Im TV: "Dancing with Devils":Trieb im Trio

Am Tor von Santa Fu erscheint des Meisters Muse: Klaus Lemkes düsterer neuer Hamburg-Film besticht als fiebrig-nervöse Milieustudie voller verlorener Seelen.

Peter Luley

Wenn von der Arbeitsweise des Regisseurs Klaus Lemke die Rede ist, klingt das oft sehr leicht und hingetupft. Schließlich kultiviert der bekennende Filmförderungsverächter seit Jahrzehnten seinen ureigenen Low-Budget-Partisanen-Stil: Mit Laiendarstellern, die er mit 50 Euro pro Tag entlohnt, setzt er kleine Plot-Ideen in Szene, die sich beim Abfilmen mit der Digitalkamera quasi von selbst zu einem großen Ganzen zu verbinden scheinen. Tatsächlich aber ist die Methode Lemke eine fragile, hochsensible Angelegenheit. Denn damit sie funktioniert, muss die Chemie zwischen den Mitwirkenden stimmen - und zwar in stärkerem Maß als bei konventionellen Produktionen, weil sich nur dann eine Geschichte oder zumindest eine Stimmung herauskristallisiert. Tritt das nicht ein, bricht Lemke ab.

Im TV: "Dancing with Devils": Tanzen mit den Teufeln: Klaus Lemke (Mitte, stehend) und sein Team: v.l. Stefan Witte, Paulo da Silva, Saralisa Volm, Rodion Levin und Nina Schwabe.

Tanzen mit den Teufeln: Klaus Lemke (Mitte, stehend) und sein Team: v.l. Stefan Witte, Paulo da Silva, Saralisa Volm, Rodion Levin und Nina Schwabe.

(Foto: Foto: ZDF/Timmo Schreiber)

Bei Dancing with Devils, dem neuen Werk des 68-jährigen Filmemachers, hat das Experiment geklappt. Der 2007 in Hamburg gedrehte 75-Minüter, den Lemke wie üblich selbst vorfinanziert und dann für 110 000 Euro an seinen aktuellen Haussender ZDF verkauft hat, besticht als fiebrig-nervöse Milieustudie voller verlorener Seelen. Mit der 23-jährigen Saralisa Volm, schon im vorangegangenen WM-Sommer-Sittengemälde Finale des Meisters Muse, mit der ebenfalls bereits Lemke-erfahrenen Independent-Aktrice Nina Schwabe und dem Szene-DJ Rodion Levin gibt es ein gleichwertiges, charismatisches Protagonisten-Trio. Alle drei tragen im Film ihre wahren Namen; als Handlungstriebfeder dient ein Rache-Motiv: Nina will sich an der gerade aus dem Gefängnis entlassenen Saralisa für den Drogentod ihres Freundes rächen, den diese ihrer Meinung nach verschuldet hat.

Knarre, Sex, Koks, wie immer

Unter Einsatz der obligaten Lemke-Zutaten Knarre, Sex und Koks entflammt überdies eine Liebeskonkurrenz um Rodion; räumlich kreist das Geschehen um den (real existierenden) Nachtclub Fundbureau, in dem Rodion exzessive Tanzpartys veranstaltet.

Weil dabei alle - vage verrätselt - sie selber sind und weil der in München lebende Lemke Herz und Blick für die Halbwelt im Bermuda-Dreieck zwischen St. Pauli, Sternschanze und Altona hat, fühlt sich die Doku-Fiction echt an und fesselt. In seiner Wucht knüpft Dancing with Devils an Lemkes Hamburg-Klassiker Rocker von 1971 an; eine Reminiszenz an jenen gestattet sich der Regisseur zu Beginn, wenn er Saralisa aus dem Tor der Haftanstalt Santa Fu treten lässt wie einst den Helden seiner Biker-Oper. Untermalt wird der Film von mehreren musikalischen Leitmotiven: Die Janis-Joplin-Ballade "Me and Bobby McGee" repräsentiert Lemkes Ideal von freiheitsstiftender Armut auch auf der Tonspur, eine Instrumentalversion der St.-Pauli-Hymne "La Paloma" verströmt Lokalkolorit, und der flirrende, bisweilen hypnotische Soundtrack des Klangkünstlers Kowalski steuert zeitgemäßes Großstadtfeeling bei.

Im Fall von Dancing with Devils hat die Authentizität allerdings auch eine tragische Kehrseite: Einer der zentralen Charaktere, der Kiez-Wirt Stefan Witte, der im Film Saralisas Bruder spielt und zur Zeit des Drehs mit ihr liiert war, hat sich 2008 das Leben genommen. "Ein Sid-und-Nancy-Paar" seien die beiden gewesen, sagt Lemke in Anspielung auf die selbstzerstörerische Beziehung des Sex-Pistols-Bassisten Sid Vicious mit Nancy Spungen - und er wird es wissen, denn vor seiner Kamera hatten sich die beiden bei Finale kennengelernt. Die Intensität so mancher Szene mutet angesichts dieses Hintergrunds jedenfalls geradezu unheimlich an.

Dreimal hat Lemke seither versucht, mit Saralisa Volm einen weiteren Film zu realisieren, zunächst auch mit dem Ziel, den Suizid einzuarbeiten - was scheiterte. Inzwischen sieht der Regisseur Dancing with Devils als Abschluss seines jüngsten Hamburg-Zyklus und will sich nach langem mal wieder an München versuchen. Zwar empfindet er Schwabing, "das ja mal ein Splitter vom Paradies war", inzwischen als verspießert, doch dem etwas entgegenzusetzen reizt ihn. "Die Wüste lebt - son kleiner Schwabing-Porno" lautet der programmatische Arbeitstitel. Das Casting läuft, Ende Mai soll's losgehen. Ob was draus wird? Wer weiß das schon, die Methode Lemke ist eine hochsensible Angelegenheit.

Dancing with Devils, ZDF, 23.45 Uhr.

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