem Feld liegen, kündigen kräftige Blau- und Violetttöne die Kälte der Nacht an.

Am thematisch gänzlich unergiebigen Motiv der Strohhaufen kann Monet also unendlich viel mehr sinnliche Eindrücke vermitteln als Cabanel mit seiner überlebensgroß von vorn gezeigten nackten Frau. Dennoch hat es Jahrzehnte gedauert, bis diese Unterschiede geschätzt und gewürdigt wurden. Cabanels "Geburt der Venus" war auf dem Salon von 1863, zu dem Manets bürgerlich nackte "Olympia" und das berühmte "Frühstück im Grünen" nicht zugelassen waren, die große Publikumsattraktion. Noch im selben Jahr ist das Bild von Napoleon III. zu einem Preis, wie ihn kein Impressionist zu Lebzeiten erzielt hat, gekauft worden. Heute wird die Nackte mit den am Himmel klebenden Putten im Musee d'Orsay nur noch ironisch belächelt. Monets "Getreideschober" aber sind im Jahr 2019 von dem deutschen Unternehmer Hasso Plattner zum Rekordpreis von 110 Millionen Euro erworben worden und bilden in der neuen Ausstellung "Impressionismus - Sammlung Hasso Plattner" im Potsdamer Museum Barberini einen der vielen künstlerischen Höhepunkte.

An Monets Getreideschobern kann man nicht nur den klaffenden Abstand zur Salonkunst vorführen, sondern auch zeigen, wie sich die Impressionisten über die Errungenschaften des Realismus hinausentwickelt haben. Reale Landschaften wiederzugeben, war ja um 1870 in Frankreich nichts Außergewöhnliches. Courbet, Corot und die Maler der Schule von Barbizon hatten hier Maßstäbe gesetzt. Doch in deren rhythmisch meist konventionell aufgebauten Landschaftsbildern hat der Ausschnitt immer noch Gedankliches oder Emotionales zu transportieren, was über die reine Naturerscheinung hinausweist. Die luministischen Werte, die im Freien zu entdecken sind, spielen eine untergeordnete Rolle.

Die Impressionisten aber interessieren sich auf radikal direkte Weise für sinnliche Spontaneindrücke und für die temporären Zufälle außerhalb des Ateliers. Sie konzentrieren sich auf die atmosphärischen Sensationen, die sich im Wechsel der Jahres- wie Tageszeiten einstellen. Sie wollen - im Doppelsinne - Augenblicke erfassen, also das an bestimmten Orten zu bestimmten Zeiten mit allen Sinnen Erlebte möglichst authentisch an das Publikum weitergeben.

Diese Faszination von flüchtigen Erscheinungen lässt die Impressionisten nach immer neuen Motiven Ausschau halten. In Paris entdecken sie die quer durch die Altstadt gefrästen Häuserschluchten der Boulevards und das vibrierende Leben, das sich dort zwischen den frisch gepflanzten Baumreihen entwickelt hat. In den Bahnhöfen begeistert sie das Qualm- und Rußspektakel der ein- oder ausfahrenden Dampflokomotiven. Draußen in den Vororten, in den Dörfern und in der offenen Landschaft bevorzugen sie Örtlichkeiten, die durch ein sehr spezifisches Licht oder durch jahreszeitliche Besonderheiten ihren charakteristischen Reiz bekommen.

Das Gemälde „Wintermorgen“ von Alfred Sisley aus dem Jahr 1874 lässt den Betrachter die knisternde Frische fast spüren. (Foto: Sammlung Hasso Plattner)

Am dichtesten werden die Eindrücke immer dann, wenn Wasser, das Element des stetigen Wandels, das Bildgeschehen dominiert. Fast auf der Hälfte der Gemälde der Sammlung Plattner sind Gewässer zu sehen: Teiche, Bäche, Meeresbuchten. Flüsse wälzen sich träge durch sommerlich ruhende Landschaften; Ströme schieben im Winter auch ganze Gebirge von Eisschollen vor sich her. Monet ist ein Leben lang dem Wasser nachgereist: Die Reihenfolge seiner Wohnorte folgt dem Lauf der Seine von Paris über Argenteuil und Vétheuil bis nach Giverny. Auch Alfred Sisley hat an den Ufern von Flüssen seine einprägsamsten Motive gefunden. Sein "Wintermorgen" von 1874 prunkt mit den leuchtend warmen Farben des Spätherbsts und mit den langen Schatten der Bäume am Flussufer.

Als besondere malerische Herausforderung haben die Impressionisten immer trübe Wintertage und schneebedeckte Landschaften empfunden. Mit den Grau-Weiß-Tönen, die in der Kälte das Farbspektrum dominieren, ließen sich sinnlich ansprechende Bilder nur konstruieren, wenn man dem schmutzigen Einheitston vitale Farben untermischte, also die einzelnen Objekte fein gegeneinander absetzte. An den Schnee- und Eisbildern lässt sich darum die Technik des punktuellen Verteilens der Farben, mit der die Impressionisten nicht nur die Pointillisten und die Fauves, sondern auch Größen wie Cézanne und van Gogh zu ihren Neuansätzen ermutigt haben, besonders schön studieren. Für all das bietet die Ausstellung im Museum Barberini überzeugende Beispiele.

© SZ vom 04.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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