Süddeutsche Zeitung

Im Porträt: Colin Firth:Herrscher der Phantasien

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Mit Colin Firth und seinen Filmen verbindet man vor allem Höflichkeit, Gelassenheit und Diskretion. Nun hat er für seine wenig subtile Rolle in "The King's Speech" den Golden Globe gewonnen - und gilt als heißer Oscar-Kandidat.

Fritz Göttler

Man könnte ihn einen Überlebenskünstler nennen. Überleben in einem unerbittlichen Business, in dem er seinen gebührenden Anteil an schamlosen Klamotten und steifen Literaturverfilmungen (Joseph Conrad, Henry James, Oscar Wilde, demnächst wird man ihn als George Orwell sehen in der Verfilmung von Mein Katalonien) absolvierte, immer zur Stelle war, wenn die Produzenten einen distinguierten Mittelstandsbriten brauchten, die unsinnigsten Schneckerln und Perücken sich andrehen ließ - in romantischen Jugendrollen, aber auch 2003 noch in Das Mädchen mit dem Perlenohrring, als Vermeer.

Und schließlich gab er sich zu lustvollen Pop-Orgien her:: "Wir beschlossen, dass wir einfach unseren Spaß haben würden mit diesem Film, an den dämlichen Kostümen und der dämlichen ... hmm, ich werde jetzt wohl besser nichts Unhöfliches sagen über die Musik ..." Das war der Film Mamma Mia, in dem Colin Firth, neben Meryl Streep und Pierce Brosnan, in Glitzeranzug und Plateauschuhen zu sehen war zur Musik von Abba.

Höflichkeit, Diskretion, Gelassenheit, das sind Eigenschaften, die man mit dem Mann Colin Firth und seinen Filmen verbindet. Man braucht Geduld, um sie, ähnlich wie Cognac oder Champagner, reifen zu lassen. Colin Firth hatte keine Probleme, den zweiten Mann in großen Produktionen zu spielen, in The English Patient oder Shakespeare in Love, mit denen seine Kollegen bei der Oscar-Verleihung abräumten in den Neunzigern. Produziert und promoted wurden sie von den Brüdern Weinstein, die nun auch The King's Speech managen, für dessen Titelrolle Firth Sonntagnacht den Golden Globe erhielt und für die er nun als heißer Oscar-Kandidat gilt. Darüber waren die Kritiker sich sofort einig, als der Film in Toronto am 10.September 2010 Premiere hatte, dem 50. Geburtstag von Colin Firth.

Mit seiner Frau Livia Giuggioli legt er inzwischen die schönsten Rote-Teppich-Auftritte hin, elegant und gelassen, ein bisschen akademisch womöglich. Sein Vater lehrte Geschichte an der Uni, die Mutter vergleichende Religionskunde. Voriges Jahr spielte er einen schwulen Professor in Tom Fords A Single Man, schon damals war er für den Oscar nominiert. Er hat seinen Tribut gezahlt, schrieb David Thomson, der große britische Filmhistoriker. Wie viele Frauenphantasien musste er auf der Leinwand befriedigen nach seinem Mr. Darcy in der TV-Verfilmung von Stolz und Vorurteil, wie viele seriöse, spannende Rollen mag ihn dieser Erfolg gekostet haben ... Ein paarmal hat er sich gestattet, richtig böse zu sein, als tückischer Verführer Valmont in Milos Formans Verfilmung der Gefährlichen Liebschaften oder in Wahre Lügen, wo er einen brutalen, besessenen Nachtclub-Entertainer spielt.

Eine subtile Rolle ist König Georg VI. sicher nicht, den er in The King's Speech gibt, ein Stotterer auf dem Thron, der einen Sprechlehrer engagiert und im entscheidenden Moment dann eine grandiose Performance hinlegt - "I have a voice!" in einer Rede gegen den Großrhetoriker Hitler. Colin Firth kann hier jene Tugend zeigen, die den Briten oft so hilfreich ist: die Selbstironie.

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Quelle:
SZ vom 18.01.2011
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