Süddeutsche Zeitung

Im Porträt: Kerstin Gier:Nach Strickmuster

Früher erzählte sie, wie Hera Lind in ihren besseren Zeiten, von Frauen mit all ihren Schwächen. Dann schrieb Kerstin Gier ihre Edelstein-Fantasy-Trilogie für Jugendliche. Sie wurde ein Hit.

Cathrin Kahlweit

Besonders schwierig sei es, vor Ostwestfalen zu lesen, hat sie mal bei einem Auftritt lachend angemerkt. Die säßen so lange reglos da, dass man sich bisweilen frage: "Leben die noch?" Nach der Lesung aber sage der Ostwestfale dann gern: "So gut habe ich mich lange nicht mehr amüsiert!" Schwieriger noch als das Lesen vor Erwachsenen, sagte sie damals und lachte noch mehr, sei allerdings ein Auftritt vor Jugendlichen, wenn diese zwangsverpflichtet dahockten und, anstatt zuzuhören, SMS an ihre Freunde schickten. Selbstironische Bemerkungen wie diese sind typisch für Kerstin Gier, und wahr ist an diesem Understatement wenig, denn kaum eine Autorin hat derzeit mehr junge Fans in Deutschland als die Mittvierzigerin aus Bergisch-Gladbach.

Ihre sogenannte Edelstein-Trilogie, welche die drei Bände "Rubinrot", "Saphirblau" und "Smaragdgrün" umfasst, ist unter Jugendlichen ein Hit und auf Bestsellerlisten etwa so zahlreich vertreten, wie es die "Biss-Romane" rund um den schönen Vampir Edward und seine menschliche Geliebte Bella vor einigen Jahren waren.

Nun, da die Leipziger Buchmesse bevorsteht, rückt im Zuge der weltweiten Fantasy-Begeisterung auch deutsche Literatur dieses Genres wieder in den Fokus. Dabei hat Gier die längste Zeit ihres Autorinnenlebens vor allem Unterhaltungsliteratur für Frauen verfasst, und sie schrieb ein wenig so wie Hera Lind in ihren besseren Zeiten: locker, heiter, und im Mittelpunkt Heldinnen mit all den Fehlern und Schwächen, die ihre Leserinnen - und die recht rundliche Autorin - im Zweifel auch haben.

Die "Mütter-Mafia" war so ein Buch, in dem Gier Übermütter aufs Korn nahm - und sich selbst auch ein bisschen auf die Schippe. Das ist ihre Stärke: Sie nimmt ihre Arbeit ernst, aber nicht bierernst. Sie sagt selbstkritisch, sie habe jetzt schon so viele Romane nach einem "Strickmuster" geschrieben, dass es Zeit für etwas Neues gewesen sei. Also erfand sie die zeitreisende 16-jährige Gwendolyn, die im historischen London den überheblichen, aber irgendwie süßen Gideon trifft und mit ihm gemeinsam Familiengeheimnisse lüftet und Abenteuer erlebt.

Selbst würde sie ungern in der Vergangenheit leben, so ein Leben ohne automatische Toilettenspülung sei nicht sehr verführerisch. Und: Sie könne keine erotischen Szenen schreiben, sagt Gier, und lacht wieder mit ihrer hellen, bisweilen kippenden Stimme. Aber ihren Fans reichen offenbar auch "Küsse, Küsse, Küsse" und ein - angesichts sonst eher schwülstiger Jugend-Fantasyromane - eher unüblicher Sprachwitz.

Die Autorin hatte ein bewegtes Leben hinter sich, bevor sie zu schreiben begann. Sie studierte Germanistik, Musikwissenschaft und Anglistik, Betriebspädagogik und Kommunikationspsychologie, dann wurde sie Diplompädagogin. Sie jobbte bei einer Zeitarbeitsfirma und gab Kurse in einem Mutter-Kind-Zentrum. Gleich ihr erster Roman, "Männer und andere Katastrophen" wurde mit Heike Makatsch verfilmt. Seither schreibt sie in ihrem Dachzimmer auf einem Dorf im Bergischen Land, wo sie mit Mann und Sohn lebt und am nächsten Roman arbeitet: für Erwachsene, mit einem "Schuss Magie".

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SZ vom 09.03.2011/kar
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