Süddeutsche Zeitung

"Immer noch eine unbequeme Wahrheit" im Kino:Al Gore, der ewige und einzige Held

Wer die Umwelt-Doku "Immer noch eine unbequeme Wahrheit" schaut, weil er sich für den Klimawandel interessiert, wird kaum Neues lernen. Außer wie man sich als Retter der Geschichte inszeniert.

Von Alex Rühle

Der Al Gore hat ja den Pariser Klimagipfel gerettet. In allerletzter Sekunde. Es war nämlich so: Die Inder wollten das Abkommen platzen lassen, weil sie sagen: Der Westen hat hundert Jahre lang die Sau rausgelassen, um Profite zu machen, wir wollen jetzt auch erst mal reich werden, danach können wir gerne über Emissionen reden. Irgendwie ist der Inder da ja schwer zu widerlegen, jedenfalls von einem Amerikaner. Der ganze Gipfel war quasi schon gescheitert. Aber dann ist Al Gore sehr schnell in Paris durch enge Gänge gelaufen, die Kamera immer ganz dicht auf den Fersen. So was stört ihn aber nicht, er hat eine Mission. Er ruft enge Freunde aus der Solarindustrie an, die den störrischen Indern ein großzügiges Angebot machen sollen. Das machen sie natürlich sofort, weil Al Gore. Die Inder lenken daraufhin in Paris ein. Eben auch weil Al Gore plus Solargeschenk. Schnitt, feierliche Verkündung des Pariser Klimaabkommens, alle weinen und klatschen. Al Gore mittendrin.

Muss man komplexe Themen personalisieren, um sie spannender und verständlicher erzählen zu können? Vielleicht muss man das ab und zu. Aber muss man dazu derart hanebüchenen Quatsch über das Klimaabkommen erzählen? Al Gore hat die indische Regierung bestimmt zu gar nichts bewogen. Indien wollte nicht abspringen. Das Land hat seither auch keinen Vertrag mit der Solarfirma abgeschlossen.

Eine recht wirkmächtige Waffe gegen die Klimawandelleugnungsmafia

Okay. Ist ja nur ein Detail am Ende des Films. Also noch mal von vorn. Vor zehn Jahren kam "Eine unbequeme Wahrheit" in die Kinos, eine bildmächtige Inszenierung von Al Gores hervorragend recherchierten Aufklärungsvorträgen, mit denen er seit seinem Rückzug aus der Politik unermüdlich auf die Erderwärmung hinwies. Der Film war besonders in Amerika eine recht wirkmächtige Waffe gegen die Klimawandelleugnungsmafia und wurde mit einem Oscar ausgezeichnet. Al Gore erhielt im Jahr darauf zusammen mit den Wissenschaftlern des IPCC den Friedensnobelpreis für sein ökologisches Engagement. So weit, so verdient.

Seither ist alles nur schlimmer geworden. Al Gore und die Klimawissenschaftler bekommen nahezu wöchentlich vorgeführt, dass sie mit ihren Prognosen recht hatten: Der Planet heizt sich auf, die Katastrophen häufen sich. Am Anfang der Fortsetzung sieht man Al Gore über eine sehr hohe Leiter ein Forschungslabor in Grönland erklimmen: Die Hütte der Forscher stand vor wenigen Jahren auf dem Eis. Mittlerweile steht sie in zehn Metern Höhe, das Eis ist geschmolzen. Starkes Bild. Es folgen Aufnahmen vom Hurrikan Sandy und vom Taifun Haiyan, der die Philippinen verwüstete. Riesige Waldbrände in Kanada. Die überfluteten Straßen von Miami. So weit, so Klimawandel.

Dann kommt Al Gore. Auf Podien. In Hallen. Publikum, das zu ihm aufblickt. Menschen, die ihm die Hand drücken. Einige dieser Menschen bekleiden heute hohe Klimaschutzämter. Sie alle haben das angeblich Al Gore zu verdanken, weil der Film, die Erweckung, danke, Al, du hast mein Leben geändert. Dann wieder Al Gore. Jetzt mal zu Hause, wo er gerührt Bilder von sich und seiner Familie betrachtet. Dann wieder als Klimaprofi. Und man denkt, verdammt, die Erde erhitzt sich, es gibt so viel zu tun, ihr sagt es doch gerade selber, was interessiert mich da dieser alte, reiche Mann. Hat seine Verdienste, unbedingt, aber was soll dieser hagiografische Bilderbogen? Wer ins Kino geht, weil er sich für den Klimawandel interessiert, wird hier kaum Neues lernen.

Die Irritation kippt dann in richtigen Ärger um, als es nach Paris geht, zum Gipfel, auf den alles zusteuert. Kurz vor dem Gipfel wollte Gore am Fuß des Eiffelturms schon mal einen Klimatalk halten. An dem Abend fiel der Terror über Paris her, Stade de France, Bataclan, die Bistros, am Ende waren 130 Menschen tot. Al Gore sagt was von Werten und Zusammenstehen und Klima, die Pariser kucken bald nur noch auf ihre Handys und zerstreuen sich. Dass man in solch einem Moment irgendwas dahermurmelt, ist völlig verzeihlich. Dass die beiden Filmemacher diesen Moment als trostspendende Verkündung ans französische Volk inszenieren, ist einfach nur peinlich und eine weitere Überhöhung des ewigen und einzigen Helden Al Gore.

An Inconvenient Sequel: Truth to Power, USA 2017 - Regie: Bonni Cohen, Jon Shenk. Kamera: Jon Shenk. Schnitt: Don Bernier, Colin Nusbaum. Mit: Al Gore, John Kerry, George W. Bush. Paramount, 98 Minuten.

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SZ vom 07.09.2017/doer
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