Süddeutsche Zeitung

Immunisierung gegen Kritik:Sokrates will nicht auf die Shortlist

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Bei seiner Frankfurter Poetikvorlesung trat der Schriftsteller Christoph Ransmayr als Fürst der Sprache auf, der dem Literaturbetrieb die Leviten liest.

Von Christoph Schröder

Christoph Ransmayr scheut die Öffentlichkeit. Das Format der Frankfurter Poetikvorlesung wurde für ihn umgebaut. Nur einen einzigen Termin nahm der 1954 geborene Österreicher persönlich wahr, die anderen hatte die Frankfurter Goethe-Universität in den vergangenen Wochen mit einer dreiteiligen wissenschaftlichen Vortragsreihe gefüllt, die das Verständnis für Ransmayrs Werk vertiefen sollte.

Mit Ransmayr begeht die traditionsreiche Reihe ein Jubiläum. Ingeborg Bachmann war 1959 die erste Autorin, die an der Frankfurter Universität Auskunft über ihr Schreiben gab. Ransmayrs Vortrag, der am Samstagabend stattfand und mit Sicherheit auch aufgrund des Corona-Virus eher durchschnittlich besucht war, stand unter dem rechnerisch nicht ganz korrekten Motto "60 Jahre Frankfurter Poetikvorlesungen". Es sollte sich recht schnell herausstellen, dass die Jubiläumsveranstaltung nicht zu den erinnerungswerten Glanzlichtern der Frankfurter Poetikvorlesungen zählen würde.

Was Ransmayr, dessen prinzipiell unmoderierte Lesungen in abgedunkelten Räumen häufig Gottesdiensten ähneln, in seinem einhundertminütigen Vortrag probte, war das, was Botho Strauß in einem Essay den "Aufstand gegen die sekundäre Welt" genannt hatte. Da vorne am Pult inszenierte sich ein echter Dichter, ein der Epoche enthobener Fürst der Sprache - der banalerweise einen permanenten Kampf mit der Mikrofonanlage im großen Hörsaal zu führen hatte. Ransmayrs Vortrag erwies sich als Selbstwiderspruch.

Es wirkt eher ungünstig, wenn ein Autor, eingeladen von einem germanistischen Institut an einer Universität, über Studierende der Germanistik spottet, die sich wissenschaftlich mit seinem Werk auseinandersetzen. Und geradezu dünkelhaft wird es, wenn ausgerechnet Christoph Ransmayr, der seinen durch und durch verdienten frühen Ruhm für den Roman "Die letzte Welt" (1988) unter anderem dem geschickten Agieren des Strippenziehers Hans Magnus Enzensberger zu verdanken hatte, auf nicht einmal sonderlich originelle Weise über einen Literaturbetrieb spottet, der ihm selbst die Berühmtheit erst verschafft hat.

Es ist Ransmayr zu wünschen, dass niemand auf die Idee kommt, seine Vorlesung zu veröffentlichen

Ransmayr goss seinen Spott aus über Debütanten, die vier oder fünf Bücher gelesen haben, um dann eine Trilogie zu veröffentlichen, über Stipendiaten, über die Long- und Shortlists, über Produkte und Urteile von kurzer Halbwertszeit. Das Große, das Eigentliche, so insinuierte er Vortrag, der den Bogen von Sokrates bis Brecht schlug, entsteht im Augenblick, bleibt aber für immer.

Letztendlich gehe es für den Autor darum, seinen Geschichten zu vertrauen, allein schon darum, weil sonst niemand sie erzähle, und für die Leser darum, sich diesen Geschichten auszuliefern. Wen interessiert da "das irrlichternde Geflacker der digitalen Welt" und "das Internet, das nicht nur vieles miteinander verbindet, sondern wohl noch mehr trennt"? Selbst wenn mittlerweile einiges dafür spricht, dass das nicht falsch ist, sind Sätze wie diese mittlerweile im Sonderangebot des Sonntagsredners zu haben.

Die Selbstimprägnierung gegen jede Form der Kritik hatte Ransmayr seinen gewohnt hypotaktischen Ausführungen gleich in zweifacher Form eingeschrieben. Zum einen dadurch, dass er in Ablehnung des Sekundären dem Dichter der sich öffentlich äußert, die gleiche Irrtumsberechtigung zubilligte wie einem Busfahrer. Jede Zeile gelesener Literatur sei wertvoller als das, was deren Autor darüber zu sagen hat: "Ich kann Ihnen nicht mehr sagen, als Sie sich selbst erzählen können." Zum anderen folgte Ransmayr dem Beispiel Christian Krachts, der sich bei seiner Frankfurter Poetikvorlesung 2018 jegliche Tonaufnahmen verbeten hatte.

Christoph Ransmayr hat großartige Romane wie "Morbus Kitahara" oder zuletzt "Cox" geschrieben. Im Sinne dieses Werks und in Erfüllung seiner These, dass der literarische Text größer ist als alles, was darüber gesagt wird, wäre ihm zu wünschen, dass niemand auf die Idee kommt, seine Frankfurter Poetikvorlesung zu veröffentlichen.

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Quelle:
SZ vom 10.03.2020
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