Im Kino: "Yella":Fühlen in einer kalten Traumwelt

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In Christian Petzolds traumhaftem Film "Yella" spielt Nina Hoss eine Frau, die einen Neubeginn in der Geschäftswelt, im Reich von Private Equity und Venture-Kapital, wagt und nur Leere findet.

Fritz Göttler

Kaum hatte Hutter die Brücke überschritten, da ergriffen ihn die unheimlichen Gesichte... so lautet einer der markantesten Zwischentitel des deutschen Kinos der Zwanziger. André Breton hat ihn leidenschaftlich zitiert, und bei den Surrealisten war er Programm, wenn sie durch die Stadt Paris flanierten, sich in ihre Nebenstraßen und Passagen verirrten, um die Doppelgesichtigkeit der modernen Welt zu erfahren.

Es ist, natürlich, der Nosferatu, um den es in dem Satz geht, Murnaus Phantomklassiker, der vom jungen Immobilienmakler Hutter aus Wisborg erzählt, der von seinem Chef ins ferne Transsylvanien geschickt wird, um dort einen Deal mit einem Mitglied des landsässigen, aber expansionsfreudigen Blut-Adels abzuschließen - er will sich in Wisborg einkaufen.

Über Gespenstergeschichten und -filme schreibt es sich erfahrungsgemäß besonders schlecht. Weil man nicht weiß, wie weit man nun seinen Augen wirklich hat trauen dürfen. Und wie man das Gesehene, beim Versuch, seine Vieldeutigkeit in Worte zu fassen, verdreht, entstellt, verfälscht. Christian Petzolds Filme spielen dieses Spiel besonders intensiv, sie wirken transparent in jedem Moment, aber man ist am Ende nie sicher, auf welcher Ebene der Wirklichkeit man sich eigentlich bewegt hat. Auch der neue Film ist in dieser Hinsicht eine unglaublich spannende, lustvolle Erfahrung.

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Yellas Brücke steht an der Elbe. Und wie der "Nosferatu" hat auch Petzolds Film seine Verankerung in der Geschäftswelt, im Reich von Private Equity und Venture-Kapital, wo es um Werte geht, für die nie ein konkretes, materielles Äquivalent sichtbar werden wird. Und wo die Spekulation also ein besonders leichtes Spiel hat. Es ist der dritte Film, den Christian Petzold und Nina Hoss, sie spielt die Yella, zusammen machen.

"Toter Mann" hieß der erste, nun kommt gewissermaßen das Gegenstück. Schon deshalb, weil auch "Yella" wieder in Wittenberge spielt, einer Stadt an der Elbe, die für die desolate Situation des Ostens steht, mit seiner Stagnation und Hoffnungslosigkeit, weit mehr als fünfzig Prozent Arbeitslosigkeit. Yella will weg, in den Westen, da ist ein Job in Hannover, der ihr eine Zukunft ermöglichen soll.

Eine unerledigte Liebe

Aber Yella kommt nicht über die Brücke. Sie landet im Fluss, gemeinsam mit ihrem Ex, der am Steuer des Wagens saß. Er hatte sich aufgedrängt, sie zum Bahnhof zu fahren. Hatte das Steuer rumgerissen und mit dem Wagen das Brückengeländer durchbrochen.

Am Tag zuvor hatte es zwischen ihr und ihm (Hinnerk Schönemann) eine Aussprache gegeben, eine abwegige, aber wunderschöne Liebesszene. Sie war in die Stadt zurückgekommen, ging vom Bahnhof nach Hause, plötzlich taucht er hinter ihr auf, springt aus dem Wagen und läuft ihr nach, man spürt eine Aggressivität, aber er hält Distanz. Er braucht sie, ihre Liebe und ihr Geld, er ist gescheitert mit seinem Geschäft, jetzt muss ich die Straßenseite wechseln, ruft er, als eine Baustelle ihm den Weg versperrt, aber sie will nicht anhalten...

An der Art, wie diese Szene gefilmt ist, in einem langen Travelling, amerikanisch, in der Manier von Cassavetes, kann man spüren, dass die Beziehung zwischen den beiden nie eindeutig war, dass die Verfolgte auch verfolgt, dass die Liebe noch nicht erledigt sein muss.

Es ist die Geschichte einer Neugeburt. Yella erwacht am Ufer der Elbe, zerzaust und von Krähenschreien irritiert, sie packt die Tasche und besteigt den Zug nach Hannover. Das mit dem Job klappt dann doch nicht, aber ein Mann steht plötzlich vor ihr, gespielt von Devid Striesow. Er will sie zur Assistenz haben bei seinen Verhandlungen, fürs Zuspiel, wenn er die auf der anderen Tischseite runterhandelt.

Es ist eine kalte Traumwelt, in der man sich gegenübersitzt, völlig monochrom in weißen Tischen und schwarzen Ledersesseln, nur Yellas rote Bluse sticht hervor, und die Stadt, auf die man durch die Fensterfront sieht, ist wie ein Transparent. Alles irreal, aber völlig wirklichkeitsgetreu, man könnte es in "Nicht ohne Risiko" nachprüfen, dem komischen kleinen Dokfilm, den Harun Farocki in der Private-Equity-World drehte - er arbeitet seit Jahren an den Drehbüchern der Petzoldfilme mit.

Inspiration für den Film, was die Verschränkung von Wirklichkeit und Imagination angeht, kommt von amerikanischen Storys und Filmen, von Herk Harvey und Hitchcock und Ambrose Bierce. Schon das bringt "Yella" meilenweit weg von der sogenannten Berliner Schule, für die Petzold gern reklamiert wird.

Es ist Marnie, Hitchcocks "Marnie", die in Petzolds Yella durchscheint. Wie Marnie wird Yella, wenn sie die Männergeschäfte aufmischt, irritiert von Erinnerungsblitzen ihrer Vergangenheit. Von toten Winkeln und leeren Momenten, in denen die Gegenwart ihre Atmosphäre verliert - Atmo nennt man im Kino die Mischung aus Geräuschen, die einen Set, einen Ort mit Leben erfüllt.

Gespielt und verloren

Mit Leichtigkeit degradiert Yella die andern um sie her zu Phantomen. Ihre Empfindungen werden nicht von Gedanken begleitet. Der intellektuelle Teil ihrer Natur ist schon ausgelöscht, sie hat nur die Macht zu fühlen. Sie ist sich der Bewegung bewusst... Auf der Berlinale wurde Nina Hoss mit dem Silbernen Bären als beste Schauspielerin ausgezeichnet - erstaunlich für einen Film, in dem sie sich vor allem zurücknimmt, in sich zusammenkauert.

Der Schrecken der modernen Existenz, das muss Yella am Ende erkennen, als sie an ihre Brücke zurückkehrt, ihre Oak-Creek-Brücke gewissermaßen, sind nicht die ökonomischen Verhältnisse. Der wirkliche Ballast ist das ganze System der Emotionen, Triebe, Sehnsüchte - deren Ökonomie rigide ist und brutal.

"Sure I've played and lost, but who minds the cost", heißt es in dem Lied, das im Film anklingt, "Road to Cairo", gesungen von Julie Driscoll, "you got to take more than you give . . ." Nur konsequent, dass sich Christian Petzold als nächstes einen Roman von James M. Cain vornehmen will.

YELLA, D 2007 - Regie, Buch: Christian Petzold. Dramaturgie: Harun Farocki. Kamera: Hans Fromm. Schnitt: Bettina Böhler. Musik: Stefan Will. Mit: Nina Hoss, Devid Striesow, Hinnerk Schönemann, Burghart Klaußner, Barbara Auer, Christian Redl, Selin Barbara Petzold, Wanja Mues. Piffl Medien, 88 Min.

© SZ vom 12.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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