Im Portrait: Sophie Rois:Die Durchdringende

Schauspielerin Sophie Rois kann etwas, das selten ist: Unterhaltung und Hochkultur verknüpfen. Nächste Woche kommt sie mit Tom Tykwers Komödie "Die Drei" ins Kino. Selbst ihr Applaus klingt intelligent. Eine Begegnung.

Antje Wewer

In der holzvertäfelten, dunklen Kantine der Berliner Volksbühne hängen dicke Rauchschwaden. Es wird Bier aus der Flasche getrunken, die Bühnentechniker essen Bulette im Brötchen und Kartoffelsalat aus dem Eimer. Die Schauspieler hocken zusammen, um nach der Vorstellung der vierstündigen Castorf-Inszenierung "Der Kaufmann von Berlin" zu entspannen. Eine Historienrevue, 1929 von Walter Mehring geschrieben, über das geldgeile, militaristische Weimardeutschland und den unaufhaltsamen Aufstieg der Nazis. Irre viel Text, viel Wahnsinn auf der Bühne, die Souffleuse hat ordentlich zu tun, der Zuschauer auch. Aber egal, Kunst muss man nicht immer verstehen, dabei sein ist hier alles. Wir sind an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Und nicht an der Komödie am Kurfürstendamm.

Drei - Photocall:67th Venice Film Festival

"Ich habe keinen Ehemann, kein Haus und kein Auto": Sophie Rois kann dafür eine passable Bühnen- und Leinwandkarriere vorweisen.

(Foto: Getty Images)

Auf dem Sims einer Eckbank steht eine weiße Papiertüte mit dem Schriftzug Yves Saint Laurent. Schwarze Prägeschrift auf weißem Karton. Eine Satinschleife verwehrt den Blick ins Innere. Die Schauspielerin Sophie Rois hat sie dort abgestellt und holt sich am Tresen ein Glas Rotwein. Auf der Bühne war sie gerade als der jiddelnde "Kaftan" in zu großen Schuhen, mit angeklebtem Bart und Pelzmütze zu sehen. Mittlerweile trägt sie wieder ihre Alltagskleidung, wobei das irgendwie das falsche Wort ist für ihre schwarzen Reiterstiefel, die von Hermès sind. Dazu: enge Jeans, feiner Strickpulli, wuchtige Goldkette.

In dem leicht muffigen, total basisdemokratischen Volksbühnen-Ambiente wirkt Rois in dem Aufzug herrlich deplatziert, dabei gehört sie seit 13 Jahren zum Ensemble. Sie ist ein seltener Hybrid: Die Tochter eines Lebensmittelhändlers wurde in einem kleinen Dorf in Oberösterreich geboren. Viel zu eng für Rois. Sie bewarb sich nach der Schule in Wien am Max-Reinhardt-Seminar, zog nach Berlin, jobbte und traf Anfang der Neunziger Frank Castorf.

Heute wird sie vom Theaterpublikum beklatscht, aber dreht auch anspruchsvolle Stoffe fürs Fernsehen oder Kino. Warum das so bemerkenswert ist? Weil man sich in Deutschland in der Regel für das eine oder das andere zu entscheiden hat: E oder U. Ernstzunehmende Kunst oder Unterhaltung. Schwarze Schnürstiefel wie aus den 30er Jahren (des deutschen Schauspielers Favorit) - oder halt Hermès.

Rois hat kein klassisches symmetrisches Gesicht, sondern ein altersloses, zartes und dabei fuchsschlaues. In etwa so, wie man sich die Frau vorstellt, die Chet Baker in "My funny Valentine" besingt. Viele erkennen sie auch erst, wenn sie sie hören. Sie hat eine Stimme zum Gläserzerspringenlassen: durchdringend, leicht quietschig, dabei etwas angeraut und sich manchmal überschlagend. Rois kann mal schmeichelnd wie ein Kaschmirschal klingen. Und dann wieder so nervig wie eine Vuvuzela. Frauen wie sie werden in Amerika "The thinking man's Sex Symbol" genannt. Früher waren sie in Filmen wie "All about Eve" oder "Sunset Boulevard" zu sehen, später hießen sie Judy Davis oder Diane Keaton und spielten in Woody Allens Beziehungskomödien. Bei uns ist der Typus der talentierten Exzentrikerin so selten, dass man über jedes einzelne Exemplar dankbar sein muss.

Erfahren Sie auf Seite 2, wie Sophie Rois zu dem passt, was man sich von ihr gedacht hatte.

"Ich habe mich gegen Kinder entschieden"

Sophie Rois ist 49, und "nein, ich kann dieses Klischee mit den Frauenrollen nicht bestätigen, im Gegenteil, ich habe einen Karriereschub, seit ich jenseits der vierzig bin". Liegt das an ihr? "Vielleicht an der Fähigkeit, sich einzuschätzen und dann eine Ansage zu machen. Als 20-Jährige war ich total verloren und auch als 30-Jährige hatte ich noch nicht dieses Selbstbewusstsein."

Und alles jubelt

Im letzten Jahr glänzte Rois in "Der Architekt", leise, aber bezwingend in einer kleinen Rolle neben einem polternden Josef Bierbichler. Dafür wurde sie mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet. Für das Pollesch-Stück "Mädchen in Uniform" bekam Rois kürzlich den Deutschen Theaterpreis "Faust" verliehen. Und nächste Woche startet "Drei", die Berliner Beziehungskomödie von Tom Tykwer, in der Rois als Kulturjournalistin Hanna zwischen zwei Männern hin- und herpendelt und von beiden begehrt wird. Es geht um Großstadtmenschen um die vierzig, die im konventionellen Sinne erwachsen, aber trotzdem noch auf der Suche sind. Deren gemütliches Leben durch einige Schicksalsschläge, gepaart mit Zufälligkeiten, noch mal so richtig schön durcheinandergerät.

Den ganzen Film über ist man gespannt darauf, wie Rois auf diese oder jene Situation reagieren wird. Warum? Weil sie nie so reagiert, wie Frauen es sonst in modernen Beziehungskomödien tun. Als ihr Freund mit Krebs im Krankenhaus liegt, weint sie nicht, sondern neckt ihn. Sie motzt rum, dass er langweilig sei, nennt ihn "Baby" und wirft sich bockig und in Highheels auf ihn drauf. Sie trägt beim Betrügen keine Spitzenwäsche, sondern olle Unterhemdchen und sieht gerade deshalb sexy aus. Steht in Nylonstrumpfhose in der Küche und denkt laut über das Renovieren nach. Stöckelt in Stiefeletten über den Bolzplatz und hängt sich an eine Fußballclique dran, um einen Flirt voranzutreiben.

Schon beim Drehbuchschreiben hatte Regisseur Tykwer für die Rolle der Hanna nur Sophie Rois vor Augen. "Wir kannten uns nur flüchtig, ich hatte sie in Bucks ,Wir können auch anders' und an der Volksbühne gesehen. Ich hätte den Film nicht gemacht, wenn sie nicht zugesagt hätte." Warum gerade sie? "Weil sie eine rare Spezies unter den deutschen Schauspielerinnen ist. Sie ist schlau und schön. Eine moderne Diva, die sich nicht so leicht einer Epoche zuordnen lässt. Mit Sophie kann man eine Figur auf Augenhöhe erarbeiten, sie ist ein echtes Gegenüber. . ."

Gerade sitzt die so Gelobte im Café Einstein, Kurfürstenstraße, und sticht mit der Gabel in die Pommes ihres Steak Frites. Sie kommt soeben aus dem Studio, in dem sie "Neid" von Elfriede Jelinek als Hörbuch einliest. Ihre Stimme apropos? Klar, die habe sie von ihrem Vater geerbt, der wäre auch immer schon von weitem zu hören gewesen. Wenn sie mit ihrer Schwester im Café saß, sei oft jemand an den Tisch gekommen und hätte darum gebeten, dass sie mit dem Streiten aufhören. . . Rois lacht. Natürlich laut.

Bevor man fragen kann, warum sie eigentlich so dünn ist, sagt sie: "Ich bin ein sehr nervöser Mensch. Wenn ich acht Stunden Schlaf zur Verfügung habe, liege ich drei davon wach und denke darüber nach, was ich alles noch erledigen muss." Dann würde man das jetzt auch gerne noch erfahren: Wie ist ihr Alltag, wo genau findet bei all den Geschichten anderer Menschen die eigene statt? Hat sie ein anstrengendes Leben? So was Stinknormales wie Hobbys? Eine Beziehung? "Ich habe keinen Ehemann, kein Haus und kein Auto." Kinder? Sie überlegt, isst ihre Pommes plötzlich nicht mehr mit der Gabel, sondern mit den Fingern und antwortet fest: "Ich habe mich dagegen entschieden, nicht widerspruchsfrei. Ich kann meine Ratlosigkeit nicht an ein Kind weitergeben. Ich glaube, dass ein Kind einen Anspruch auf emotionale Sicherheit und Verlässlichkeit hat, die ich nicht bieten kann. Was nicht heißen soll, das ich mich nicht manchmal nach einem Kind sehne."

Sophie Rois also, die alters-, klischee- und familienlose; irgendwie hatte man sich das genau so gedacht.

Am Abend der Berlin-Premiere von "Drei" bittet Tykwer dann "die Königin" auf die Bühne. Rois trägt Rock und den Inhalt aus der YSL-Tüte: eine hochgeschlossene, schwarz-weiß gemusterte, leicht durchsichtige Bluse. Sieht irre gut aus. Alles jubelt.

Selbst ihr Applaus klingt intelligent.

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